LG Kleve: Befangenheitsantrag wird unzulässig, wenn Partei weiterverhandelt

Hier im Blog sind offenbar momentan die „Wochen der Richterablehnung“ (s. hier und hier). Eine weitere sehr interessante Entscheidung zum Thema ist der Beschluss des LG Kleve vom 22.07.2015 – 4 T 168/15.

Darin geht es um die im Zivilprozess (noch immer) hoch umstrittene Frage, ob ein Ablehnungsgesuch dadurch unzulässig wird, dass die Partei weiter verhandelt, nachdem sie das Ablehnungsgesuch angebracht hat.

Sachverhalt

Zu Beginn der mündlichen Verhandlung führte der Richter in den Sach- und Streitstand ein und erklärte dabei, die Klage sei unschlüssig, weil ein Schadensersatzanspruch nicht ersichtlich sei. Lege man aber den Vortrag der Beklagten zugrunde, dass sie den Gegenstand verkauft habe und genehmige der Kläger den Weiterverkauf der Sache, stehe ihm der geltend gemachte Anspruch aber aus § 816 Abs. 2 BGB zu. Dieser Tipp war der Beklagten „etwas viel des Hinweises“ und sie lehnte deshalb den Richter wegen Besorgnis der Befangenheit ab.

Dann wurde es wohl etwas turbulent (Ablehnungsgesuche in Zivilsachen vor dem Amtsgericht sind ja eher selten). Der Richter erklärte, die Verhandlung dürfe nicht fortgesetzt werden. Und beide Parteivertreter erklärten übereinstimmend, mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren (§ 128 Abs. 2 ZPO) einverstanden zu sein.

Das Amtsgericht Kleve wies das Ablehnungsgesuch als unbegründet zurück; dagegen wendete sich die Beklagte mit der sofortigen Beschwerde.

Richter können gem. § 42 ZPO abgelehnt werden, wenn entweder einer der Ausschlussgründe des § 41 ZPO oder „ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen“ (Abs. 2). Über das Ablehnungsgesuch entscheiden gem. § 45 Abs. 1 und 2 ZPO die weiteren Mitglieder eines Spruchkörpers (Kammer/Senat) oder ein anderer Richter des Amtsgerichts durch Beschluss (§ 46 Abs. 1 ZPO). Wird die Ablehnung für unbegründet erklärt, steht der ablehnenden Partei gegen diesen Beschluss die sofortige Beschwerde zu (§ 46 Abs. 2 ZPO).

Wird der Ablehnungsantrag vor dem Termin erklärt, darf der Richter gem. § 47 Abs. 1 ZPO nur noch unaufschiebbare Handlungen vornehmen. Wird das Ablehnungsgesuch erst im Termin angebracht, kann der Richter gem. § 47 Abs. 2 ZPO den Termin zu Ende bringen, er darf aber keine Entscheidung verkünden. Der Richter hatte hier aber zu verstehen gegeben, dass er nicht weiter verhandeln und erst die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch entschieden werden sollte.

Ein Kollege des Richters wies das Ablehnungsgesuch dann als unbegründet zurück (weil also der Tipp noch von § 139 ZPO gedeckt sei). Und gegen diesen Beschluss hatte die Beklagte sofortige Beschwerde gem. §§ 567 ff. ZPO erhoben, über die das Landgericht zu entscheiden hatte.

Entscheidung

Auch die Beschwerde der Beklagten hatte keinen Erfolg, allerdings hält das Landgericht das Ablehnungsgesuch schon für unzulässig:

„Die Beklagte hat ihr Ablehnungsrecht nach § 43 ZPO verloren, weil sie einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren nach § 128 Abs. 2 ZPO zugestimmt hat, nachdem sie ihr Ablehnungsgesuch angebracht hatte. Das Ablehnungsrecht entfällt grundsätzlich auch dann, wenn sich eine Partei nach Anbringen des Gesuchs der weiteren Verhandlung nicht verweigert […]

Entscheidend ist bei § 43 ZPO, dass ein Einverständnis der Partei mit der Person des Richters unwiderleglich vermutet wird, wenn sie sich in Kenntnis des Ablehnungsgrundes auf die Verhandlung einlässt […] Die Beklagte hat nach Anbringen ihres Ablehnungsgesuchs dadurch im Sinne des § 43 ZPO weiter verhandelt, dass sie einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren zugestimmt hat […]. Die Einverständniserklärung nach § 128 Abs. 2 ZPO ist eine Antragstellung im Sinne von § 43 ZPO, weil sie die Grundlage dafür schafft, dass das Gericht den Rechtsstreit ohne weitere mündliche Verhandlung entscheidet […].

