BGH zur PKH-Bewilligung bei Streitgenossen

Befinden sich in einem Rechtsstreit auf einer Seite mehrere Personen und sind nicht alle von ihnen bedürftig i.S.d. §§ 114, 115 ZPO, ergeben sich Besonderheiten. Mit einer insoweit immer wieder streitigen Frage hat sich der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs Anfang des Jahres in einer Vielzahl von Parallelentscheidungen (u.a. Beschluss vom 05.02.2019 – II ZB 8/18) befasst.

Sachverhalt

Die Antragstellerin wird gesamtschuldnerisch mit weiteren Beklagten auf Schadensersatz aufgrund einer Kapitalanlage in Form einer treuhänderischen Kommanditbeteiligung in Anspruch genommen. Das Landgericht hat der Antragstellerin Prozesskostenhilfe für die Rechtsverteidigung im ersten Rechtszug bewilligt. Es hat die Bewilligung hinsichtlich der Anwaltsgebühren allerdings auf die 0,3 Mehrvertretungsgebühr (RVG-KV Nr.1008) beschränkt, weil ein nicht bedürftiger Streitgenosse von demselben Prozessbevollmächtigten vertreten wird. Die Beschwerde dagegen hat das Beschwerdegericht zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Antragsgegnerin ihr Begehren weiter, für die sie Prozesskostenhilfe begehrt.

Prozesskostenhilfe gem. §§ 114 ff. ZPO Sozialhilfe (früher auch „Armenrecht“ genannt) ist eine besondere Form der, die auch wenig bemittelten Personen gerichtlichen Rechtsschutz ermöglichen soll. Neben hinreichenden Erfolgsaussichten setzt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe bei natürlichen Personen außerdem voraus, dass diese bedürftig sind. Wird Prozesskostenhilfe bewilligt, hat dies gem. § 120 ZPO zur Folge, dass die Partei keine Gerichtskosten zahlen muss und die Gebühren des eigenen – beigeordneten – Anwalts von der Staatskasse getragen werden. Hier wurden die Beklagten alle von demselben Prozessbevollmächtigten vertreten, aber nicht alle waren bedürftig i.S.d. §§ 114, 115 ZPO. Deshalb stellte sich die Frage, welche Kosten die Staatskasse tragen musste und welche der Streitgenosse der Antragstellerin. Denn werden mehrere Streitgenossen von dem- oder derselben Prozessbevollmächtigten vertreten, vervielfachen sich die nach dem RVG geschuldeten Anwaltsgebühren grundsätzlich nicht (vgl. § 7 Abs. 1 RVG). Die Gebühren erhöhen sich für jede weitere vertretene Person lediglich um eine 0,3 -Mehrvertretungsgebühr nach VV-RVG Ziff. 1008 (insgesamt beschränkt auf eine 2,0-Gebühr). Musste der nicht bedürftige Streitgenosse lediglich die auf ihn entfallende 0,3-Mehrvertretungsgebühr tragen und die Staatskasse die vollen Gebühren? Oder musste der nicht bedürftige Streitgenossen die vollen Gebühren tragen und die Staatskasse lediglich die 0,3-Mehrvertretungsgebühr der Antragstellerin? Das Landgericht hatte sich für Letzteres entschieden und im Beschluss über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe die Beiordnung des Anwalts auf diese Mehrvertretungsgebühr beschränkt. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde war erfolglos geblieben.

Entscheidung

Der BGH hat den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Rechtsbeschwerdeverfahren zurückgewiesen.

„In der Sache hat das Landgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu Recht auf die Gebühr nach Nr. 1008 der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG (sog. Mehrvertretungsgebühr) beschränkt und das Beschwerdegericht folglich zu Recht die dagegen gerichtete Beschwerde zurückgewiesen.

a) Mit diesen Entscheidungen sind die Vorinstanzen der Rechtsprechung des Senats (…) gefolgt. Nach dieser Rechtsprechung ist, wenn zwei Streitgenossen ein und denselben Prozessbevollmächtigten mit der Wahrnehmung ihrer Interessen in einem Rechtsstreit beauftragen, aber nur bei einem von ihnen die persönlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe vorliegen, die Bewilligung bezüglich der Anwaltsgebühren auf die für diesen Fall im Gesetz (jetzt Nr. 1008 der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG) vorgesehenen Erhöhungsbeträge zu beschränken.

