OLG Celle: Klage unschlüssig, wenn sich Kläger in persönlicher Anhörung (§ 141 ZPO) kaum erinnern kann

Bild des OLG CelleDie persönliche Anhörung der Parteien gem. § 141 Abs. 1 Satz 1 ZPO fördert nicht selten einen vom Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze doch erheblich abweichenden Sachverhalt zutage. Welche prozessualen Folgen es hat, wenn sich in der persönlichen Anhörung herausstellt, dass sich die Partei kaum noch an den im Streit stehenden Sachverhalt erinnert, hat das OLG Celle in einem aktuellen Beschluss vom 03.07.2017 – 11 U 164/16 entschieden.
Sachverhalt
In einer Kapitalanlagesache hatte die Klägerin schriftsätzlich vorgetragen, über eine Vielzahl von Risiken der von ihr gezeichneten Anlage nicht aufgeklärt worden zu sein; zum Beweis hatte sie sich auf das Zeugnis ihres Ehemanns berufen. Die Beklagte behauptete, der Klägerin sei im Rahmen des Beratungsgespräches ein Prospekt übergeben worden, in dem (unstreitig) die erforderliche Aufklärung enthalten war. Die Übergabe des Prospektes wurde von der Klägerin schriftsätzlich bestritten. Im Rahmen der persönlichen Anhörung (§ 141 ZPO) erklärte die Klägerin dann, sich an den Inhalt des Beratungsgesprächs nicht mehr besonders gut erinnern zu können. Außerdem wich ihre Schilderung teilweise erheblich von dem vorherigen schriftsätzlichen Vortrag ihrer Prozessbevollmächtigten ab. Das Landgericht wies die Klage deshalb ab. Nach Durchführung der persönlichen Anhörung der Klägerin könne nicht beurteilt werden, ob diese ordnungsgemäß aufgeklärt worden sei oder nicht. Die Klägerin habe nach Einschätzung der Kammer keine eigene belastbare Erinnerung mehr an die Beratungssituation; die Behauptungen, die ihre Prozessbevollmächtigten schriftsätzlich in ihrem Namen aufgestellt hätten, seien letztlich Behauptungen „ins Blaue hinein“.

Gem. § 141 Abs. 1 Satz 1 ZPO soll das Gericht das persönliche Erscheinen der Parteien anordnen, „wenn dies zur Aufklärung des Sachverhalts geboten erscheint“. Diese Regelung ist äußerst sinnvoll: Denn wenn die Parteien über Vorgänge streiten, die eine oder beide Parteien selbst wahrgenommen haben, ist eine Befragung der Partei(en) zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts oft besser geeignet als jede Beweisaufnahme. Hier stellte sich das Problem, dass die Klägerin über ihre Anwälte einen ganz bestimmten Inhalt des Beratungsgesprächs vorgetragen hatte (nämlich dass sie über die Risiken sämtlich nicht belehrt worden war). In der Anhörung hatte sie aber angegeben, sich an das Gespräch nicht mehr besonders gut zu erinnern. Fraglich war nun, wie das Gericht mit diesem Widerspruch umgehen musste.
Entscheidung
Das OLG hat den Vortrag der Klägerin zu den behaupteten Pflichtverstößen ebenfalls für unschlüssig gehalten. Der Senat referiert zunächst die in Bezug auf die Darlegungslast betreffend eine Anlageberaterpflichtverletzung geltenden Grundsätze:

„aa) Hat der Anleger aufgrund des Zeitablaufs keine Erinnerung mehr daran, ob über das jeweilige Risiko im mündlichen Beratungstermin eine Aufklärung durch den Berater erfolgt ist oder hat er an die (Nicht-)Übergabe des Prospektes, in dem eine schriftliche Aufklärung über das jeweilige Risiko enthalten ist, keine Erinnerung mehr, so fehlt einer anderslautenden schriftsätzlichen Behauptung die tatsächliche Grundlage.

Räumt der Anleger etwa im Rahmen seiner Anhörung nach § 141 ZPO ein, sich an die Umstände der Beratung/Prospektübergabe nicht erinnern zu können, so wäre dazu in Widerspruch stehender schriftsätzlicher Vortrag unbeachtlich.

bb) Etwaige Lücken oder Widersprüche in schriftsätzlichen Behauptungen des Anlegers dürften Anlass geben, den klagenden Anleger gemäß § 141 ZPO persönlich anzuhören. Gelingt es diesem im Rahmen seiner Anhörung sodann nicht, vorhandene Widersprüche im Sachvortrag nachvollziehbar zu erklären, würde auch dies zur Unschlüssigkeit des Klagevorbringens führen.

cc) Bleibt im Rahmen der Anhörung zweifelhaft, ob der Anleger sich an die Umstände der Beratung/Prospektübergabe noch erinnert, so wird die Schlüssigkeit seines Vorbringens davon abhängen, ob er tatsächliche Anhaltspunkte benennt, die zumindest die im Rahmen seiner Anhörung aufgestellte konkrete Behauptung aus seiner Sicht als wahrscheinlich erscheinen lassen.“

Gemessen daran habe das Landgericht die Klage zu Recht mangels schlüssigen Vortrags zur Pflichtverletzung abgewiesen:

„Das Landgericht ist in berufungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, dass zwischen dem schriftsätzlichen Vorbringen der Klägerin und deren Angaben im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung nach § 141 ZPO Widersprüche und Unklarheiten in einem Ausmaß aufgetreten sind, dass das Klagvorbringen nicht als schlüssig angesehen werden kann.

aa) Die Klägerin hat in der Klageschrift in Bezug auf jedes einzelne Risiko, auf das sie ihre Klageansprüche stützt, vorgetragen, dass sie über das jeweilige Risiko nicht aufgeklärt worden sei. […]

bb) Dieses schriftsätzliche Vorbringen der Klägerin steht im Widerspruch zu den Angaben, die die Klägerin im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung nach § 141 ZPO in dem Termin vom 2. November 2016 vor dem Landgericht gemacht hat.

Ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 2. November 2016 hat die Klägerin zunächst angegeben, dass „schon über Risiken besprochen worden ist, aber nicht in dem Sinne, dass eine Anlage das Risiko eines Totalverlustes haben könnte“.

Bereits mit dieser Erklärung hat die Klägerin ihrem bis dahin gehaltenen schriftsätzlichen Vorbringen den Boden entzogen, da – wie ausgeführt – hierin noch uneingeschränkt behauptet worden ist, dass überhaupt keine Aufklärung über Risiken erfolgt sei.

Sodann hat die Klägerin angegeben, dass die Berater „immer anhand der schon genannten Flyer aufgeklärt“ hätten. Auch insoweit räumt die Klägerin also eine Aufklärung durch die Berater ein, die schriftsätzlich noch gänzlich in Abrede genommen worden ist. Schließlich hat die Klägerin ausweislich der Sitzungsniederschrift Folgendes angegeben:

„Ich habe keine Erinnerung daran, dass über Risiken bei allen Fonds gesprochen worden sind, ich kann es aber nicht ausschließen, dass über Risiken besprochen wurde. Das ist zu lange her. Ich bringe die einzelnen Fondsbeteiligungen auch nicht mehr sicher auseinander“.

cc) Mit diesen persönlichen Erklärungen ist das vorherige schriftsätzliche Vorbringen der Klägerin, das mit diesen Angaben in Widerspruch steht, hinfällig geworden; prozessual zugrunde zu legen ist der Entscheidung des Gerichts lediglich das, was die Klägerin im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung nach § 141 ZPO erklärt hat. […]

Diesem Vorbringen hat das Landgericht in berufungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise entnommen, dass die Klägerin – wie diese letztlich ausdrücklich selbst eingeräumt hat – überhaupt keine konkreten Erinnerungen an die damaligen Vorgänge im Rahmen der jeweiligen Beratungsgespräche mehr hat und demgemäß unter Beachtung des Wahrheitsgebotes des § 138 Abs. 1 ZPO gar nicht vortragen kann, dass sie von der Beklagten nicht ordnungsgemäß über die streitgegenständlichen Anlagen beraten worden ist.

Eine Beweisaufnahme war hiernach nach allgemeinen zivilprozessualen Grundsätzen nicht erforderlich. Liegt bereits kein schlüssiger Klagevortrag vor, ist die Klage abzuweisen, ohne dass es einer Beweisaufnahme bedarf. […]“

Zum Schluss geht das OLG dann noch kurz darauf ein, dass sich die Klägerin hinsichtlich des Inhalts des Ausklärungsgesprächs auch nicht wirksam auf die Erinnerung ihre Ehemanns berufen habe, da weder aus dem schriftsätzlichen Vorbringen noch aus dem Inhalt der Anhörung klar werde, ob und inwieweit das schriftsätzliche Vorbringen konkret auf den Erinnerungen des Ehemannes beruht.
Anmerkung
Der Senat weist im Übrigen ausdrücklich darauf hin, dass die Frage, ob das Gericht die der Parteien persönlich anhört, im Ermessen des Gerichts steht und der berufungs- und revisionsrechtlichen Kontrolle entzogen ist. Eine Anhörung komme auch nicht etwa erst dann in Betracht, wenn sich die beweisbelastete Partei in Beweisnot befinde. Sie diene insbesondere dazu, etwaige Lücken und Unklarheiten im Sachvortrag aufzuklären. Bemerkenswert ist, dass sich durch die Entscheidung ein deutlich erkennbarer Unmut des Senats über die Prozessführung der Klägervertreter zieht. So weist der Senat (ohne wirklich erkennbaren Zusammenhang zum Fall) darauf hin, die Klägerin in einem Parallelverfahren habe im Rahmen ihrer Anhörung eingeräumt, Teile des schriftsätzlichen tatsächlichen Vorbringens beruhten nicht den Angaben, die sie gegenüber ihren Prozessbevollmächtigten gemacht habe, sie habe im Übrigen zumindest zum Teil gar nicht verstanden, was ihre Prozessbevollmächtigten in ihrem Namen vorgetragen haben. Update vom 04.01.2019: Der Bundesgerichtshof hat den Beschluss durch Beschluss vom 07.06.2018 - III ZR 210/17 aufgehoben und dies namentlich auf die Erwägung gestützt, der Vortrag der Klägerin könne nur so verstanden werden, dass sie ihren Vortrag auf die Erinnerung ihres Ehemanns stütze. tl;dr: Hat eine Partei an einen Vorgang keine konkrete eigene Erinnerung mehr und stellt sie über diesen Vorgang trotzdem „ins Blaue hinein“ Behauptungen auf, so ist der entsprechende Vortrag prozessual unbeachtlich. Anmerkung/Besprechung, OLG Celle, Beschluss vom 03.07.2017 – 11 U 164/16. Foto: Forevermore, OLG Celle AltbauCC BY-SA 3.0