Wer trägt die Mehrkosten bei einem Mehrvergleich?

Verhandeln die Parteien im Termin zur mündlichen Verhandlung auch über bisher nicht streitgegenständliche Ansprüche (und nehmen sie diese in einen Vergleich auf), erhöhen sich die Vergleichsgebühr und die Terminsgebühr (Ziff. 3104 Abs. 2 KV-RVG). Außerdem fällt eine 0,8-Verfahrensdifferenzgebühr in Höhe des Streitwerts der einbezogenen Ansprüche an (Ziff. 3101 Nr. 3 KV-RVG). Werden nun in der Kostenregelung die Kosten des Rechtsstreits und des Vergleichs unterschiedlich verteilt, stellt sich spätestens im Kostenfestsetzungsverfahren die Frage, ob die durch den Mehrvergleich verursachten Mehrkosten zu den Kosten des Rechtsstreits oder zu den Kosten des Vergleichs gehören. Die Frage hat der Bundesgerichtshof nun mit Beschluss vom 14.06.2017 – I ZB 1/17 beantwortet.
Sachverhalt
Der Kläger hatte eine Teilstufenklage mit einem Streitwert von 10.000 EUR erhoben. Im Termin zur mündlichen Verhandlung (über die Auskunftsstufe) schlossen die Parteien aber einen Vergleich, im Rahmen dessen sich die Beklagte verpflichtete, an den Kläger 107.000 EUR zu zahlen und mit dem sämtliche wechselseitige Ansprüche abgegolten sein sollten. Die Kosten des Rechtsstreits sollte die Beklagte tragen, die Kosten des Vergleichs gegeneinander aufgehoben werden. Der Kläger beantragte später im Kostenfestsetzungsverfahren, die volle Terminsgebühr aus einem Streitwert von 107.000 EUR (d.h. in Höhe von 1.803,60 EUR) gegen den Beklagten festzusetzen, da es sich bei der Terminsgebühr um Kosten des Rechtsstreits handele. Die Rechtspflegerin vertrat hingegen die Ansicht, zu den Kosten des Rechtsstreits gehöre die Terminsgebühr nur aus einem Streitwert von 10.000 EUR (d.h. in Höhe von 669,60 EUR); die darüber hinausgehende Terminsgebühr gehöre zu den Kosten des Vergleichs. Sie setzte daher insoweit lediglich 669,60 EUR gegen den Beklagten fest. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde blieb erfolglos.

Das Gericht trifft in seinem Urteil nur eine Kostengrundentscheidung, auch in einem Vergleich wird i.d.R. nur dem Grunde nach eine Regelung über die Kosten getroffen. Welche Kosten im Einzelnen darunter fallen, ist im späteren gesonderten Kostenfeststellungsverfahren gem. § 104 ZPO zu entscheiden. Für das Kostenfestsetzungsverfahren zuständig ist der Rechtspfleger (§ 21 Nr. 1 RPflG). Ein Anwalt verdient in einem normalen Prozess grundsätzlich eine 1,3 Verfahrensgebühr und eine 1,2 Terminsgebühr. Hinzu kommt im Fall eines Vergleichsschlusses noch eine 1,0 Einigungsgebühr. Damit wäre das Kostenfestsetzungsverfahren hier noch einfach gewesen: Die Kosten des Rechtsstreits sollte der Beklagte tragen, also konnte der Kläger die Gerichtskosten sowie die Verfahrens- und die Terminsgebühr vom Beklagten verlangen und deshalb gegen diesen festsetzen lassen. Da die Kosten des Vergleichs gegeneinander aufgehoben werden sollten, hatte der Kläger die für seinen Proozessbevollmächtigten anfallende Einigungsgebühr hingegen selbst zu tragen. Schwierig wurde es aber, weil der Wert des Vergleichs viel höher war als der des Rechtsstreits. Und das erhöht nicht nur die Einigungsgebühr (die der Kläger ja ohnehin tragen musste), sondern auch die Terminsgebühr: Da ja auch über weitere Ansprüche verhandelt worden war, die in den Vergleich aufgenommen wurden, fiel die Terminsgebühr nicht nur aus einem Streitwert von 10.000 EUR an, sondern aus einem Streitwert von 107.000 EUR. Und nun stellte sich die Frage, wie der höhere Wert der Terminsgebühr anzusetzen war: Gehört die Terminsgebühr insgesamt zu den Kosten des Rechtsstreits und war deshalb gegen die Beklagte festzusetzen? Oder gehört die Terminsgebühr lediglich in „ursprünglicher“ Höhe aus einem Streitwert von 10.000 EUR zu den Kosten des Rechtsstreits, im Übrigen aber zu den Kosten des Vergleichs und war deshalb vom Kläger selbst zu tragen? Die Vorinstanzen hatten sich der zweiten Auffassung angeschlossen und die höhere Terminsgebühr deshalb im Kostenfestsetzungsbeschluss außen vor gelassen.
Entscheidung
Auch mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde hatte der Kläger keinen Erfolg.

„1. Wie das Beschwerdegericht zu Recht angenommen hat, ist zwar durch die Erörterung nicht rechtshängiger Ansprüche mit dem Ziel einer Einigung die Terminsgebühr gemäß Nr. 3104 VV RVG aus einem Streitwert von 107.100 € entstanden (…). Das folgt bereits aus dem Wortlaut von Nr. 3104 Abs. 2 VV RVG. Dabei ist ohne Bedeutung, ob es tatsächlich zu einer gütlichen Einigung kommt (…).

