Entscheidung
Das OLG hat den Beschluss aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen:
„Das Verfahren im ersten Rechtszug leidet an einem wesentlichen Mangel (§§ 113 Abs.1 FamFG, 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), hier in Gestalt einer Überraschungsentscheidung durch Verletzung der richterlichen Hinweispflicht nach § 139 Abs.2 ZPO (...).
Auf mangelnde Substantiierung darf sich ein Gericht nie stützen, bevor auf die Ergänzungsbedürftigkeit des Sachvortrages hingewiesen worden ist (…). Insoweit ist nach § 139 Abs. 2 ZPO eine Erörterung unerlässlich, wenn Tatsachenvortrag, Beweisangebote oder Anträge unvollständig, unklar oder neben der Sache sind, es sei denn, die Partei war durch eingehenden und von ihr erfassten Vortrag des Verfahrensgegners zutreffend über die Sach- und Rechtslage unterrichtet (...).
Nach diesen Grundsätzen hätte das Amtsgericht die Antragstellerin zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung spätestens im Termin am 27.06.2017 auf den seiner Ansicht nach unzureichenden Beweisantritt im Schriftsatz vom 23.06.2017 hinweisen müssen. Mangels Dokumentation eines Hinweises auf die unzureichende Substantiierung im Schriftsatz der Antragstellerin vom 23.06.2017 im Terminsprotokoll oder im Beschluss muss der Senat in Ansehung der Verfahrensrüge der Antragstellerin von der Nichterteilung des Hinweises ausgehen (...).
Ein einen gerichtlichen Hinweis entbehrlich machender Hinweis des Antragsgegners auf eine fehlende Substantiierung des Beweisvortrages in der Replik der Antragstellerin (...) ist nicht feststellbar.“
Anmerkung
Die Entscheidung zeigt einmal mehr, dass die in Teilen der untergerichtlichen Rechtsprechung
praeter legem entwickelte „Substantiierungsschere“ kaum jemals ein geeignetes Mittel darstellt, um Verfahren schnell abzuschließen. (Ganz abgesehen davon war der Sachvortrag hier übrigens wohl auch hinreichend substantiiert.) Denn die fehlende Substantiierung wird in aller Regel auf einem Rechtsirrtum beruhen, den das Gericht gem.
§ 139 Abs. 1, 2 ZPO beseitigen muss – ebenso wie auch im Falle eines zu pauschalen Bestreitens (s. nur BGH, Urteil vom 14. 10. 2004 –
VII ZR 180/03).
Ein solcher Hinweis wird m.E. außerdem - scheinbar entgegen der Ansicht des OLG - in aller Regel auch nicht deshalb entbehrlich, weil die Gegenseite darauf „hingewiesen“ und den Sachvortrag als unsubstantiiert gerügt hat. Ein gerichtlicher Hinweis wird vielmehr nur dann entbehrlich, wenn sich das Gericht davon überzeugen kann, dass der „Hinweis“ der Gegenseite den zuvor bestehenden Irrtum ausgeräumt hat. Ob dies so völlig uneingeschränkt und apodiktisch gilt, wie es das OLG in seinem Leitsatz darstellt, scheint mir allerdings nicht zweifellos. Denn die Hinweispflicht gem.
§ 139 Abs. 2 ZPO setzt ja gerade voraus, dass sich die Partei über die sie treffenden Substantiierungsanforderungen im Irrtum befindet. Ist dies erkennbar nicht der Fall, könnte eine Hinweispflicht ausnahmsweise auch entfallen. Jedenfalls
erschiene es mir aus anwaltlicher Sicht fahrlässig, nicht stets selbst zu prüfen, ob der eigene Sachvortrag vollständig ist und sich insoweit auf einen Hinweis des Gerichts zu verlassen. Dürfte ich den Leitsatz formulieren, lautete er deshalb wie folgt:
tl;dr: Ist der Sachvortrag einer Partei ergänzungsbedürftig, legt dies in aller Regel nahe, dass sich die Partei im Irrtum über die sie treffenden Substantiierungsanforderungen befindet, so dass das Gericht sie gem. § 139 Abs. 1, 2 ZPO darauf hinweisen muss, bevor es den Sachvortrag unberücksichtigt lassen darf. Anmerkung/Besprechung, OLG Brandenburg, Beschluss vom 13.02.2020 – 13 UF 127/17. Foto: © Ehssan Khazaeli