OLG Celle: Verzögerungsgebühr gem. § 38 GKG wegen Verstoßes gegen § 141 ZPO

Bild des OLG CelleDie Besprechung der Entscheidung des OLG Celle vom 03.07.2017 – 11 U 164/16 zum Verhältnis von anwaltlichem Sachvortrag und persönlicher Anhörung ist seit langer Zeit der am meisten kommentierte Beitrag hier im Blog. Nun hat das OLG Celle mit Beschluss vom 28.08.2017 – 11 W 31/17 „nachgelegt“ (vielen Dank übrigens an den anonymen Hinweisgeber) – und wie es scheint, sammelt die betreffende Anlegerkanzlei im Großraum Hannover nach wie vor keine Freundschaftsanfragen.
Sachverhalt
Bekanntlich hatten die Klägervertreter in Hannover und Celle mit den persönlichen Anhörungen ihrer Mandanten eher schlechte Erfahrungen gemacht, da sich der Eindruck aufdrängte, die Schilderungen der behaupteten Aufklärungspflichtverletzungen entstammten eher Textbausteinen der Prozessbevollmächtigten als der Erinnerung der Mandanten. Wohl vor diesem Hintergrund entschlossen sich die Klägervertreter, den Mandanten trotz Anordnung des persönlichen Erscheinens von einer Teilnahme abzuraten und erklärten stattdessen im Termin, dass die Mandanten nicht kämen, weil keine Gründe mitgeteilt seien, warum diese kommen sollten. Darauf wollte sich das Landgericht Hannover nicht einlassen. Es verhängt aber kein Ordnungsgeld gem. § 141 Abs. 3 Satz 1 ZPO sondern erhob - nach vorheriger Gewährung rechtlichen Gehörs - vom Kläger gem. § 38 GKG eine weitere Gerichtsgebühr aus dem vollen Streitwert von 42.000 EUR (511 EUR). Dagegen wendete sich der Kläger mit der sofortigen Beschwerde (§ 69 GKG).

Gem. § 141 Abs. 1 Satz 1 ZPO soll das Gericht das persönliche Erscheinen der Parteien anordnen „wenn dies zur Aufklärung des Sachverhalts geboten erscheint“. Diese Regelung ist äußerst sinnvoll: Denn wenn die Parteien über Vorgänge streiten, die eine oder beide Parteien selbst wahrgenommen haben, ist eine Befragung der Partei(en) zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts oft besser geeignet als jede Beweisaufnahme. Hier war der Kläger trotz Anordnung und Ladung nicht erschienen. Das Gericht hätte deshalb gem. § 141 Abs. 3 Satz 1 ZPO gegen den Kläger ein Ordnungsgeld festsetzen können. Es hat sich aber entschieden, stattdessen gegen den Kläger eine Verzögerungsgebühr gem. § 38 GKG zu verhängen.
Entscheidung
Mit der Erhebung der Verzögerungsgebühr war das OLG völlig einverstanden:

„Die nach § 69 GKG statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg. Die angefochtene Entscheidung des Landgerichts ist von Rechts wegen nicht zu beanstanden. […]

1. Der Kläger meint, es stehe gar nicht fest, dass sein Prozessbevollmächtigter Fragen des Gerichtes nicht selbst hätte beantworten können.

Diese Ausführungen sind rechtsirrig. Sie lassen erkennen, dass der Kläger den Sinn und Zweck einer persönlichen Anhörung der Partei nach § 141 ZPO noch nicht hinreichend verinnerlicht hat. Dieser liegt darin, die Partei unmittelbar selbst zu dem streitgegenständlichen Geschehen anzuhören. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers kann keine eigenen Angaben zu dem konkreten Ablauf und Inhalt der streitgegenständlichen Beratungsgespräche machen, da nicht er, sondern allein der Kläger an diesen teilgenommen hat. (…)

