OLG Frankfurt: Investitions­schiedsverfahren in der EU nach „Achmea“

Die F.A.Z. berichtete am 21. Mai 2021, dass die Niederlande ein von deutschen Unternehmen gegen sie eingeleitetes ICSID-Schiedsverfahren von deutschen Gerichten für unzulässig erklären lassen wollen. In dem Schiedsverfahren verklagen die deutschen Energieerzeuger RWE und Uniper die Niederlande vor einem Schiedsgericht beim International Centre for Settlement of  Investment Disputes (ICSID) in Washington auf Schadensersatz, weil sie ihre Kohlekraftwerke in den Niederlanden ohne Entschädigung stilllegen sollen. Sie stützen ihre Ansprüche auf den Energiecharta-Vertrag. Nach dem Bericht der F.A.Z.  stützt Bas van’t Wout, der zuständige niederländische Minister, sein Vorhaben unter anderem auf eine jüngere Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt.  Das ist ein guter Anlass, um den Beschluss aus dem Februar diesen Jahres hier vorzustellen.

Sachverhalt

Vor dem Oberlandesgericht Frankfurt begehrte Kroatien als Antragstellerin die Feststellung, dass das von den Antragsgegnerinnen, einer österreichischen Bank und ihrer kroatischen Tochtergesellschaft, eingeleitete Schiedsverfahren unzulässig sei. Grundlage des Schiedsverfahrens ist Artikel 9 des Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Republik Kroatien über die Förderung und den Schutz von Investitionen aus dem Jahr 1997.* Die Antragsgegnerinnen machen als Schiedsklägerinnen Schadensersatzansprüche geltend, die sie auf Änderungen des kroatischen Insolvenzrechts und die Behauptung einer systematischen Verweigerung von Rechtsschutz durch die kroatischen Gerichte stützen. Kroatien stützte seinen Antrag auf die Achmea-Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, nach der Schiedsvereinbarungen in Intra-EU-Investitionsstreitigkeiten gegen Unionsrecht verstoßen und damit unwirksam sind (siehe Hintergrund).

Die Achmea-Entscheidung des Europäische Gerichtshof nahm ihren Ursprung in einem Investitionsschiedsverfahren auf der Grundlage eines Investitionsschutzabkommens zwischen den Niederlanden und der (damaligen) Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik aus dem Jahr 1991. Das niederländische Versicherungsunternehmen Achmea nahm die Slowakische Republik auf Schadensersatz in Anspruch; das Schiedsgericht hatte seinen Sitz in Frankfurt, was die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts Frankfurt begründete. Mit Schiedsspruch vom 7. Dezember 2012 sprach das Schiedsgericht Achmea Schadensersatz zu. Die Slowakei beantragte beim Oberlandesgericht Frankfurt, diesen Schiedsspruch aufzuheben und stützte sich dabei im Wesentlichen auf die - auch von der EU-Kommission vertretene - Rechtsauffassung, dass sogenannte Intra-EU-Investitionsschiedsverfahren unzulässig seien. Das (seinerzeit ebenfalls zuständige) Oberlandesgericht Frankfurt folgte dieser Auffassung nicht, und hielt den Schiedsspruch aufrecht (Beschluss vom 18. Dezember 2014 - 26 Sch 3/13). Im Rechtsbeschwerdeverfahren setzte der Bundesgerichtshof das Verfahren aus und legte diese Frage dem Europäischen Gerichtshof vor. (Beschluss vom 3. März 2016 - I ZB 2/15). Auf die Vorlage des Bundesgerichtshofs hin entschied der Europäische Gerichtshof (Urteil des Gerichtshofs vom 6. März 2018, Rechtssache C-284/16), dass die Art. 267 und 344 AEUV dahin auszulegen sind,

„dass sie einer Bestimmung in einer internationalen Übereinkunft zwischen den Mitgliedstaaten wie Art. 8 des Abkommens zwischen dem Königreich der Niederlande und der Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Investitionen entgegenstehen, nach der ein Investor eines dieser Mitgliedstaaten im Fall einer Streitigkeit über Investitionen in dem anderen Mitgliedstaat gegen diesen ein Verfahren vor einem Schiedsgericht einleiten darf, dessen Gerichtsbarkeit sich dieser Mitgliedstaat unterworfen hat.“

