Klassische Haftungsfalle VII: Vorsicht bei der Klagerücknahme!

Wird nach Rechtshängigkeit die Klageforderung erfüllt, wird in der gerichtlichen Praxis geradezu erschreckend oft die Klage zurückgenommen – in nicht wenigen Fällen offensichtlich in Unkenntnis der daraus folgenden kostenrechtlichen Konsequenzen. Dies zeigt ein aktueller Beschluss des Landgerichts Stuttgart vom 30.01.2018 – 19 T 484/17 noch einmal sehr deutlich.
Sachverhalt
Nach Rechtshängigkeit der Klage beglich der Beklagte die Klageforderung vollständig; dies teilte der Beklagtenvertreter dem Gericht mit und stellte eine Klagerücknahme anheim. Das Schreiben wurde dem – nicht anwaltlich vertretenen – Kläger zugestellt, der daraufhin erklärte, er nehme die Klage zurück. Auf Antrag des Beklagten legte das Amtsgericht die Kosten daraufhin dem Kläger auf, der sich dagegen mit der sofortigen Beschwerde wendet, um eine Kostenentscheidung zu Lasten des Beklagten zu erreichen.

Das Gericht hatte die Kosten des Rechtsstreits gem. § 269 Abs. 3 Satz 2, Abs. 4 ZPO dem Kläger auferlegt, nachdem dieser die Klage zurückgenommen hatte. Richtigerweise hätte allerdings wohl materiell-rechtlich der Beklagte die Kosten des Rechtsstreits tragen müssen – denn er hatte sich ja freiwillig in die Rolle des unterlegenen begeben. Und er wäre wohl schon aus §§ 280 Abs. 1, 2, 286 BGB verpflichtet gewesen, die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Deshalb stellte sich die Frage, ob § 269 Abs. 3 und 4 ZPO in diesem Fall auch eine Kostenentscheidung zu Lasten des Beklagten ermöglichte.
Entscheidung
Das Landgericht hat die Beschwerde zurückgewiesen:

„Eine Klagerücknahme verpflichtet gemäß § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO den Kläger die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Hiervon ist abzuweichen, wenn über die Kosten des Rechtsstreits bereits rechtskräftig erkannt wurde oder die Kosten aus einem anderen Grund ausnahmsweise dem Beklagten aufzuerlegen sind. Solche Ausnahmen sind vornehmlich von der Kostenpflicht des Klägers abweichende prozessrechtliche Kostenregelungen, wie beispielsweise § 344 ZPO, §§ 150 Abs. 4 und 243 FamFG oder § 84 Abs. 2 S. 2 PatG. Abweichende Parteivereinbarungen sind ebenfalls zulässig und vom Gericht bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen.

Gemäß § 269 Abs. 4 S. 1 ZPO entscheidet das Gericht der Hauptsache auf Antrag über die nach § 269 Abs. 3 ZPO eintretenden Wirkungen durch Beschluss. Die Möglichkeit zur Berücksichtigung anderslautender materiell-rechtlicher Kostenerstattungsansprüche im Rahmen des § 269 Abs. 3 i.V.m. Abs. 4 ZPO ist hingegen nicht gegeben (...). Solche materiell-rechtlichen Kostenerstattungsansprüche gehören vielmehr ins Klageverfahren (…).

Mit Schreiben vom 12.09.2017 hat der Kläger die von ihm erhobene Klage zurückgenommen. Der Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 22.09.2017 dem Kläger die Kosten aufzuerlegen. Vorliegend sind Ausnahmen von der Kostentragungspflicht des Klägers oder abweichende Parteivereinbarungen weder gegeben noch vom Kläger vorgetragen. (…)

Der Umstand, dass der Kläger seine Klage nach Zahlung durch den Beklagten zurückgenommen und nicht für erledigt erklärt hat, ändert an der Kostentragungspflicht des Klägers (…) nichts.

Ein Fall des § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO liegt nicht vor. Die Vorschrift setzt voraus, dass der Anlass zur Einreichung der Klage vor Rechtshängigkeit weggefallen ist. Ist die Änderung nach Rechtshängigkeit eingetreten, kann § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO weder unmittelbar noch analog angewendet werden, in diesem Fall bleibt dem Kläger nur die Erledigterklärung (...).

Sofern für den Kläger unklar ist, ob der Anlass zur Klage vor oder nach Rechtshängigkeit weggefallen ist, muss sich der Kläger vor einer Klagerücknahme zunächst durch Nachfrage bei Gericht vergewissern, zu welchem Zeitpunkt die Klage zugestellt worden ist (...). Anderenfalls läuft ein Kläger Gefahr unwiderruflich eine für ihn ungünstige Prozesshandlung vorzunehmen.

So stellt die Erklärung zur Klagerücknahme eine Prozesshandlung dar und kann deshalb nicht unter einer Bedingung abgegeben und – anders als eine einseitig gebliebene Erledigungserklärung (…) – grundsätzlich nicht widerrufen und auch nicht wegen Irrtums angefochten werden (…)."

Anmerkung
Das gilt im Übrigen entsprechend auch für einen Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens: Auch ein solcher Antrag sollte niemals zurückgenommen werden, wenn das rechtliche Interesse im Laufe des Verfahrens wegfällt (s. dazu ausführlich hier). Ist die Klage oder der Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens  zurückgenommen worden, hilft nämlich auch der – in der Regel aus Verzugsgesichtspunkten bestehende – materiell-rechtliche Kostenerstattungsanspruch wenig. Denn dem steht der Kostenbeschluss gem. § 269 Abs. 3 Satz 2, Abs. 4 ZPO entgegen (BGH, Urteil vom 16.02.2011 - VIII ZR 80/10). Bleibt unklar, ob Erfüllung vor oder nach Rechtshängigkeit eingetreten ist, hat das LG Stuttgart im Übrigen noch einen Rat:

"In Zweifelsfällen kann es für einen Kläger daher zweckmäßiger sein, den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt zu erklären und hilfsweise einen Antrag auf Feststellung der (materiell-rechtlichen) Pflicht zur Kostenerstattung zu stellen (…).“

Zudem dürfte es wohl zulässig sein, die Klage auch direkt auf einen Kostenfeststellungsantrag umzustellen, um das lediglich summarische Verfahren gem. § 91a ZPO zu vermeiden, s. dazu ausführlich hier. tl;dr: Im Rahmen der Kostenentscheidung nach Klagerücknahme gem. § 269 Abs. 3 i.V.m. Abs. 4 ZPO können materiell-rechtliche Kostenerstattungsansprüche nicht berücksichtigt werden. Anmerkung/Besprechung, LG Stuttgart, Beschluss vom 30.01.2018 – 19 T 484/17. Foto: Blondinrikard Fröberg/Attention! | flickr.com | CC BY 2.0