Zu bedenken ist in diesem Rahmen (...) auch das gerichtsbekannte (auch im vorliegenden Verfahren als Anlage B 2 vorgelegte) vorgerichtliche Schreiben vom 24. März 2014 der Rechtsanwälte, von denen sich auch der hiesige Kläger vertreten lässt, das nach seinem äußeren Anschein geeignet ist, den Eindruck zu erwecken, als würden die Rechtsanwälte dieser Kanzlei ihre im Namen ihrer jeweiligen Mandanten getätigten Schriftsätze zumindest zum Teil aus vorgefertigten Satzbausteinen zusammensetzen und insoweit zumindest zum Teil tatsächlichen Vortrag halten, der nicht den jeweiligen tatsächlichen Gegebenheiten entspricht, sondern der für ihren jeweiligen Mandanten günstig ist. Denn auf diesem Anwaltsschreiben sind – offenbar versehentlich nicht gelöscht – standardisierte Eingabebefehle für Textbausteine abgebildet, die – zumindest zum Teil – zum Inhalt haben, den jeweiligen Bearbeiter anzuhalten, vorformulierten Tatsachenvortrag zu verwenden, unabhängig davon, ob dieser mit den tatsächlichen Gegebenheiten des jeweiligen Falles im Einklang steht. (...)

2. Der Kläger lässt vortragen, dass „in einer Vielzahl von Verfahren vor dem Landgericht Hannover das Gericht zwar das persönliche Erscheinen der Parteien angeordnet hat, die dann aber vergeblich angereist seien, weil das Gericht nicht eine einzige Frage zu stellen hatte“.

Dieses Vorbringen ist ohne rechtliche Relevanz. Selbst wenn das vorgenannte tatsächliche Vorbringen des Klägers zutreffend wäre (was dahinstehen kann), würde dies nicht bedeuten, dass sich eine Partei einer Anordnung des Gerichts, persönlich zu dem Verhandlungstermin zu erscheinen, einfach eigenmächtig widersetzen darf. Vielmehr ist einer derartigen Anordnung des Gerichts vom Grundsatz her (zu Ausnahmen siehe nachfolgend Ziffer 3) zwingend Folge zu leisten.

3. Der Kläger trägt vor, in der Ladung (…) sei zwar sein persönliches Erscheinen angeordnet worden, indes ohne einen Hinweis bezüglich des Grundes. Er meint, er habe daher davon ausgehen können, dass sein persönliches Erscheinen nur deshalb angeordnet worden sei, weil es um die Frage eines Vergleiches gegangen sei. Er habe nicht damit rechnen müssen, dass persönliche Fragen an ihn gestellt werden.

a) Das greift schon deshalb nicht durch, weil diese Argumentation von einem hier nicht einschlägigen Sachverhalt ausgeht. Anders, als der Kläger vortragen lässt, ist in der Ladung (…) das persönliche Erscheinen des Klägers ausdrücklich zum Zwecke der Erörterung und Sachaufklärung angeordnet worden.

b) Selbst wenn im Übrigen die Anordnung des persönlichen Erscheinens in der Ladung nicht konkret begründet worden wäre, wäre diese für den Kläger verbindlich gewesen. (…)

4. Der Kläger meint, dass ein neuer Termin nicht allein wegen seines persönlichen Ausbleibens erforderlich sei, sondern auch wegen der Durchführung einer Beweisaufnahme. Das ist nicht richtig. (…)

5. Der Kläger rügt, dass ihm eine Verzögerungsgebühr in Höhe einer vollen Gerichtsgebühr auferlegt worden sei, er aber lediglich auf die Möglichkeit eines Ordnungsgeldes hingewiesen worden sei, welches in der Regel zwischen 200 € und 300 € betrage. Zudem lasse sich der angefochtenen Entscheidung nicht entnehmen, dass das Landgericht bei der Verhängung einer vollen Verfahrensgebühr sein ihm zukommendes Ermessen ausgeübt habe.

Das greift nicht durch. (...) Die Erforderlichkeit eines vorherigen Hinweises wie in § 141 Abs. 3 Satz 3 ZPO sieht die Vorschrift des § 38 GKG nicht vor. Die Verhängung eines Gebührensatzes von 1,0 entspricht nach dem Gesetzeswortlaut des § 38 Satz 1 GKG dem Regelfall (…). Lediglich ausnahmsweise kann das Gericht nach seinem pflichtgemäßen Ermessen gemäß § 38 Satz 2 GKG unter Berücksichtigung der Umstände eine Ermäßigung bis auf eine Gebühr von 0,3 durchführen (…).