In Folge (auch) dieser Entscheidung schlossen dreiundzwanzig EU-Mitgliedstaaten im Mai 2020 das Abkommen über die Beendigung der bilateralen Investitionsschutzabkommen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union.  Es beendet alle bilateralen Investitionsschutzabkommen (BITs), die zwischen Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Estland, Frankreich, Griechenland, Kroatien, Lettland, Litauen, Malta, den Niederlanden, Polen, Portugal, Rumänien, der Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien, Ungarn, Zypern sowie Belgien und Luxemburg in Kraft sind.

Entscheidung

Das Oberlandesgericht Frankfurt gab dem Antrag Kroatiens statt:

„Der Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit des schiedsrichterlichen Verfahrens ist nach § 1032 Abs. 2 ZPO statthaft und zulässig. Das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin besteht, weil die Antragsgegnerinnen mit ihrer Schiedsverfahrensanzeige vom 14.02.2020 ein Schiedsverfahren eingeleitet haben. Der Antrag ist von der Antragstellerin auch rechtzeitig vor der Bildung des Schiedsgerichts gestellt worden, da die Parteien nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Antragstellerin zunächst nur jeweils einen parteiernannten Schiedsrichter bestellt haben und sich das Schiedsgericht mangels Bestellung eines Vorsitzenden noch nicht konstituiert hat.

Der Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit des schiedsrichterlichen Verfahrens hat auch in der Sache Erfolg, da zwischen den Parteien keine wirksame Schiedsvereinbarung besteht.

Dem Abschluss einer wirksamen Schiedsvereinbarung zwischen den Parteien steht entgegen, dass Art. 9 Abs. 2 BIT nach den vom Senat zu beachtenden Rechtsgrundsätzen der Entscheidung des EuGH in Sachen Achmea (Urteil vom 06.03.2018, C 284/16) gegen Unionsrecht verstößt und deshalb keine Grundlage für eine Schiedsbindung der Antragstellerin darstellen kann.“

Das Oberlandesgericht führt weiter aus, die EuGH-Entscheidung sei als Grundsatzentscheidung zu verstehen und erlange über den Einzelfall hinaus Bedeutung für alle bilateralen Investitionsschutzabkommen (BITs) zwischen EU-Mitgliedstaaten, also auch hier. Nach dieser Entscheidung dürfe eine internationale Übereinkunft zwischen EU-Mitgliedstaaten die „Autonomie der Rechtsordnung der Union und ihres der Gewährleistung der Kohärenz und der Einheitlichkeit der Auslegung des Unionsrechts dienenden Gerichtssystems nicht beeinträchtigen“. Innerhalb dieses Gerichtssystems sei es Sache der nationalen Gerichte und des EuGH, die uneingeschränkte Anwendung des Unionsrechts zu gewährleisten. Dabei komme dem Vorabentscheidungsverfahren bei der Gewährleistung der einheitlichen Auslegung des Unionsrechts eine Schlüsselfunktion zu. Dem Schiedsgericht sei es jedoch verwehrt, dem EuGH selbst im Wege eines Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV Fragen vorzulegen. Schiedsgerichte seien keine „Gerichte eines Mitgliedstaats“ im Sinne von Art. 267 AEUV. Es liege damit eine Beeinträchtigung der Autonomie des Unionsrechts vor. Das Oberlandesgericht setzt sich auch mit dem Einwand der Schiedsklägerinnen auseinander, die Achmea-Entscheidung des EuGH beruhe auf der Feststellung, dass das Schiedsgericht im Achmera-Fall Unionsrecht hätte auslegen oder sogar anwenden müssen, hier jedoch kein Risiko, dass das Schiedsgericht auch Unionsrecht auslege oder sogar anwende:

