OLG Celle zur Zulässigkeit von Wideranträgen/Gegenanträgen im einstweiligen Rechtsschutz

Neben den beiden hier in jüngster Zeit besprochenen Entscheidungen (s. hier und hier) eine weitere interessante Entscheidung des OLG Celle ist der Beschluss vom 27.06.2017 – 2 U 63/17. Darin geht es aber nicht erneut um § 141 ZPO, sondern um die seit langem umstrittene Frage, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen Gegenanträge bzw. Wideranträge im einstweiligen Rechtsschutz zulässig sind.
Sachverhalt
Der Verfügungskläger hatte vom Verfügungsbeklagten ein Bürogebäude und eine Halle gemietet (gepachtet?), in der er eine Fahrzeugaufbereitungsanlage betrieb. Der Vertrag lief allerdings wenig gedeihlich, die Parteien stritten in der Folge über verschiedene Pflichten aus dem Mietvertrag, insbesondere über die Nutzung von Parkplätzen und die Einleitung von unbehandeltem Schmutzwasser in die Kanalisation. Der Vermieter kündigte den Mietvertrag deshalb schließlich mit Schreiben vom 22.03.2017 zum 31.03.2017. Da der Mieter die Objekte nicht räume, wechselte der Vermieter am 03.04.2017 die Türschlösser an beiden Objekten aus. Der Mieter beantragte daraufhin, ihm im Wege einer einstweiligen Verfügung den Besitz an beiden Objekten wieder einzuräumen; das Landgericht erließ die beantragte einstweilige Verfügung durch Beschluss. Dagegen wendete sich der Verfügungsbeklagte mit seinem Widerspruch und machte geltend, der Austausch der Schlösser sei zulässig gewesen, weil er vom Verfügungskläger wiederholt beleidigt und bedroht worden sei. Im Wege einer Widerklage bzw. eines Widerantrags begehrte der Verfügungsbeklagte außerdem, es dem Verfügungskläger zu untersagen, u.a. unbehandeltes Wasser in die Kanalisation einzuleiten und andere als die von ihm gemieteten Parkplätze zu nutzen. Das Landgericht hat die geltend gemachten Gegenanträge mangels Dringlichkeit abgewiesen. Dagegen wendet sich der Verfügungsbeklagte mit der Berufung.

Das Landgericht (keine ausschließliche Zuständigkeit des Amtsgerichts gem. § 23 Nr. 2 lit. a) GVG, weil es nicht um einen Mietvertrag über Wohnraum ging!) hatte die begehrte einstweilige Verfügung hier antragsgemäß durch Beschluss erlassen, ohne dem Antragsgegner rechtliches Gehör zu gewähren. Der Anspruch ergab sich unproblematisch aus § 861 BGB und bei Besitzschutzansprüchen wegen verbotener Eigenmacht ist ein Verfügungsgrund (die besondere Dringlichkeit) entbehrlich. Gegen den Beschluss hatte der Antragsgegner gem. §§ 936, 924 ZPO Widerspruch eingelegt, so dass mündlich zu verhandeln war, §§ 936, 924 Abs. 2 Satz 2 ZPO. Gleichzeitig hatte der Verfügungsbeklagte im Wege der Widerklage (bzw. eines Gegen- oder Widerantrags) Unterlassungsansprüche gegen den Verfügungskläger geltend gemacht. Fraglich war deshalb, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen ein solcher Widerantrag im einstweiligen Rechtsschutz zulässig ist.
Entscheidung
Das OLG hat gem. § 522 Abs. 2 ZPO darauf hingewiesen, dass die Berufung im Ergebnis offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg haben dürfte.

„Die Gegenanträge des Verfügungsbeklagten waren bereits nicht zulässig.

1. [Der] neunte Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle [hat zwar] in einer Entscheidung vom 11. März 1959 (NJW 1959, 1833) die Zulässigkeit eines Gegenantrages im einstweiligen Verfügungsverfahren allgemein (nur) aus Gründen der Praktikabilität bejaht und ergänzend auf die Möglichkeit einer Verfahrensverbindung hingewiesen (a.a.O.).

2. Diese Erwägungen vermögen aber nicht zu überzeugen. Allein Praktikabilität vermag niemals die Zulassung bestimmter Verfahren zu rechtfertigen. Entscheidend ist allein, dass die verfahrensrechtlichen Vorschriften eine entsprechende Regelung vorsehen. Daran fehlt es aber im vorliegenden Fall.

