OLG Hamm: Bezirksrevisor kann Beschluss gem. § 269 Abs. 4 Satz 2 ZPO nicht erzwingen

Ist einer der Parteien eines Rechtsstreits Prozesskostenhilfe bewilligt worden, ergibt sich nicht selten für die Parteien ein Anreiz, den Rechtsstreit so zu beenden, dass der PKH-Partei (und damit der Staatskasse) ein besonders großen Teil der Kosten zur Last fällt. Der halbherzige, unvollständige und unpraktikable Versuch des Gesetzgebers, dem mit § 31 Abs. 4 GKG (§ 26 Abs. 4 FamGKG) Einhalt zu gebieten, hat dieses Problem nicht wirklich gelöst (s. dazu und zu den damit einhergehenden Haftungsrisiken ausführlich hier). Mit einem besonders dreisten Fall einer solchen „Selbstbedienung beim Justizfiskus“ unter Mithilfe des Gerichts hatte sich jüngst das OLG Hamm mit Beschluss vom 02.01.2017 – 18 W 38/16 zu befassen.
Sachverhalt
Dem Beklagten war im Vorfeld der mündlichen Verhandlung Prozesskostenhilfe bewilligt worden, sein Prozessbevollmächtigter hatte aus der Staatskasse die Vergütung erhalten. Im Termin zur mündlichen Verhandlung wies das Gericht darauf hin, dass die Klage keine Aussicht auf Erfolg haben dürfte. Nachdem der Prozessbevollmächtigte des Beklagten erklärt hatte, für den Fall der Klagerücknahme keinen Kostenantrag zu stellen, nahm die Klägerin die Klage zurück. Den Antrag des Bezirksrevisors, einen Beschluss gem. § 269 Abs. 4 Satz 2 ZPO zu erlassen, wies das Gericht mit der Begründung zurück, dies laufe dem erklärten Willen der Parteien zuwider (sic!). Der sofortigen Beschwerde des Bezirksrevisors half das Landgericht nicht ab.

Wird die Klage zurückgenommen, spricht das Gericht auf einen Antrag der beklagten Partei hin aus, dass die Kosten des Rechtsstreits dem Kläger auferlegt werden (§ 269 Abs. 3 Satz 2, Abs. 4 ZPO). Das hat zur Folge, dass der Prozessbevollmächtigte des Beklagten seine Gebühren im Kostenfestsetzungsverfahren (§§ 104 ff. ZPO) gegen den Kläger festsetzen und aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss gegen diesen vollstrecken kann (§ 794 Abs. 1 Nr. 2 ZPO). Dem Beklagten war hier aber Prozesskostenhilfe bewilligt worden. Das hatte zur Folge, dass der Beklagte davon befreit war Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen für Zeugen und Sachverständige) zu zahlen (§ 122 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) und dass die Anwaltskosten von der Staatskasse getragen werden (§ 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO i.V.m. § 45 RVG). Der Beklagtenvertreter hatte deshalb seine Vergütung bereits aus der Staatskasse erhalten. Weder der Beklagte noch sein Anwalt hatten deshalb besonderes Interesse daran, einen Kostenantrag zu stellen. Damit die Landeskasse in diesem Fall nicht leer ausgeht, hat der Gesetzgeber in § 269 Abs. 4 Satz 2 ZPO geregelt, dass das Gericht in diesem Fall auch ohne Antrag des Beklagten von Amts wegen über die Kosten entscheiden und diese dem Kläger auferlegen muss. Das hat dann gem. § 59 Abs. 1 RVG zur Folge, dass die Staatskasse ihre Auslagen im Kostenfestsetzungsverfahren gegen den Kläger festsetzen lassen kann. Trotz des eindeutigen Wortlauts von § 269 Abs. 4 Satz 2 ZPO hatte sich das Gericht hier aber geweigert, eine solche Entscheidung zu erlassen. Der Bezirksrevisor, der die Staatskasse in diesen Dingen vertritt, hatte dagegen sofortige Beschwerde eingelegt.
Entscheidung
Das OLG hat die Beschwerde als unzulässig verworfen, allerdings nicht, ohne seine Meinung zum Vorgehen des LG mehr als deutlich zu machen:

„1. Die Entscheidung des Landgerichts steht mit dem Gesetz nicht in Einklang. Zu Unrecht und entgegen § 269 Abs. 4 S. 2 ZPO hat die Kammer es unterlassen, über die Kosten zu entscheiden.