„Die Möglichkeit, dass ein nach Art. 9 Abs. 2 BIT zur Entscheidung berufenes Schiedsgericht auch Unionsrecht anzuwenden hat, ergibt sich bereits daraus, dass bei einer Investitionsstreitigkeit eine Anwendung des Unionsrechts als Teil des mitgliedsstaatlichen Rechts (…) schon deshalb nicht auszuschließen ist, weil das mitgliedsstaatliche Recht bei der Beurteilung einer Investitionsmaßnahme grundsätzlich zumindest als Vorfrage oder als Auslegungskriterium Bedeutung haben kann. Ein entsprechender Bezug des BIT auf Unionsrecht ergibt sich bereits aus der Regelung in Art. 11 Abs. 1 BIT, nach der sich die Anwendbarkeit des BIT auf Investitionen beschränkt, die in Übereinstimmung mit den Rechtsvorschriften des Mitgliedsstaates getätigt worden sind. Es obliegt einem Schiedsgericht danach bereits bei Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Investition im Rahmen des kroatischen oder des österreichischen Rechts, die Investition auch anhand von Unionsrecht zu beurteilen. Darüber hinaus ist die Anwendung des BIT nach dessen Art. 11 Abs. 2 ausgeschlossen, wenn es dem Unionsrecht widerspricht. Das Schiedsgericht hat daher auch in diesem Zusammenhang jedenfalls Unionsrecht heranzuziehen und als Vergleichsmaßstab zu berücksichtigen.“

Anmerkung

Angesichts der klaren Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs überrascht die Entscheidung des – zuvor in der Sache Achmea schiedsfreundlichen – Oberlandesgerichts Frankfurt nicht. Auch in diesem Fall sind die unterlegenen Parteien nach Karlsruhe gegangen. Dass der Bundesgerichtshof im Rechtsbeschwerdeverfahren die Sache anders sieht, ist nicht zu erwarten. Interessanter sind die Fragen, die das Vorhaben der Niederlande aufwirft, die Schiedsklagen der deutschen Schiedskläger vor einem ICSID- Schiedsgericht durch die Anrufung deutscher Gerichte zu unterbinden. Zwar gibt es keinen deutschen Schiedsort, die deutschen Gerichte könnten aber nach § 1062 Abs. 2 ZPO dennoch zuständig sein. Im Falle von RWE und Uniper mit Sitz in Essen wäre das nach § 1062 Abs. 5 ZPO und § 1 der nordrhein-westfälischen Verordnung über die Konzentration der gerichtlichen Entscheidungen in schiedsrichterlichen Angelegenheiten (NRWKoGeEntsVO) das Oberlandesgericht Köln - wir werden das Thema aufmerksam verfolgen.

tl;dr: Die in Art. 9 Abs. 2 des Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Republik Kroatien über die Förderung und den Schutz von Investitionen vom 19. Februar 1997 enthaltene Zuweisung von Investitionsstreitigkeiten an ein Schiedsgericht verstößt gegen Unionsrecht.

Anmerkung/Besprechung, Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 11. Februar 2021 - 26 SchH 2/20  

* Artikel 9 Beilegung von Investitionsstreitigkeiten

(1) Entstehen zwischen einer Vertragspartei und einem Investor der anderen Vertragspartei Streitigkeiten aus einer Investition, so werden diese so weit wie möglich zwischen den Streitparteien freundschaftlich beigelegt.

(2) Kann eine Streitigkeit gemäß Absatz 1 dieses Artikels nicht innerhalb von drei Monaten ab einer schriftlichen Mitteilung hinreichend bestimmter Ansprüche beigelegt werden, wird die Streitigkeit auf Antrag der Vertragspartei oder des Investors der anderen Vertragspartei den folgenden Verfahren unterworfen: [...].

b) einem Schiedsverfahren durch drei Schiedsrichter in Übereinstimmung mit den UNCITRAL-Schiedsregeln in der jeweils zum Zeitpunkt des Antrages auf Einleitung des Schiedsverfahrens nach der letzten von beiden Vertragsparteien angenommenen Abänderung geltenden Fassung. Im Falle eines Schiedsverfahrens stimmt jede Vertragspartei durch dieses Abkommen auch in Ermangelung einer individuellen Schiedsvereinbarung zwischen der Vertragspartei und dem Investor unwiderruflich im Vorhinein zu, jede solche Streitigkeit dem genannten Schiedsgericht zu unterbreiten."