OLG Oldenburg: Akteneinsicht des Bauherrn in Vorprozess zwischen Haupt- und Subunternehmer

Erich Ferdinand the zebra files flickr.com CC BY 2.0Schon ein Jahr alt, aber bislang leider „unter meinem Radar“ geblieben ist der Beschluss des OLG Oldenburg vom 23.01.2015 – 4 AR 1/15.

Darin geht es um die Frage, ob der an einem vorangegangenen Rechtsstreit zwischen Hauptunternehmer und Subunternehmer nicht beteiligte Bauherr die Akten des Vorprozesses einsehen darf, wenn dem nicht beide Parteien des Vorprozesses zustimmen.

Sachverhalt

Die Antragsgegnerin war Hauptunternehmerin eines Bauvorhabens gewesen. Gegenüber einem Subunternehmer hatte sie Werklohn in Höhe von 35.000 EUR einbehalten und dies damit begründet, dass die Ausführung der Arbeiten durch die Subunternehmerin mangelhaft sei und der Bauherr deshalb in gleicher Höhe ihr gegenüber die Zahlung verweigere. Das Gericht im Vorprozess hatte ein Sachverständigengutachten eingeholt, worauf sich Hauptunternehmerin und Subunternehmerin verglichen.

Da der Bauherr/Auftraggeber seinen Teil des Werklohns weiterhin einbehielt, wurde dieser nun vom Hauptunternehmer in Anspruch genommen. Der beklagte Bauherr begehrte nun Einsicht in die Akten des Prozesses zwischen Hauptunternehmer und Subunternehmer und begründete dies damit, dass es um die gleichen Mängel gehe, die auch schon Gegenstand des Vorprozesses gewesen seien.

Der Vorsitzende der Zivilkammer bewilligte dem Bauherrn die begehrte Akteneinsicht durch Beschluss. Dagegen wendete sich der Hauptunternehmer mit seiner „sofortige Beschwerde“.

Die prozessuale Ausgangssituation ist in baurechtlichen Streitigkeiten relativ häufig anzutreffen: Der Bauherr hatte den Hauptunternehmer (oder Generalunternehmer) beauftragt, der seinerseits wiederum verschiedene Subunternehmer mit der Ausführung der Arbeiten beauftragt hatte.

Da sich nun der Bauherr aufgrund von Mängeln weigerte, an den Hauptunternehmer den vollen Lohn zu zahlen, weigerte sich auch der Hauptunternehmer gegenüber dem verantwortlichen Subunternehmer. Deshalb hatte zuerst der Subunternehmer den Hauptunternehmer verklagt; die Parteien hatten sich nach Einholung eines Sachverständigengutachtens verglichen. In einem zweiten Prozess verklagte nun der Hauptunternehmer den Bauherrn. Und der Bauherr wollte nun wissen, was in dem Sachverständigengutachten stand, dass in dem Prozess zwischen Haupt- und Subunternehmer eingeholt worden war und was die Parteien sonst so vorgetragen hatten.

Die Parteien eines Zivilrechtsstreits haben gem. § 299 Abs. 1 ZPO ohne weitere Voraussetzungen einen Anspruch auf Einsicht in die Verfahrensakten. Dritten Personen - wie hier dem Bauherrn - kann gem. § 299 Abs. 2 ZPO Einsicht in die Akten nur gestattet werden, wenn entweder beide Parteien einwilligen oder wenn der Antragsteller ein rechtliches Interesse glaubhaft macht. Ist ein solches Interesse glaubhaft gemacht, ist im Rahmen der Ermessensentscheidung das Informationsinteresse des Antragstellers mit dem Geheimhaltungsinteresse der widersprechenden Partei abzuwägen.

Der für die Akteneinsicht zuständige Vorsitzende der Zivilkammer (des Vorprozesses) hatte ein rechtliches Interesse bejaht und die Akteneinsicht durch Beschluss gewährt. Damit war aber die Hauptunternehmerin nicht einverstanden und hatte gegen den die Akteneinsicht gewährenden Beschluss „sofortige Beschwerde“ eingelegt. Statthaftes Rechtsmittel gegen die Entscheidung über das Akteinsichtsgesuch – einen Justizverwaltungsakt – ist aber gem. § 23 Abs. 1 Satz 1 EGGVG der Antrag auf gerichtliche Entscheidung (und zwar unabhängig davon, wie das Akteneinsichtsgesuch beschieden wird). Für den Antrag auf gerichtliche Entscheidung zuständig ist gem. § 25 Abs. 1 EGGVG ein Senat des OLG, in dessen Bezirk das aktenführende Gericht seinen Sitz hat.

Entscheidung

Das OLG wendet sich zunächst dem statthaften Rechtsbehelf zu:

„Das zulässige Rechtsmittel gegen die Anordnung einer Akteneinsicht ist gemäß §  23 Abs. 1 EGGVG der Antrag auf gerichtliche Entscheidung.