Der Senat hat die Beschränkung der Bewilligung auf die Erhöhungsbeträge bei Vorhandensein eines finanziell leistungsfähigen Streitgenossen damit begründet, dass nach dem Sinn der §§ 114 ff. ZPO die mittellose Partei für ihre Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung staatliche Hilfe nur in Anspruch nehmen kann, soweit sie aus finanziellen Gründen zur Prozessführung außerstande ist. Der finanziell leistungsfähige Streitgenosse werde hierdurch nicht benachteiligt, weil er nicht mit mehr Kosten belastet wird, als er zu tragen hätte, wenn er den Prozessbevollmächtigten allein beauftragt hätte (…).

b) Diese Senatsrechtsprechung ist in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung und im Schrifttum auf Zustimmung (…), aber auch auf Ablehnung gestoßen (…).

c) Der Senat sieht keinen Anlass, seine Rechtsprechung zu ändern.

aa) Prozesskostenhilfe bezweckt die weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes (…). Diesem Zweck wird die Beschränkung auf die Erhöhungsbeträge ohne Weiteres gerecht. Der Prozessbevollmächtigte erhält aufgrund seines Anspruchs gegen den finanziell leistungsfähigen Streitgenossen (§ 7 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 RVG) seine ungeschmälerte Vergütung. Die anwaltliche Vertretung des bedürftigen Streitgenossen wird dadurch sichergestellt.

bb) Weitergehende Angleichungszwecke erfüllt die Prozesskostenhilfe nicht.

(1) Die Beschränkung der Bewilligung auf die Erhöhungsbeträge setzt nicht voraus, dass lediglich diese Beiträge auch vergütungsrechtlich geschuldet sind. Da die Beschränkung – wie gezeigt - prozesskostenhilferechtlich begründet ist, bedarf es eines Gleichlaufs von Prozesskostenhilfebewilligung und Vergütungsanspruch nicht. Der Schutz des bedürftigen Streitgenossen wird schon dadurch bewirkt, dass der Prozessbevollmächtigte, wie generell hinsichtlich seines Anspruchs auf Zahlung der Wahlanwaltsgebühren, gemäß § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO an der Geltendmachung seines Vergütungsanspruchs nach § 7 Abs. 2 Satz 1 RVG gehindert ist, solange die Prozesskostenhilfebewilligung fortbesteht (…).

(2) Soweit die Antragstellerin ferner einwendet, dass die auf beide Streitgenossen entfallende Gebührenlast aufgrund von § 7 RVG bereits mit der Beauftragung eines gemeinsamen Prozessbevollmächtigten verringert werde, beeinflusst dies die weitergehende Entlastung des finanziell leistungsfähigen Streitgenossen nicht, die bei unbeschränkter Bewilligung von Prozesskostenhilfe einträte.

Diese würde auch durch einen möglichen Gesamtschuldnerausgleich zugunsten der Staatskasse (…), auf den die Antragstellerin ergänzend verweist, nicht vollständig ausgeglichen. Ein etwaiger nachträglicher Gesamtschuldnerausgleich zwischen den Streitgenossen, auch ein solcher zugunsten des finanziell leistungsfähigen Streitgenossen (…), ändert im Übrigen nichts daran, dass die anwaltliche Vertretung des bedürftigen Streitgenossen und damit die Prozessführung bereits durch Zubilligung der Erhöhungsbeträge gewährleistet wird (…).

Das allgemeine Risiko, nachträglich mit Kosten einer erfolglosen Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung belastet zu werden, kann der bedürftigen Partei, verfassungsrechtlich unbedenklich (…), durch Prozesskostenhilfe nicht abgenommen werden (vgl. § 123 ZPO). Insoweit steht die bedürftige Partei nicht anders als eine nicht auf Prozesskostenhilfe angewiesene Partei, die im Unterliegensfall ebenfalls in der Regel die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat.“

Anmerkung

Entschieden hat der BGH damit übrigens nur über die Entscheidung im PKH-Bewilligungsverfahren. Davon zu trenne ist die Frage, ob – wenn eine entsprechende Beschränkung im Bewilligungsbeschluss fehlt – diese im Festsetzungsverfahren (§ 55 RVG) „nachgeholt“ werden kann, also auch dann lediglich die Mehrvertretungsgebühr erstattungsfähig ist. Das ist nach ganz h.M. nicht der Fall; ohne ein Beschränkung im Bewilligungsverfahren können deshalb die vollen Gebühren gegen die Staatskasse geltend gemacht werden (s. z.B. OLG Karlsruhe, OLG Karlsruhe, Beschluss vom 13. August 2012 – 15 W 81/11; OLG München, Beschluss vom 30. November 2010 – 11 W 835/09; OLG Celle, Beschluss vom 22. November 2006 – 23 W 13/06 ). Das hatte das OLG hier übrigens durcheinandergebracht und (wohl nur) deshalb überhaupt die Rechtsbeschwerde zugelassen. tl;dr: Beauftragen zwei Streitgenossen denselben Prozessbevollmächtigten, ist aber nur einer bedürftig i.S.d. §§ 114, 115 ZPO, dann beschränkt sich die Bewilligung bezüglich der Anwaltsgebühren auf die Gebühr nach Nr. 1008 der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG (sog. Mehrvertretungsgebühr). Anmerkung/Besprechung, BGH, Beschluss vom 05.02.2019 – II ZR 8/18. Foto: ComQuat, BGH - Palais 2, CC BY-SA 3.0