OLG Frankfurt: (Sofortiges) Anerkenntnis eines Rechtsmittelantrags möglich

Wenn alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung im falschen Moment schlafen, kann es passieren, dass die klagende Partei einen prozessual schon überholten Antrag stellt. Und wenn alle dann weiterschlafen, wird diesem Antrag auch noch stattgegeben. Mit einer solchen Konstellation und den Möglichkeiten, den Rechtsstreit in einem solchen Fall kostengünstig zu beenden, hat sich das OLG Frankfurt mit Urteil vom 08.08.2017 – 16 U 47/17 befasst.
Sachverhalt
Die Klägerin machte gegen die Beklagten Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall geltend. Zwischen Klageerhebung und mündlicher Verhandlung zahlte die Haftpflichtversicherung einen Teilbetrag in Höhe von 3.527,81 EUR an die Klägerin und regulierte damit die unfallbedingten Schäden zu 50 %. Das wurde im Termin zwar auch erörtert, war aber bei Antragstellung wohl schon wieder in Vergessenheit geraten, weshalb die Klägerin den ursprünglich angekündigten Antrag (100 %) stellte, dem das Gericht auch entsprach. Nach Zustellung des Urteils fiel dem Klägervertreter der Fehler auf, er schrieb daraufhin den Beklagten, dass die Klägerin aus dem Urteil in Höhe der bereits geleisteten Zahlungen nicht vollstrecken werde. Trotzdem legten die Beklagten gegen das Urteil insoweit Berufung ein, als die Versicherung bereits an die Klägerin gezahlt hatte. Die Klägerin erklärte dazu, dass sie den Rechtsmittelantrag anerkenne und beantrage, über die Kosten der Berufung gem. § 93 ZPO zu entscheiden.

Hier hatten offenbar alle Beteiligten geschlafen, weshalb ein Urteil ergangen war, da so nicht hätte ergehen dürfen: In Höhe der Zahlung der beklagten Versicherung war die Klage wegen Erfüllung (§ 362 BGB) abweisungsreif, richtigerweise hätte die Klägerin daher für erledigt erklären müssen. Der Klägerin war dieser Fehler relativ schnell aufgefallen. Ihr Anwalt hatte daher erklärt, in Höhe des unstreitig erfüllten Teils aus dem Urteil nicht zu vollstrecken. Trotzdem hatten die Beklagten in Höhe der unberechtigten Verurteilung Berufung eingelegt und auch eine Abänderung der Kostenentscheidung begehrt. Die Klägerin hatte diesen Antrag „anerkannt“, aber hinsichtlich der Kosten des Berufungsverfahrens eine Kostenentscheidung entsprechend § 93 ZPO zu Lasten der Beklagten beantragt. Denn sie habe aufgrund des Vollstreckungsverzichts keinen Anlass dazu gegeben, Berufung einzulegen. Deshalb stellte sich die Frage, ob der Rechtsmittelantrag überhaupt anerkannt werden kann und ob ggf. eine Kostenentscheidung gem. § 93 ZPO möglich ist.
Entscheidung
Das OLG setzt sich zunächst mit der Zulässigkeit der Berufung auseinander:

„a) Mangels offensichtlicher Unrichtigkeit konnte das Urteil entgegen der Auffassung der Klägerin nicht lediglich nach § 319 Abs. 1 ZPO berichtigt werden. Der Fehler der Nichtberücksichtigung nach Klageerhebung erfolgter Zahlungen ergibt sich nicht – was erforderlich wäre […] – ohne weiteres für einen Außenstehenden aus dem Zusammenhang des Urteils.

b) Die Berufung ist auch nicht deshalb unzulässig, weil wegen des Schreibens des Klägervertreters […], mit dem den Beklagten versichert wurde, dass wegen der bereits geleisteten Zahlungen eine Vollstreckung nicht erfolgen werde, das Rechtsschutzbedürfnis fehlen würde. Die Beklagten rügen auch […] die Kostenentscheidung, was […] nur im Rahmen einer Berufung erfolgen kann.“

In der Hauptsache sei da Urteil aufgrund des Anerkenntnisses der Klägerin gem. § 307 Abs. 1 ZPO abzuändern:

„Zwar ist streitig, ob dann, wenn der in der Vorinstanz erfolgreiche Kläger und Rechtsmittelbeklagte den Rechtmittelantrag des Beklagten und Rechtsmittelführers anerkennt, ein Urteil nach § 307 Abs. 1 ZPO ergehen kann. Der Senat folgt jedoch der dies bejahenden Auffassung des OLG Stuttgart (Urteil vom 24.1.2002, 16 U UF 512/01) und macht sich dessen überzeugende Argumentation zu Eigen.

