BGH zur Reichweite der materiellen Rechtskraft (nicht nur) in Mietsachen
Entscheidung
Der BGH hat das Urteil aufgehoben und die Sache zurückverwiesen. Mit der Begründung des Landgerichts könne nicht festgestellt werden, dass sich die Beklagten am 01.07.2017 mit einem Betrag in Höhe von 2.301 EUR in Verzug befunden hätten. Insbesondere steht dies nicht aufgrund der mit Rücknahme der Anschlussberufung eingetretenen Rechtskraft der Verurteilung zur Zahlung fest.„Denn die mit der Rücknahme zu diesem Zeitpunkt eingetretene Rechtskraft des auf Zahlung rückständiger Miete gerichteten Urteils ergreift die Frage nicht, ob sich die Beklagten zum maßgeblichen Kündigungszeitpunkt (1. Juli 2017) mit der Zahlung eines kündigungsrelevanten Betrags in Verzug befanden.
aa) Gemäß 322 Abs. 1 ZPO sind Urteile insoweit der Rechtskraft fähig, als über den durch Klage oder Widerklage erhobenen Anspruch entschieden ist. Die Rechtskraft wird hiernach auf den unmittelbaren Streitgegenstand, das heißt auf die Rechtsfolge beschränkt, die aufgrund eines bestimmten Lebenssachverhalts am Schluss der mündlichen Verhandlung den Gegenstand der Entscheidung bildet.
Nicht in Rechtskraft erwächst die Feststellung der der Entscheidung zugrunde liegenden präjudiziellen Rechtsverhältnisse oder sonstiger Vorfragen, aus denen der Richter den Schluss auf das Bestehen oder Nichtbestehen der von der Klagepartei beanspruchten Rechtsfolge zieht (…).
Aus dem in der materiellen Rechtskraft liegenden Verbot einer wiederholten Entscheidung über denselben Streitgegenstand folgt allerdings auch eine Bindungswirkung der in einem Vorprozess rechtskräftig getroffenen Entscheidung insoweit, als diese für die Entscheidung in einem Folgeprozess vorgreiflich ist (…). Hat ein Gericht daher den in einem Vorprozess bereits rechtskräftig entschiedenen Streitgegenstand nunmehr als Vorfrage zu prüfen, hat es seinem Urteil den Inhalt der rechtskräftigen Entscheidung zugrunde zu legen (…), wobei sich die Bindungswirkung auf die rechtskräftig ausgeurteilte Rechtsfolge beschränkt (…).
bb) Gemessen hieran kommt es im vorliegenden Räumungsrechtsstreit für die Frage der bindenden Präjudizialität einer rechtskräftig festgestellten Verpflichtung zur Zahlung rückständiger Miete im Rahmen der Prüfung eines kündigungsrelevanten Mietrückstands darauf an, ob durch das rechtskräftige Zahlungsurteil bindend (auch) der Verzug mit der Mietzahlung zum Kündigungszeitpunkt – hier: 1. Juli 2017 – festgestellt worden ist.
So verhält es sich indes im Streitfall nicht. Denn der Umstand, dass bezüglich der am 6. April 2017 erfolgten Verurteilung zur Zahlung von 2.301 € vor der Entscheidung des Berufungsgerichts über das Begehren auf Räumung und Herausgabe der Wohnung aufgrund der am 1. Juli 2017 ausgesprochenen Kündigung Rechtskraft eingetreten ist, führt nicht dazu, dass das Berufungsgericht davon entbunden war, im Rahmen dieses Streitgegenstands das Vorliegen eines kündigungsrelevanten Zahlungsverzugs am 1. Juli 2017 eigenständig zu prüfen.
Durch die – mit der am 2. November 2017 erklärten – Rücknahme der Anschlussberufung eingetretene Rechtskraft (…) des Zahlungsurteils des Amtsgerichts wurde nicht zugleich – als Vorfrage – bindend festgestellt, dass zum 1. Juli 2017 ein zur Kündigung berechtigender Verzug in Höhe des zuvor ausgeurteilten Betrags bestand. Mit dem Urteil des Amtsgerichts ist vielmehr lediglich rechtskräftig festgestellt, dass in einem bestimmten Zeitraum (von April 2015 bis August 2015) ein von den Beklagten auszugleichender Mietrückstand in Höhe von 2.301 € aufgelaufen ist und zum Zeitpunkt der Entscheidung noch offen war.
Hieraus folgt, dass nicht über die für die Beurteilung der Räumungs- und Herausgabeklage (mit-)entscheidende Vorfrage entschieden worden ist, dass dieser Zahlungsrückstand zum Zeitpunkt der jeweiligen Kündigungserklärungen der Klägerin eine fristlose Kündigung nach § 543 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b BGB rechtfertigte.
Damit war das Berufungsgericht berechtigt und verpflichtet, umfassend und ungeachtet der im November 2017 eingetretenen Rechtskraft des Zahlungstitels zu beurteilen, ob sämtliche Kündigungsvoraussetzungen (einschließlich des Verzugs) zum 1. Juli 2017 vorlagen mit der Folge, dass auch der Senat die diesbezüglich getroffene Wertung des Berufungsgerichts, einschließlich der Frage des Bestehens eines Zurückbehaltungsrechts im Kündigungszeitpunkt, umfassend überprüfen kann.“