Wie bemisst man eigentlich die Höhe eines Ordnungsgelds?

Wie man die Höhe von Ordnungsgeldern (bei §§ 380, 411 ZPO und bei § 890 ZPO ) bemisst, ist gesetzlich kaum geregelt und wird dementsprechend in der Praxis äußerst unterschiedlich und „frei“ gehandhabt. In einem aktuellen Beschluss vom 08.12.2016 – I ZB 118/15 hat sich der Bundesgerichtshof nun ausführlich mit dieser Frage befasst und der Praxis eine am Strafrecht orientierte Anleitung an die Hand gegeben.

Sachverhalt

Der Gläubiger war als Polizeibeamter bei einer „Dügida“-Demonstration (offensichtlich eine westdeutsche Splittergruppe der berüchtigten Dresdner Montagswanderfreunde) eingesetzt. Die Demonstration wurde von der Schuldnerin organisiert, die später auf ihrer Facebookseite eine Videoaufnahme des Gläubigers veröffentlichte und ihn sog. „Stasi-Methoden“ bezichtigte. Dies untersagte das Landgericht Düsseldorf der Schuldnerin auf Antrag des Gläubigers mit einstweiliger Verfügung. Da die Videoaufnahme auch nach Zustellung des Beschlusses noch auf der fraglichen Internetseite abrufbar war, beantragte der Gläubiger die Festsetzung eines Ordnungsgelds. Das Landgericht hat daraufhin gegen die Schuldnerin ein Ordnungsgeld von 4.000 EUR, ersatzweise für den Fall, dass dies nicht beigetrieben werden kann, je 1.000 EUR einen Tag Ordnungshaft festgesetzt. Dagegen wendet sich die Schuldnerin mit der sofortigen Beschwerde, und begehrt eine Herabsetzung des Ordnungsgeldes, weil sie arbeitslos sei und ihren Lebensunterhalt kaum bestreiten könne. Das Oberlandesgericht hat daraufhin das Ordnungsgeld auf 750 EUR ermäßigt, es aber im Übrigen bei den vier Tagen Ordnungshaft belassen. Mit seiner zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt der Gläubiger, die Wiederherstellung des landgerichtlichen Beschlusses.

Die Schuldnerin war hier verurteilt worden, die Veröffentlichung des Videos zu unterlassen. Derartige Unterlassungsverpflichtungen sind gem. § 890 ZPO mittels Ordnungsgeld und Ordnungshaft zu vollstrecken. Deshalb hatte der Gläubiger beantragt, gegen die Schuldnerin ein Ordnungsgeld zu verhängen. Die Voraussetzungen für die Verhängung eines Ordnungsgeldes lagen dem Grunde nach vor:
  1. Die Schuldnerin hatte hier gegen die titulierte Unterlassungsverpflichtung verstoßen,
  2. die Zuwiderhandlung erfolgte zu einem Zeitpunkt, zu dem der Schuldnerin der mit der nach § 890 Abs. 2 ZPO erforderlichen Ordnungsmittelandrohung versehene Beschluss im Parteibetrieb nach § 922 Abs. 2 ZPO zugestellt worden war,
  3. und die Schuldnerin hatte – was ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des § 890 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist – schuldhaft gehandelt.
Fraglich war daher nur, ob und inwieweit im Rahmen der Höhe des Ordnungsgeldes die wirtschaftlichen Verhältnisse der Schuldnerin zu berücksichtigen waren. Das Landgericht hatte ein Ordnungsgeld von 4.000 EUR, ersatzweise 4 Tage Ordnungshaft für angemessen gehalten, das OLG hatte 750 EUR für angemessen gehalten, aber für den Fall einer Nichtzahlung ebenfalls 4 Tage Ordnungshaft verhängt. Diese Herabsetzung des Ordnungsgeldes wollte der Gläubiger nicht hinnehmen.
Entscheidung
Der BGH hat die Beschwerde zurückgewiesen:

„Das Beschwerdegericht hat die Höhe des Ordnungsgeldes ohne Rechtsfehler auf 750 € festgesetzt. [...]

b) Ordnungsmittel sind im Hinblick auf ihren Zweck zu bemessen […]. Die Ordnungsmittel des § 890 ZPO haben einen doppelten Zweck.