Ob die Beklagte dadurch der Klägerseite die Anreise zu einem neuen Verhandlungstermin ersparen wollte, ist unerheblich. Die Beklagte würde ihr Ablehnungsrecht nur dann ausnahmsweise durch diese Antragstellung nicht verlieren, wenn der abgelehnte Richter sie dazu durch unzulässiges Weiterverhandeln gezwungen hätte, etwa durch die Drohung, ein Versäumnisurteil zu erlassen […].

In einem derartigen Ausnahmefall würde die Partei zu einem Verhandeln genötigt. Ein aufgenötigtes Verhandeln im Anschluss an ein Befangenheitsgesuch könnte die unwiderlegliche Vermutung des Einverständnisses der Partei mit der Person des Richters aber gerade nicht rechtfertigen.

Ein derartiger Ausnahmefall liegt aber nicht vor. Die von Richter am Amtsgericht L nach Anbringung des Ablehnungsgesuchs noch durchgeführten Handlungen sind durch § 47 Abs. 2 ZPO gestattet, dessen Voraussetzungen auch im Übrigen vorliegen. Die Beklagte führt sogar selbst aus, dass Richter am Amtsgericht L erklärt habe, nach Anbringen des Befangenheitsgesuches dürfe nicht weiterverhandelt werden."

Anmerkung

In der Sache erscheint mir der „Hinweis“ des Gerichts tatsächlich nicht unbedenklich. Weist das Gericht eine Partei auf ein Gestaltungsrecht (BGH, Beschluss vom 02.10.2003 – V ZB 22/03) oder auf eine sonstige Möglichkeit der Rechtsgestaltung (OLG Frankfurt, Beschluss vom 3.3.1970 – 5 W 4/70) hin, gibt dies regelmäßig Anlass zur Besorgnis der Befangenheit (und stellt praktisch hohe Anforderungen an die richterliche „Schwurbelkunst“).

Und die Erklärung, mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden zu sein, dürfte auch unter § 43 ZPO fallen. Nach Ansicht des BGH ist ein „Einlassen in die Verhandlung“ i.S.d. § 43 ZPO „jedes prozessuale, der Erledigung eines Streitpunkts dienende Handeln der Partei unter Mitwirkung des Richters, das der weiteren Sachbearbeitung und Streiterledigung dient“ (BGH, Beschluss vom 05.02.2008 – VIII ZB 56/07 Rn. 4). Neben der Zustimmung zum schriftlichen Verfahren (so auch das OLG München mit Beschluss vom 10.10.1979 – UF 578/78, MDR 1980, 145) gehören dazu beispielsweise auch die (aktive) Teilnahme an einer Beweisaufnahme (OLG Köln, Beschluss vom 18.04.1996 – 14 WF 66/96) oder der Abschluss eines auch widerruflichen Prozessvergleichs (OLG Frankfurt, Beschluss vom 19.02.1991 – 3 W F 185/90).

Bevor der Beklagtenvertreter dem Übergang ins schriftliche Verfahren zustimmte, hatte er aber sein Ablehnungsgesuch angebracht. Deshalb ist § 43 ZPO seinem Wortlaut nach schon gar nicht anwendbar. Und die in der Vergangenheit vertretene Auffassung, es falle auch unter § 43 ZPO, wenn die Partei nach dem Antrag weiterverhandeln ist m.E. aufgrund der heutigen Fassung von § 47 Abs. 2 ZPO kaum noch vertretbar. Denn § 47 Abs. 2 ZPO sieht ja (inzwischen) ausdrücklich vor, dass auch nach einem Ablehnungsgesuch weiterverhandelt werden darf (ebenso Zöller/Vollkommer, § 43 Rn. 6 aE; BeckOK-ZPO/Vossler, § 43 Rn. 11; Musielak/Voit/Heinrich, § 47 Rn. 9; anders aber MünchKommZPO/Gerhrlein, § 43 Rn. 7).

Das LG hat die Rechtsbeschwerde übrigens zugelassen.

Anmerkung/Besprechung, LG Kleve, Beschluss v. 22.07.2015 – 4 T 68/15. Foto: entnommen wikimedia.org | gemeinfrei