Daraus ergibt sich aber nicht, in welchem Umfang die eine oder andere Partei nach einem Vergleichsabschluss diese Kosten zu tragen hat. Dafür kommt es auf die von den Parteien im Vergleich getroffene Kostenregelung und deren Auslegung an; ein Rückgriff auf § 98 ZPO ist im Hinblick auf die getroffene Kostenvereinbarung ausgeschlossen (…). Zwischen dem Entstehen und der Erstattungsfähigkeit der Terminsgebühr ist daher zu unterscheiden (…)

2. Ob die nur durch die Einbeziehung nicht rechtshängiger Ansprüche in einen Vergleich entstehenden Teile der Verfahrens- und Terminsgebühr zu den Kosten des Vergleichs gehören, ist umstritten.

„a) Nach einer Ansicht, auf die sich die Rechtsbeschwerde stützt, gehört die Terminsgebühr insgesamt zu den Kosten des Rechtsstreits (…). Eine Aufteilung der entstandenen 1,2-fachen Terminsgebühr nach dem Wert der rechtshängigen und der nicht rechtshängigen Ansprüche mache das Kostenfestsetzungsverfahren unnötig kompliziert. Die Terminsgebühr falle unabhängig vom Vergleichsabschluss an. Sie ersetze nach dem Willen des Gesetzgebers die frühere Verhandlungs- und Erörterungsgebühr. Die Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV RVG und die Erörterungsgebühr nach früherem Recht gemäß § 31 Abs. 1 Nr. 4 BRAGO seien daher gleich zu behandeln (…) und nicht zu den Kosten des Vergleichs zu rechnen.

b) Nach anderer Ansicht gehören die nur durch die Einbeziehung nicht rechtshängiger Ansprüche in einen Vergleich entstehenden Teile der Verfahrens- und Terminsgebühr nach dem durch Auslegung zu ermittelnden Willen der Parteien regelmäßig zu den Kosten des Vergleichs (…).

c) Die letztere Ansicht trifft zu.

Zwischen der Entstehung der Terminsgebühr und ihrer Erstattung aufgrund der Kostenregelung eines Vergleichs ist zu unterscheiden. Für die Auslegung der im Vergleich getroffenen Kostenregelung kommt es daher nicht darauf an, ob für den Rechtsanwalt die Terminsgebühr auf der Grundlage aller in den Vergleich einbezogenen Ansprüche entstanden ist.

Wie das Beschwerdegericht zutreffend angenommen hat, fällt die Terminsgebühr unabhängig vom Vergleichsabschluss nur in Höhe der bis zum Beginn der Erörterungen über den Vergleichsabschluss bereits rechtshängigen Ansprüche an. Ohne den Willen der Parteien, ihre wechselseitigen Ansprüche einer umfassenden, vergleichsweisen Regelung zu unterziehen, käme es nicht zu einer Erörterung dieser weiteren Ansprüche und fiele auch keine deswegen erhöhte Terminsgebühr an.

Die nach der Kostenregelung des Vergleichs dem Parteiwillen entsprechende Unterscheidung zwischen der vom Anwalt des Klägers verdienten Terminsgebühr aus dem vollen Vergleichswert und der vom Beklagten zu erstattenden Terminsgebühr lediglich auf der Grundlage der vor Erörterung des Vergleichs rechtshängigen Ansprüche führt zwar zu einer gewissen Erschwernis im Kostenfestsetzungsverfahren. Sie erfordert indes allein eine einfache zusätzliche Berechnung, die keine Abweichung vom Parteiwillen rechtfertigt.“

Anmerkung
Die Ausführungen des BGH dürfte - wie der Senat in Rn. 10 anklingen lässt - entsprechend für die Verfahrensdifferenzgebühr gem. Ziff. 3101 Nr. 3 KV-RVG gelten (die interessanterweise nicht Gegenstand des Verfahrens vor dem BGH war). Für die Praxis sollten diese Folgen bei Abschluss eines Vergleichs unbedingt berücksichtigt werden, um nicht später im Kostenfestsetzungsverfahren eine böse Überraschung zu erleben. Sollen die Folgen dieser BGH-Entscheidung vermieden werden, sollte im Vergleich ausdrücklich klar gestellt werden, wer welche Gebühren (in welchem Umfang) trägt. Die Entscheidung selbst überzeugt mich in der Sache übrigens nicht: Dass allein der Wille der Parteien, „ihre wechselseitigen Ansprüche einer umfassenden, vergleichsweisen Regelung zu unterziehen“ dazu führen soll, dass die Mehrkosten der zusätzlich erörterten Ansprüche auch Kosten des Vergleichs sind, ist nämlich ein denkbar schlechtes Argument. Denn die Gebühren fallen genau genommen auch dann an, wenn ein Vergleich nicht zustande kommt oder widerrufen wird, ausreichend ist, dass die Parteien „Verhandlungen vor Gericht zur Einigung über solche Ansprüche“ führen (s. LAG Hamburg, Beschluss vom 12.04.2010 - 4 Ta 5/10 für die Verfahrensdifferenzgebühr). Deshalb sprechen m.E. die besseren Gründe dafür, die Mehrkosten zu den Kosten des Rechtsstreits zu zählen. tl;dr: Die durch die Einbeziehung nicht rechtshängiger Ansprüche in einen Prozessvergleich entstehenden Mehrkosten gehören i.d.R. zu den Kosten des Vergleichs und nicht zu den Kosten des Rechtsstreits. Anmerkung/Besprechung, BGH, Beschluss vom 14.06.2017 – I ZB 1/17. Foto: ComQuat | BGH - Empfangsgebäude | CC BY-SA 3.0