Als zivilrechtliche Beugemaßnahme dienen sie – präventiv – der Verhinderung künftiger Zuwiderhandlungen.

Daneben stellen sie – repressiv – eine strafähnliche Sanktion für die Übertretung des gerichtlichen Verbots dar […].

Dieser doppelte Zweck erfordert es, die Bemessung der Ordnungsmittel jedenfalls in erster Linie im Blick auf den Schuldner und dessen Verhalten vorzunehmen. Zu berücksichtigen sind insbesondere Art, Umfang und Dauer des Verstoßes, der Verschuldensgrad, der Vorteil des Verletzers aus der Verletzungshandlung und die Gefährlichkeit der begangenen und möglicher künftiger Verletzungshandlungen für den Verletzten […]

c) Das Beschwerdegericht hat bei der Festsetzung des Ordnungsgeldes […] die wirtschaftlichen Verhältnisse der Schuldnerin berücksichtigt. Es hat danach ein Ordnungsgeld von 750 EUR errechnet. Das lässt keinen Rechtsfehler erkennen.

aa) Da die Festsetzung eines Ordnungsmittels nach § 890 Abs. 1 ZPO für den Betroffenen strafähnliche Wirkung hat, muss seine Verhängung, wie das Beschwerdegericht mit Recht angenommen hat, grundlegenden strafrechtlichen Prinzipien genügen. Die Verhängung eines Ordnungsgeldes setzt daher ein Verschulden des Schuldners voraus […].

Nach dem Schuldprinzip und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit muss die Strafe oder die strafähnliche Sanktion und dementsprechend auch das Ordnungsgeld ferner in einem gerechten Verhältnis zur Schwere der Zuwiderhandlung und dem Verschulden des Zuwiderhandelnden stehen […].

Darüber hinaus sind nach dem Grundsatz der Opfergleichheit bei der Verhängung einer Geldstrafe und dementsprechend bei der Festsetzung eines Ordnungsgeldes die wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters oder des Zuwiderhandelnden zu berücksichtigen, um sicherzustellen, dass die Sanktion bei vergleichbaren Straftaten oder Zuwiderhandlungen unterschiedlich bemittelte Täter oder Zuwiderhandelnde gleich schwer trifft […]. Die Verhängung der Geldstrafe in Tagessätzen nach § 40 StGB dient der Verwirklichung dieser Grundsätze. Daher kann diese Vorschrift bei der Bemessung der Höhe des Ordnungsgeldes entsprechend angewandt werden.“

Der I. Zivilsenat erläutert dann zunächst ausführlich bekannten Grundsätze der Geldstrafenbildung gem. § 40 Abs. 2 StGB und überträgt diese dann auf den vorliegenden Fall:

„Die Höhe des Ordnungsgeldes kann in entsprechender Anwendung dieser Regelung im Ausgangspunkt grundsätzlich gleichfalls anhand von Tagessätzen bestimmt werden. Dabei ist die Anzahl der Tagessätze insbesondere nach Art, Umfang und Dauer des Verstoßes sowie dem Grad des Verschuldens des Verletzers zu bestimmen. Die Höhe des einzelnen Tagessatzes richtet sich nach den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Schuldners.