Denn § 33 ZPO ist gerade nicht direkt anwendbar, weil Arrest und einstweiliges Verfügungsverfahren keine Klage sind und eine andere Prozessart als das ordentliche Verfahren darstellen, so dass eine Widerklage ausgeschlossen ist (…).

Für eine analoge Anwendung des § 33 ZPO fehlt es aber am Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke. Auch der Hinweis auf die Möglichkeit einer Verfahrensverbindung überzeugt nicht (...).

3. Letztlich kann die abschließende Entscheidung der Frage, ob Gegenanträge generell unzulässig sind, dahingestellt bleiben. Denn selbst wenn der Kommentarliteratur gefolgt würde, wären die dort genannten Voraussetzungen erst dann erfüllt, wenn die einstweiligen Verfügungen denselben Streitgegenstand betreffen bzw. einen engeren Sachzusammenhang aufweisen.

Diese Voraussetzung wäre beispielsweise erfüllt, wenn der Antragsteller im Wege der einstweiligen Verfügung die Herausgabe bestimmter auf einer Baustelle weggeschlossener Baumaterialien verlangt, während der Antragsgegner im Wege eines (Gegen-)Antrages begehrt, dem Antragsteller aufzugeben, die Entfernung der Baumaterialien zu unterlassen […]. Gleiches gilt für den Fall, dass der Antragsteller im Wege einer einstweiligen Verfügung den Erlass eines Verbotes begehrt, ein Hotelschiff aus dem Hafen zu entfernen, während der Antragsgegner seinerseits Herausgabe des Schiffes an sich verlangt […].

Ein vergleichbarer Fall ist vorliegend aber ersichtlich zu verneinen. Denn die Gegenanträge betreffen völlig andere Streitgegenstände, bei denen gänzlich andere Ansprüche mit gänzlich anderen tatbestandlichen Voraussetzungen zu prüfen sind. In einem solchen Fall kann nicht davon gesprochen werden, der Gegenantrag sei prozessökonomisch sinnvoll und sachdienlich. Im Gegenteil liegt auf der Hand, dass die Gegenanträge eine zügige Entscheidung über den Antrag des Antragstellers gefährden.

Das gilt erst recht im vorliegenden Fall, in dem die behaupteten Vertragsverletzungen schon lange vor der Stellung der Gegenanträge begangen worden sein sollen und dann erstmals nach Vornahme einer verbotenen Eigenmacht zum Anlass genommen werden, Gegenanträge zu stellen. Ein solches Verhalten ist ersichtlich rechtsmissbräuchlich.“

Anmerkung
Das entspricht der restriktiven Linie beispielsweise auch des OLG Frankfurt (Beschluss vom 20.10.2011 - 6 U 101/11), auf den sich das OLG überwiegend bezieht (allerdings unter einem falschen Aktenzeichen). Ob das OLG die Anträge (wären sie nicht ersichtlich mangels Verfügungsgrundes auch unbegründet) alleine wegen ihrer Unzulässigkeit hätte zurückweisen dürfen, erscheint mir im Übrigen fraglich. Überzeugender wäre es wohl, das Verfahren entsprechend § 145 Abs. 2 ZPO abzutrennen. Hält man Gegenanträge - anders als das OLG Celle - bei identischem Streitgegenstand für zulässig (so neben der zitierten Entscheidung des OLG Celle beispielsweise Vollkommer in Zöller, §33 Rn.19; Heinrich in Musielak/Voit, §33 Rn. 14), stellt sich übrigens die äußerst interessante Frage, ob bei petitorischen Wideranträgen und gleichzeitiger Entscheidungsreife in entsprechender Anwendung von § 864 Abs. 2 BGB dem Widerantrag stattzugeben ist (s. dazu OLG Rostock, Urteil vom 03.05.2001 – 1 U 233/00; Joost in: MünchKommBGB, § 863 Rn. 12;  Dötsch, MDR 2012, 623; Lehmann-Richter, NJW 2003, 1717). tl;dr: Im Verfahren der einstweiligen Verfügung sind Gegenanträge auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zugunsten des Verfügungsbeklagten zumindest dann unzulässig, wenn sie einen anderen Streitgegenstand betreffen. (Leitsatz des OLG) Anmerkung/Besprechung, OLG Celle, Beschluss vom 27.06.2017 – 2 U 63/17. Foto: Bambi Corro | Unsplash