Entgegen der Rüge des Klägers hat das Landgericht in dem angefochtenen Beschluss eine Ermessensausübung vorgenommen. Es hat ausgeführt, dass eine erneute Terminierung erst wieder zum 13. Juni 2018 erfolgen könne und die Beklagte hierdurch dem Risiko ausgesetzt sei, im Fall des Unterliegens deutlich höhere Prozesszinsen zahlen zu müssen. Diese Erwägungen sind gut nachvollziehbar und von Rechts wegen nicht zu beanstanden.“

So weit, so interessant aber unspektakulär. Dann gibt der Senat dem Landgericht aber auch noch eine „Segelanweisung“ mit auf den Weg, und die hat es in sich:

„Im Hinblick auf die Argumentation des Klägers, dass ihm dann, wenn das Landgericht anstelle eines Vorgehens nach § 38 GKG die Verhängung eines Ordnungsgeldes nach § 141 Abs. 3 ZPO gewählt hätte, ein solches lediglich in Höhe von ca. 200 bis 300 € gedroht hätte, möchte der Senat anmerken, dass das Gegenteil der Fall sein dürfte.

Im Hinblick darauf, dass – wie gerichtsbekannt ist – die Rechtsanwälte, von denen sich der Kläger in dem vorliegenden Verfahren vertreten lässt, inzwischen bereits diverse Male ihre jeweiligen Mandanten dazu angehalten haben, einer Anordnung des persönlichen Erscheinens durch das Landgericht Hannover nicht Folge zu leisten, dürfte es nämlich geboten sein, zukünftig in Fällen vergleichbarer Art den Ordnungsgeldrahmen des § 141 Abs. 3 ZPO (5 € bis 1.000 €) auszuschöpfen. Dem liegen folgende Erwägungen zugrunde:

aa) Zweck der Vorschrift des § 141 Abs. 3 Satz 1 ZPO ist nicht, eine vermeintliche Missachtung des Gerichts zu ahnden, sondern die Aufklärung des Sachverhalts zu fördern (…). Ein Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten braucht sich die Partei, die unentschuldigt einer Anordnung des persönlichen Erscheinens nicht Folge geleistet hat, nicht als etwaiges Verschulden zurechnen zu lassen, da die Vorschrift des § 85 Abs. 2 ZPO im Rahmen von § 141 Abs. 3 ZPO nicht zur Anwendung kommt (…).

bb) Der Senat schließt sich dieser Auffassung an. Er meint jedoch, dass in besonders gelagerten Ausnahmefällen hiervon eine Ausnahme möglich sein muss, wenn nämlich anderenfalls durch das Verhalten einer bestimmten Rechtsanwaltskanzlei die ordnungsgemäße Funktion der ordentlichen Gerichtsbarkeit gefährdet zu werden droht sowie die Partei, die durch die Auferlegung eines (hohen) Ordnungsgeldes nach § 141 Abs. 3 ZPO als solches zunächst belastet wird, im Ergebnis diese Belastung wirtschaftlich nicht trifft, weil im Innenverhältnis zu ihrem Prozessbevollmächtigten Letzterer das verhängte Ordnungsgeld zu tragen hat.

Diese Voraussetzungen sieht der Senat bei den Rechtsanwälten als gegeben an, von denen sich auch der Kläger in dem vorliegenden Verfahren vertreten lässt. Die Prozessbevollmächtigten des hiesigen Klägers haben in inzwischen vielen Hundert Zivilverfahren vor dem Landgericht Hannover Anleger in Kapitalanlagesachen als Kläger vertreten. Es ist senatsbekannt, dass die Prozessbevollmächtigten des hiesigen Klägers in inzwischen diversen Verfahren ihren jeweiligen Mandanten angeraten haben, einer Anordnung des Landgerichts zum persönlichen Erscheinen nicht Folge zu leisten.