bb) Das Beschwerdegericht hat nach diesen Maßstäben ein Ordnungsgeld von 750 € als angemessen errechnet. Es hat angenommen, im Falle der Schuldnerin sei unter Berücksichtigung des Umstandes, dass sie lediglich Arbeitslosengeld beziehe, das auf den Regelsatz aufgestockt werde, ein Tagessatz in Höhe von 10 € angemessen. Die Zahl der Tagessätze hat das Beschwerdegericht im Hinblick auf die Schwere des Verstoßes der Schuldnerin mit 75 bemessen. Es hat angenommen, es sei besonders verwerflich, dass die Schuldnerin sich bewusst dazu entschlossen habe, das Video auf der Facebookseite von „Dügida“ stehen zu lassen. Sie habe auf der „Dügida“-Versammlung auf die Einstellung des Videos im Internet hingewiesen und die Anwesenden zum Teilen des Videos aufgefordert. Damit habe sie die Gefahr einer unkontrollierten Verbreitung des Videos geschaffen. […]

d) Die Rechtsbeschwerde macht ohne Erfolg geltend, da § 890 Abs. 1 ZPO nicht nur eine strafähnliche Sanktion für die Übertretung des gerichtlichen Verbots darstelle, sondern als zivilrechtliche Beugemaßnahme auch der Verhinderung künftiger Zuwiderhandlungen diene, könne für die Bemessung der Höhe des Ordnungsgeldes anders als bei der Verhängung einer Geldstrafe nicht die wirtschaftliche Situation des Schuldners allein ausschlaggebend sein.

Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde kommt es auch bei der Verhängung einer Geldstrafe nach Tagessätzen nicht allein auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters an. Diese Verhältnisse sind zwar für die Bestimmung der Höhe eines Tagessatzes maßgeblich. Für die Bemessung der Zahl der Tagessätze kommt es jedoch auf das Ausmaß des Unrechts und den Grad des Verschuldens an. Das Beschwerdegericht hat bei der Bemessung der Höhe des Ordnungsgeldes dementsprechend auch nicht allein auf die wirtschaftliche Situation der Schuldnerin abgestellt. Es hat zwar die Höhe des Tagessatzes unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Schuldnerin bestimmt. Zur Bestimmung der Zahl der Tagessätze hat es jedoch auf Art, Umfang und Dauer des Verstoßes sowie den Grad des Verschuldens der Schuldnerin abgestellt. Dabei hat es insbesondere berücksichtigt, dass die Schuldnerin vorsätzlich gehandelt und für den Gläubiger durch ihr Verhalten die Gefahr begründet hat, verbal oder sogar körperlich angegangen zu werden.“

Anmerkung
Die vom BGH gebilligte Lösung des OLG Düsseldorf erscheint mir jedenfalls bei natürlichen Personen sehr überzeugend, weil sie im Vergleich zu den in der Praxis häufigen Pauschalen den Grundsatz der Opfergleichheit wahrt. Gleichzeitig ist so ebenfalls sicherstellt, dass die Höhe eines Ordnungsgeldes jedenfalls in Grundzügen vorhersehbar ist. un das Einkommen der Betroffenen wird man in vielen Fällen schätzen können, häufig ist man auch nach einer sofortigen Beschwerde schlauer und kann im Rahmen der Abhilfeprüfung „anpassen“. Diese Grundsätze dürften auch auf §§ 141 Abs. 3, 380, 411 Abs. 2 ZPO übertragbar sein (wobei allerdings die Grenze in § 6 EGStGB zu beachten ist). Allerdings scheint mir diese Lösung im konkreten Fall nur wenig überzeugend angewendet worden zu sein. Denn einerseits sind 75 Tagessätze angesichts der sonstigen „Standardtarife“ im Strafrecht ziemlich hoch gegriffen. Und vor allem dürften die ersatzweise verhängten 4 Tage Ordnungshaft nicht dazu passen. Will man sich bei der Bemessung von Ordnungsgeldern tatsächlich an einem „Tagessatzsystem“ orientieren, wäre es nur konsequent, auch § 43 StGB entsprechend heranzuziehen. Anmerkung/Besprechung, BGH, Beschluss vom 08.12.2016 – I ZB 118/15. Foto: grünenrw | flickr.com | CC BY-SA 2.0