Online-Gerichtsverfahren in Hamburg - oder viel Lärm um Nichts?

Hamburg will Pilotprojekt für Online-Gerichtsverfahren“ titelte das Hamburger Abendblatt gestern vollmundig: Im Rahmen eines „Pilotprojektes“ der Hamburger Justiz solle es möglich sein, dass Bürgerinnen und Bürger über eine Eingabemaske eine Klage bei einem Streitwert von unter 1.000 Euro in einem vereinfachten Zivilverfahren online einbringen können, so der zuständige Justizsenator. Ein Vorhaben, das auf viele verschiedene Arten verwirrt.

Eine JuMiKom-Intiative mit zweifelhaftem Nutzen

Zunächst einmal handelt es sich entgegen der vollmundigen Ankündigung keinesfalls um ein Pilotprojekt, das die Hamburger Justiz einfach so „starten“ könnte. Es geht vielmehr lediglich um eine äußerst schlank formulierte Initiative Hamburgs in der Justizministerkonferenz, die keinerlei konkrete Regelungen vorsieht. Von seiner Einführung ist das „Schnellverfahren“ also noch denkbar weit entfernt; es fehlt nicht nur an einem tragfähigen Konzept; ihm steht momentan die Zivilprozessordnung entgegen. Hinzu kommt, dass es auch wohl gar nicht um ein wirkliches Online-Gerichtsverfahren geht: Vielmehr soll allein dDie Klageerhebung lediglich durch eine Eingabemaske erleichtert werden und das Verfahren danach „zunächst elektronisch bearbeitet werden, anschließend soll es möglichst schnell zu einer mündlichen Verhandlung und zu einer Entscheidung kommen“. Betrachtet man das Großprojekt „Digitalisierung der Justiz“ handelt es sich also allenfalls um einen kleinen Schritt. Dass eine solche Teilregelung (die ja später integriert werden muss) da wirklich zweckmäßig ist, scheint eher zweifelhaft. Im Übrigen stellen sich auch drängende Fragen nach dem Sinn und Zweck der Regelung: Wie eine elektronische Eingabemaske Prozesse beschleunigen soll, ist nicht erkennbar, weil es schon heute möglich ist, Klagen vor dem Amtsgericht zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu erheben (so dass beim Abfassen der Klageschrift jedenfalls teilweise geholfen wird). Die darüber hinausgehenden Vorteile einer Klageerhebung quasi „vom Sofa aus“ erschließen sich jedenfalls nicht auf Anhieb. Dass eine solche Möglichkeit vor allem Querulanten anziehen dürfte, scheint hingegen eine wenig gewagte Vermutung. (Das würde zwar dem Rückgang der Eingangszahlen entgegenwirken - aber will das jemand ernsthaft?)

Anwaltliche Vertretung als Auslaufmodell?

Noch viel verwirrender als diese etwas arg vollmundige Ankündigung finde ich Gegenstand und die Zielrichtung der Initiative. Als Amtsrichter, der in Zivilsachen regelmäßig mit sog. „Naturalparteien“ (also nicht anwaltlich vertretenen Personen) verhandelt, kann ich nicht nachvollziehen, warum man Parteien auch noch dazu ermutigen sollte, Prozesse ohne anwaltliche Hilfe zu führen. Prozesse, in denen nicht beide Parteien anwaltlich vertreten sind, sind für alle Beteiligten meist ein eher wenig erbauliches Erlebnis. Denn die Prozessordnungen richten sich (zu Recht!) an Profis und sind deshalb viel zu komplex, als dass Laien ernsthaft sinnvoll mit ihnenarbeiten könnten. Kaum ein Laie kann richtige Beweisantritte stellen, mit Präklusionsvorschriften umgehen, sich mit Nichtwissen erklären, kennt den Unterschied zwischen Erledigung und Klagerücknahme, ja noch nicht einmal der Unterschied zwischen einem Vergleich und einem streitigen Urteil ist vielen bekannt (dass jemand später gegen den Vergleich ein Rechtsmittel einlegen wollte, ist mir bislang nicht nur einmal untergekommen). Und vor allem ist es Laien in der Regel nicht möglich, zu erkennen, worauf es in rechtlicher Hinsicht ankommt - weshalb Schriftsätze nicht anwaltlich vertretener Parteien häufig entweder unvollständig oder äußerst redundant sind. Als Gericht wiederum kann und muss man diese Defizite in gewissem Umfang durch Hinweise ausgleichen. Dabei das richtige Maß zu finden, ohne die erforderliche Äquidistanz aufzugeben, gleicht allerdings regelmäßig ein Hochseilakt: „Hilft“ man zu viel, kann dies die Besorgnis der Befangenheit begründen; „hilft“ man zu wenig, ganz genauso. Auf die gegnerische Partei wirkt dieser „Eiertanz“ vermutlich oft eher befremdlich. Wenn es etwas zu ändern gäbe, dann also allenfalls eine Ausweitung des Anwaltszwangs. Angesichts der insgesamt fortschreitenden Professionalisierung sämtlicher Lebensbereiche stellt der Parteiprozess eher einen Anachronismus dar, der de lege ferenda abgeschafft gehört – jedenfalls außerhalb des Anwendungsbereichs von § 495a ZPO. Nimmt man die Verfahrensrechte der Beteiligten ernst, kann die Deprofessionalisierung ein erklärtes Ziel des Vorhabens jedenfalls nicht erfüllen - die schnellere Erledigung der Verfahren.

Wirkliche Online-Gerichtsprozesse bleiben Zukunftsmusik

Was das Vorhaben tatsächlich bringen könnte, wird sich erst zeigen, wenn es einen Entwurf gibt, der über Allgemeinplätze und vollmundige Ankündigungen hinausgeht. Momentan scheint die Initiative eher überflüssig oder sogar kontraproduktiv zu sein. Und eines ist schon absehbar: Eine längst überfällige Vision eines wirklich digitalen Gerichtsverfahrens wird sich aus der Initiative nicht ergeben. Aber das mag auch damit zusammenhängen, dass man es in Hamburg schon seit Helmut Schmidt bekanntlich mit Visionen nicht so hat.