Benennt ein Beteiligter, wie hier die Beklagte, das Rechtsmittel, dessen sie sich bedienen will, nicht mit dem einschlägigen gesetzlichen Begriff, beschreibt sie es aber zumindest durch die Bezeichnung ihres Rechtsschutzzieles und der angegriffenen Maßnahme, so ist regelmäßig anzunehmen, dass sie denjenigen Rechtsbehelf wählen wollte, den die Rechtsordnung für das aus ihrem Vorbringen zu ersehende Begehren bereit hält […].

Der Antrag ist auch im Übrigen zulässig. Insbesondere wurde er innerhalb der Antragsfrist gemäß § 26 EGGVG (1 Monat) gestellt.“

Der Rechtsbehelf sei aber unbegründet:

„Der Antragsteller hat ein rechtliches Interesse durch Einsichtnahme in die Zivilakten festzustellen, welche Mängelrügen die Beklagte der Klägerin als Subunternehmerin entgegengehalten hat. Die Beklagte selber hat in ihrer Klageerwiderung […] darauf hingewiesen, dass sie wegen der gravierenden Mängel der Auftraggeber (= Antragsteller) einen Betrag in Höhe von 35.000,00 € einbehalten habe. Unter anderem genau diesen vom Antragsteller einbehaltenen Betrag fordert nun die Beklagte vom Antragsteller […] ein. Etwaige Mängelrügen des Antragstellers erachtet sie als unbegründet.

Es besteht damit ein unmittelbarer rechtlicher Bezug des Prozessgegenstandes des ursprünglichen Verfahrens und des Prozessgegenstandes des neu eingeleiteten Verfahrens. Dieser unmittelbare Bezug ist zum Einen bereits in dem Umstand zu sehen, dass es sich bei beiden Verfahren um das Bauvorhaben des Antragstellers an seiner Immobilie handelt, zum anderen aber auch gerade darin begründet, dass es vordringlich jeweils um die Frage der Berechtigung etwaiger Mängelrügen bei der Erstellung des Gewerkes geht.

Gerade weil hierüber […] auch ein Sachverständigengutachten eingeholt wurde, hat der Antragsteller ein berechtigtes Interesse daran, die Feststellungen des Gutachters, der bei ihm vor Ort einen Ortstermin durchgeführt hat, durch Einsichtnahme in die Prozessakten zur Kenntnis zu nehmen. Entgegen den Ausführungen der Beschwerdeführerin geht es gerade nicht um die Details der jeweiligen Vertragsverhältnisse zwischen Subunternehmer und Hauptunternehmer bzw. Hauptunternehmer und Auftraggeber.

Soweit durch die Akteneinsicht zugleich ein Verstoß gegen das informationelle Selbstbestimmungsrecht liegt, ist dieser dem Akteneinsichtsrecht Dritter immanent und vom Gesetzgeber bewusst in Kauf genommen, solange ein berechtigtes Interesse des Dritten vorliegt.“

Anmerkung

Eindeutiger als hier wird ein Fall des „rechtlichen Interesses“ i.S.d. § 299 Abs. 2 ZPO wohl kaum sein können.

Sollte ein Fall einmal nicht so eindeutig sein und ein Akteneinsichtsgesuch abschlägig beschieden werden, besteht übrigens immer noch die Möglichkeit, beim Prozessgericht die Beiziehung der Akten anzuregen (§ 273 Abs. 2 Satz 2 ZPO). Einem solchen Übermittlungsgesuch eines anderen Gerichts wird oft unter Bezugnahme auf Art. 35 Abs. 1 GG entsprochen (wobei die Zulässigkeit der Übermittlung streitig ist, s. BeckOK-ZPO/Bacher, § 299 Rn. 39) .

Hat das Prozessgericht die Akten beigezogen, muss dies selber abwägen, ob und in welchem Umfang es den Inhalt der beigezogenen Akten verwertet (BVerfG, Beschluss vom 06.03.2014 -  BvR 3541/13 Rn. 26). Beabsichtigt es, Teile der Akten in seiner Entscheidung zu verwerten (wie hier beispielsweise das Gutachten), muss es den Parteien insoweit Akteneinsicht gewähren (MünchKommZPO/Prütting, 4. Aufl. 2013, § 299 Rn. 6, s. dazu ausführlich auch hier).

tl;dr: Wird im Vorprozess zwischen Hauptunternehmer und Subunternehmer ein Sachverständigengutachten eingeholt, wird der Bauherr in der Regel ein rechtliches Interesse an der Einsicht in die Akten des Vorprozesses haben.

Anmerkung/Besprechung, OLG Oldenburg, Beschluss vom 23.01.2015 – 4 AR 1/15. Foto: Erich Ferdinand/the zebra files | flickr.com | CC BY 2.0