Im Wege des Anerkenntnisurteils ist deshalb unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung die Klage abzuweisen, soweit sie über einen Betrag von 3.527,81 € […] hinausgeht.“

Zuletzt wendet sich der Senat der Kostenentscheidung zu:

„Die Kosten der ersten Instanz sind abweichend von dem angefochtenen Urteil nach § 92 Abs. 1 ZPO gegeneinander aufzuheben. Dabei ist unerheblich, dass die Zahlung erst nach Klageerhebung erfolgt ist. Mangels Erledigungserklärung der Klägerin – das nach § 165 ZPO maßgebliche Protokoll der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht […] enthält insoweit keine entsprechende Erklärung – hätte die Klage in erster Instanz in Höhe der auf die Hauptforderung erfolgten Zahlung aufgrund eingetretener Erfüllung mit der entsprechenden Kostenfolge abgewiesen werden müssen.

Die Kosten der Berufung gehen nach § 91 Abs. 1 ZPO zu Lasten der Klägerin. Zwar kommt grundsätzlich die entsprechende Anwendung des § 93 ZPO mit der Maßgabe in Betracht, dass die Klägerin nicht durch ihr Verhalten Anlass zur Einlegung der Berufung gegeben hat (vgl. OLG Stuttgart, aaO.).

Diese Voraussetzungen liegen jedoch nicht vor. Zum einen hat die Klägerin erstinstanzlich die Zahlung auf die Hauptsache zwar unstreitig gestellt, es aber versäumt, ihren Antrag entsprechend umzustellen. Zum anderen hat sie zwar mit Schreiben vom 15. März 2017 gegenüber den Beklagten die Zahlungen auf die Hauptforderung und (auch auf) die Anwaltsgebühren (erneut) bestätigt und versichert, insoweit aus dem Urteil nicht zu vollstrecken; da aber – wie der Rechtsstreit zeigt – zwischen den Parteien Streit über die Kosten der ersten Instanz besteht, hatten die Beklagten keine andere Wahl, als Berufung gegen das Urteil einzulegen. Dies steht nach Auffassung des Senats der Annahme entgegen, dass die Klägerin durch ihr Verhalten keine Veranlassung zur Einlegung der Berufung gegeben hat.“

Anmerkung
Was die Möglichkeit einer Berichtigung (§ 319 ZPO) angeht, scheinen die Bedenken berechtigt; außerdem hätte man die Kostenentscheidung wohl kaum berichtigen können. Ob in der Konstellation allerdings tatsächlich durch Anerkenntnisurteil entschieden werden kann, ist sehr fraglich (und wird in der Literatur auch ganz überwiegend verneint, s. nur Zöller/Vollkommer, vor § 306 Rn. 4, BeckOK-ZPO/Elzer, § 307 Rn. 1 f.; Thomas/Putzo/Reichhold, § 306 Rn. 1). Überzeugender scheint es wohl, in dem Anerkenntnis ein Klageverzicht i.S.d. § 306 ZPO zu sehen, über den durch (Teil-)Verzichtsurteil zu entscheiden ist. Die Frage stellt sich aber ohnehin nur, weil über den Weg des sofortigen Anerkenntnisses mit der Regelung des § 93 ZPO die missbräuchliche Einlegung eines Rechtsmittels sanktioniert werden soll. Ob dafür tatsächlich ein Bedürfnis besteht, weiß ich aber gar nicht: Denn hätte der Kläger (richtigerweise) auch anteilig auf eine Vollstreckung aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss verzichtet bzw. erklärt, die Auslagen der Beklagten anteilig zu übernehmen, wäre die Berufung mangels Rechtsschutzbedürfnis u.U. schon insgesamt unzulässig gewesen. Die Kosten des Berufungsverfahrens wären dann auch ohne § 93 ZPO dem Berufungskläger zur Last gefallen. Oder was meinen die LeserInnen? Für die Praxis sollte in solchen Konstellationen übrigens schnellstmöglich mit dem Gegner geklärt werden, ob ein einvernehmliche Regelung in Betracht kommt (dann fällt zwar die Einigungsgebühr an, das ist aber immer noch günstiger als eine weitere Instanz). tl;dr: Erkennt der in der Vorinstanz erfolgreiche Kläger und Rechtsmittelbeklagte den Rechtsmittelantrag des Beklagten und Rechtsmittelklägers, so kann gegen ihn ein Anerkenntnisurteil ergehen und über die Kosten des Rechtsmittels entsprechend § 93 ZPO entschieden werden. Anmerkung/Besprechung, OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 08.08.2017 – 16 U 47/17. Foto: wikimedia.org | gemeinfrei