In jüngerer Zeit ist das Landgericht Hannover dazu übergegangen, in derartigen Fällen nach § 141 Abs. 3 ZPO Ordnungsgelder bzw. besondere Gebühren nach § 38 GKG zu verhängen. Allein bei dem Senat waren diesbezüglich in der jüngeren Vergangenheit mehrere Beschwerdeverfahren anhängig (…). In jedem dieser Beschlussverfahren sind die Rechtsanwälte, die auch den Kläger in dem vorliegenden Verfahren vertreten, sowohl vom Landgericht wie auch vom Senat nachdrücklich darauf aufmerksam gemacht worden, dass entgegen ihrer Rechtsauffassung eine Partei gerade nicht berechtigt ist, sich einer Anordnung des persönlichen Erscheinens durch das Gericht eigenmächtig zu widersetzen.

Das vorliegende Verfahren zeigt, dass die Rechtsanwaltskanzlei, von der sich der Kläger in dem vorliegenden Verfahren vertreten lässt, sich auch weiterhin als berechtigt ansieht, prozessleitenden Anordnungen des Landgerichts Hannover entgegen zu wirken. Dieses Verhalten führt dazu, dass die Arbeitsabläufe der betreffenden Zivilkammern beim Landgericht Hannover, die mit (Kapitalanlage-)Verfahren befasst sind, in denen sich die jeweiligen Kläger von dieser Rechtsanwaltskanzlei vertreten lassen, in erheblicher Weise beeinträchtigt werden. (…)

In diesem speziellen und besonders gelagerten Ausnahmefall sieht es der Senat deshalb als vertretbar und (dringend) geboten an, ausnahmsweise im Rahmen der Bemessung des Ordnungsgeldes nach § 141 Abs. 3 ZPO der betroffenen Partei das Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten zuzurechnen. Dies erscheint auch deshalb als nicht unbillig, weil jedenfalls bei einer Fallgestaltung, wie sie vorstehend beschrieben worden ist, die jeweilige Partei im Ergebnis das Ordnungsgeld nicht selbst wird bezahlen müssen. Mit ihrer – rechtsirrigen – Auskunft an ihren jeweiligen Mandanten, der Anordnung des persönlichen Erscheinens durch das Gericht nicht Folge leisten zu müssen, haben sich die Rechtsanwälte, von denen sich auch der Kläger in dem vorliegenden Verfahren vertreten lässt, nämlich ihrem jeweiligen Mandanten gegenüber schadensersatzpflichtig gemacht (…), weshalb der betroffenen Partei gegen ihren Prozessbevollmächtigten ein (Regress-)Anspruch dahingehend zusteht, dass dieser sie von dem verhängten Ordnungsgeld freistellt.“

Anmerkung
Ob das noch souverän oder nicht doch schon eher hilflos klingt, mag jeder für sich beantworten. Dass ein Oberlandesgericht ein nachgeordnetes Gericht auffordert, sich gegen eine allgemein (und auch vom BGH, s. Beschluss vom 22.06.2011 - I ZB 77/10) vertretene Ansicht zu stellen, nur um lästige Prozessbevollmächtigte zu maßregeln, dürfte aber Seltenheitswert haben. Und viel wichtiger: Es gibt gar keinen wirklichen Grund dafür. Denn die Lösung über den weitgehend unbekannten § 38 GKG hat gerade den Charme, dass die „Sanktion“ einen Betrag von 1.000 EUR (Art. 6 Abs. 1 EGStGB) übersteigen kann (allerdings erst ab einem Streitwert von über 95.000 EUR). Und vor allem ist nach allgemeiner Ansicht § 85 Abs. 2 ZPO anwendbar. Mit der kaum bekannten Regelung des § 38 GKG befasst sich übrigens ausführlich der Kollege Krbetschek in der NJW 2017, 517 und plädiert mit guten Argumenten dafür, die Vorschrift insbesondere auch bei einer Flucht in die Säumnis anzuwenden (ebenso jüngst OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27.11.2015 - 1 W 47/15). tl;dr: Erscheint eine Partei schuldhaft nicht, obwohl ihr persönliches Erscheinen angeordnet war, und wird nur dadurch der Rechtsstreit verzögert, kann von der Partei eine Verzögerungsgebühr gem. § 38 GKG erhoben werden. Ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten ist der Partei gem. § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen. Anmerkung/Besprechung, OLG Celle, Beschluss vom 28.08.2017 – 11 W 31/17. Foto: Forevermore, OLG Celle AltbauCC BY-SA 3.0