Zivilprozess im Koalitionsvertrag

Am heutigen Mittwoch haben die Parteispitzen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP ihren Koalitionsvertrag vorgestellt. Darin finden sich erstaunlich viele der hier kürzlich im Rahmen einer Umfrage vorgestellten Reformvorhaben zum Zivilprozessrecht wieder, insbesondere  zwei (oder sogar alle drei) „Gewinner“. Das Kapitel „Justiz“ beginnt auf Seite 105 und enthält auf Seite 106 insbesondere die folgende Passage:
„Gerichtsverfahren sollen schneller und effizienter werden: Verhandlungen sollen online durchführbar sein, Beweisaufnahmen audio-visuell dokumentiert und mehr spezialisierte Spruchkörper eingesetzt werden. Kleinforderungen sollen in bürgerfreundlichen digitalen Verfahren einfacher gerichtlich durchgesetzt werden können. Wir bauen den kollektiven Rechtsschutz aus. Bestehende Instrumente wie z. B. nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz modernisieren wir und prüfen den Bedarf für weitere. Die EU-Verbandsklagerichtlinie setzen wir anwenderfreundlich und in Fortentwicklung der Musterfeststellungsklage um und eröffnen auch kleinen Unternehmen diese Klagemöglichkeiten. An den bewährten Anforderungen an klageberechtige Verbände halten wir fest. Wir ermöglichen englischsprachige Spezialkammern für internationale Handels- und Wirtschaftsstreitigkeiten.“
Zwei Absätze weiter heißt es außerdem:
„Gerichtsentscheidungen sollen grundsätzlich in anonymisierter Form in einer Datenbank öffentlich und maschinenlesbar verfügbar sein.“
Und das scheint uns tatsächlich interessant, wenn nicht sogar fast spektakulär. Denn in diesen wenigen Zeilen stecken u.a. die folgenden rechtspolitischen Bekenntnisse bzw. Vorhaben: Spannend wird, was die Verhandler:innen sich unter dem sehr ausführlichen Absatz zum Ausbau des kollektiven Rechtsschutzes vorstellen. Jedenfalls scheint es so, als solle bei der Umsetzung der Verbandsklagerichtlinie nicht wieder die kleinstmögliche Lösung gesucht werden, sondern kollektiver Rechtsschutz nicht mehr nur (im Wesentlichen) qualifizierten Einrichtungen offenstehen. Das kommt der von Bündnis 90/Die Grünen geforderten Gruppenklage jedenfalls sehr nahe. Interessant ist insoweit auch die Aussage, den „Rechtsrahmen für Legal Tech-Unternehmen“ erweitern zu wollen (S. 111 unten). Das dürfte die Rahmenbedingungen für die Durchsetzung von Streuschäden zusätzlich verbessern. Wichtig und unseres Erachtens richtig ist das Bekenntnis zu einer weiteren Spezialisierung, auch wenn völlig offen bleibt, was damit gemeint ist und wie dies in der Praxis aussehen soll. (Dazu übrigens demnächst Bert/Windau in der NJW-Aktuell...) Außerdem interessant: Die Koalition hält die „Wahl und die Beförderungsentscheidungen für Richterinnen und Richter an den obersten Bundesgerichten“ (Seite 106) für reformbedürftig, maßgeblich sollen die „Kriterien Qualitätssicherung, Transparenz und Vielfalt“ sein. Und: Die Rechtsanwaltschaft soll gestärkt werden, indem das Verbot von Erfolgshonoraren modifiziert und das Fremdbesitzverbot geprüft wird (Seite 111 f.).
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