2. Das ändert indes nichts daran, dass die sofortige Beschwerde der Staatskasse unstatthaft ist. Im Zivilprozess findet die sofortige Beschwerde (nur) in den Fällen des § 567 Abs. 1 ZPO statt.

a) § 567 Abs. 1 1 ZPO eröffnet die sofortige Beschwerde der Staatskasse nicht, weil ein Fall des § 127 Abs. 3 S. 1 ZPO nicht vorliegt.

b) Die Staatskasse ist auch nicht berechtigt, die Zurückweisung „eines das Verfahren betreffenden Gesuchs“ im Sinne von § 567 Abs. 1 2 ZPO zu rügen.

Die Staatskasse ist nicht Partei des Prozesses und im vorliegenden Fall auch nicht Inhaberin eines Erstattungsanspruchs. Letzteres folgt daraus, dass auch über § 59 RVG nur ein bereits bestehender Anspruch auf die Staatskasse übergehen kann. Vor dem Erlass einer Kostengrundentscheidung besteht ein solcher Anspruch aber nicht […]. Von dieser Rechtslage ist im Übrigen auch der Gesetzgeber bei der Novellierung des § 269 ZPO […] ausgegangen […]

An dieser Rechtslage hat sich nach der Einfügung des § 269 Abs. 4 S. 2 ZPO […] nichts geändert. Dass das Gericht gem. § 269 Abs. 4 S. 2 ZPO nunmehr von Amts wegen über die Kosten entscheiden muss, wenn – wie im vorliegenden Fall - dem Beklagten Prozesskostenhilfe bewilligt worden war und der Kläger die Klage zurückgenommen hat, begründet noch kein Antrags- bzw. Beschwerderecht der Landeskasse.

Wenngleich durch diese Regelung verhindert werden soll, dass die Parteien zum Nachteil der Staatskasse vereinbaren, einen Kostenantrag bei Klagerücknahme nicht zu stellen, werden dadurch lediglich Pflichten des Prozessgerichts begründet, die betreffende Kostengrundentscheidung zu erlassen.

Dass diese Kostenentscheidung im vorliegenden Fall unterblieb, steht nach Auffassung des Senats in eindeutigem Widerspruch zu § 269 Abs. 4 S. 2 in Verbindung mit Abs. 3 S. 2 ZPO. Die danach zwingend zu treffende Kostenentscheidung lässt sich auch nicht mit der Begründung vermeiden, sie laufe dem erklärten Willen der Parteien zuwider. Käme es auf diesen Willen an, wäre die Regelung des Gesetzgebers sinnlos, da es stets dem Willen der die Klage zurücknehmenden Partei widersprechen wird, außergerichtliche Kosten des Beklagten tragen zu müssen.

Gleichwohl ist dem Beschwerdegericht eine Korrektur der unterbliebenen Entscheidung nur im Rahmen eines Rechtsbehelfs möglich, der von einem beschwerdebefugten Beteiligten eingelegt worden ist, woran es hier wie dargelegt fehlt.

Die Neuregelung des § 269 Abs. 4 S. 2 ZPO „läuft“ bei diesem Verständnis auch nicht etwa „leer“. Es ist davon auszugehen, dass die Prozessgerichte die Novellierung unter Beachtung von Sinn und Zweck des Gesetzes respektieren und mithin eine Entscheidung gem. § 269 Abs. 4 S. 2 ZPO treffen. Dies führt im Regelfall durchaus zu einer Kostengrundentscheidung, die den gewünschten Anspruchsübergang auf die Staatskasse (§ 59 RVG) bewirkt.“

Anmerkung
So haarsträubend das Vorgehen des LG Dortmund hier war – ein zivilprozessuales Mittel gegen diese Art Vergleich auf Kosten öffentlicher Kassen dürfte tatsächlich nicht gegeben sein. Sollte die Entscheidung allerdings „Schule machen“, könnte dies immerhin die positive Konsequenz haben, dass sich der Gesetzgeber dem Komplex „Prozesskostenhilfe bei nicht streitiger Beendigung des Rechtsstreits“ noch einmal annimmt und diesen insgesamt einfacher, konsistenter und praxisnaher regelt. tl;dr: Unterbleibt der nach § 269 Abs. 4 S. 2 ZPO notwendige Beschluss, steht der Staatskasse dagegen kein Beschwerderecht zu. Anmerkung/Besprechung, OLG Hamm, Beschluss vom 02.01.2017 – 18 W 38/16. Foto: Rolle Ruhland/OLG Hamm 4/7 | flickr.com | CC BY-SA 2.0