BGH zur Ausländersicherheit bei Verfahren über die Aufhebung eines Schiedsspruchs

Ein Rechtsstreit zwischen österreichischen und taiwanesischen Parteien über die Vollstreckbarerklärung bzw. die Aufhebung eines Schiedsspruchs gab dem Bundesgerichtshof Gelegenheit eine offene Frage zur entsprechenden Anwendbarkeit der Vorschriften über die Ausländersicherheit (§ 110 ff. ZPO) auf andere Verfahrensarten der Zivilprozessordnung als Klagen zu klären (Beschluss vom 23. September 2021 - I ZB 21/21). Das Oberlandesgericht Frankfurt (Beschluss vom 31. Januar 2018 - 26 Sch 7/17) hatte für den isolierten Aufhebungsantrag der im Schiedsverfahren unterlegenen Partei die Anwendbarkeit von §§ 110 ff. ZPO bejaht. Der Bundesgerichtshof hatte die Frage für das Verfahren über die Aufhebung von Schiedssprüchen (§§ 1059, 1062 Abs. 1 Nr. 4 Fall 1 ZPO) bislang noch nicht zu entscheiden.

Sachverhalt

Vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main beantragte die in Österreich ansässige Antragstellerin, den inländischen Schiedsspruch eines ICC-Schiedsgerichts gegen ihre taiwanesische Gegnerin für vollstreckbar zu erklären, die vom Schiedsgericht zur Zahlung an die Antragstellerin verurteilt worden war. Die taiwanesische Antragsgegnerin ihrerseits beantragte in diesem Verfahren die Aufhebung des Schiedsspruchs. Das Oberlandesgericht erklärte den Schiedsspruch für vollstreckbar und wies den Aufhebungsantrag zurück (Beschluss vom 25. März 2021 - 26 Sch 18/20). Vor dem Oberlandesgericht hatte die Antragstellerin keinen Antrag auf Anordnung einer Prozesskostensicherheit gestellt. Das holte sie im Rechtsbeschwerdeverfahren vor dem Bundesgerichtshof nach, als die taiwanesische Antragsgegnerin dort ihren Antrag auf Aufhebung des Schiedsspruchs weiterverfolgte.

Nach § 110 Abs. 1 ZPO müssen Kläger, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum haben, auf Verlangen des Beklagten wegen der Prozesskosten Sicherheit leisten, wenn keine der Ausnahmen des § 110 Abs. 2 ZPO greift. Auch im Rechtsmittelverfahren kommt es auf die Parteirolle in erster Instanz an, so dass die ausländische Beklagte beispielsweise als Berufungsklägern in der 2. Instanz keine Prozesskostensicherheit zu leisten hat. Die praktische Bedeutung der Regeln über die Ausländersicherheit hat in Folge des Brexit zugenommen, da nunmehr auch Kläger aus dem Vereinigten Königreich Sicherheit leisten müssen.

Entscheidung

In der Literatur wird zur Frage der Anwendbarkeit von §§ 110 ff. ZPO auf andere als Klageverfahren zum Teil eine enge Auffassung vertreten. Danach sind die Vorschriften auf alle Rechtsschutzgesuche, die nicht die Form der Klage fordern, nicht anwendbar. Eine weitergehende Auffassung stellt darauf ab, ob sich die Beteiligten wie Kläger und Beklagte gegenüberstehen und ob Sinn und Zweck des Verfahrens für oder gegen eine analoge Anwendung der Vorschriften sprechen Der Bundesgerichtshof stellt in seiner Entscheidung eingangs fest, dass das Verfahren auf Vollstreckbarerklärung eines inländischen Schiedsspruchs (§ 1060 ZPO) nach § 1062 Abs. 1 Nr. 4 Fall 2 ZPO durch einen Antrag eingeleitet wird. Somit stehen sich die Parteien nicht als Kläger und Beklagte, sondern als Antragstellerin und Antragsgegnerin gegenüber. Der Senat prüft sodann, ob die Antragsgegnerin einem Kläger im Sinne des § 110 Abs. 1 ZPO gleichsteht und verneint dies. Das folge aus der formalisierten Betrachtung der Parteirollen, die diesen Vorschriften zugrunde liege:

„Nach § 110 Abs. 1 ZPO hat nur der Kläger als Angreifer - soweit die weiteren Voraussetzungen vorliegen - eine Prozesskostensicherheit zu erbringen; der Gegenangriff des Beklagten durch eine Widerklage führt nach § 110 Abs. 2 Nr. 4 ZPO nicht zu einer solchen Verpflichtung.

Die Argumente der österreichischen Antragstellerin für die Pflicht zur Stellung einer Kostensicherheit griffen nicht durch:

„(…) vergeblich wendet die Antragstellerin ein, die vorliegende Konstellation unterscheide sich insoweit von der einer Klage und Widerklage, als die Widerklage einen gegenüber der Klage selbstständigen Streitgegenstand erfordere, während der Antrag auf Vollstreckbarerklärung auch den konkludenten Antrag auf Feststellung enthalte, dass Aufhebungsgründe nicht vorlägen, weil diese im Verfahren auf Vollstreckbarerklärung zu prüfen seien. Zum einen spricht dieses Argument eher dafür, den Antragsteller des Vollstreckbarerklärungsverfahrens als Angreifer anzusehen als den Antragsgegner. Zum anderen geht der Aufhebungsantrag insoweit über das kontradiktorische Gegenteil des Vollstreckbarerklärungsantrags hinaus, als er gemäß § 1060 Abs. 2 Satz 3 ZPO dem Antragsgegner auch nach Ablauf der in § 1059 Abs. 3 ZPO bestimmten Fristen die Geltendmachung von Aufhebungsgründen nach § 1059 Abs. 2 Nr. 1 ZPO ermöglicht. Auch ein Widerkläger, der ein über das kontradiktorische Gegenteil der Klage hinausgehendes Rechtsschutzziel verfolgt, beispielsweise durch einen widerklagend erhobenen Leistungsantrag als Gegenangriff auf eine negative Feststellungsklage, ist nach § 110 Abs. 2 Nr. 4 ZPO von der Erbringung einer Prozesskostensicherheit befreit.“

Auch das Argument der Antragstellerin, die Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs in Deutschland als Ursprungsstaat nehme der Antragsgegnerin die Möglichkeit, ein späteres Verfahren auf Vollstreckbarerklärung in einem anderen Staat durch einen Aussetzungsantrag nach Art. VI des New Yorker Übereinkommens verzögern, überzeugte den Bundesgerichtshof nicht:

„Gemäß dieser Vorschrift kann die Behörde, vor welcher der Schiedsspruch geltend gemacht wird, sofern sie es für angebracht hält, die Entscheidung über den Antrag, die Vollstreckung zuzulassen, aussetzen, wenn vor einer zuständigen Behörde des Landes, in dem oder nach dessen Recht er ergangen ist, ein Antrag gestellt worden ist, den Schiedsspruch aufzuheben oder ihn in seinen Wirkungen einstweilen zu hemmen. Auch dieser Umstand führt nicht dazu, dass die Antragsgegnerin als Angreiferin im Vollstreckbarerklärungsverfahren anzusehen ist, sondern spricht eher für die gegenteilige Sichtweise.

Im konkreten Fall wäre der Antrag auf Ausländersicherheit zudem verspätet gewesen. Der Bundesgerichtshof stellt fest, dass die Einrede der mangelnden Sicherheitsleistung für die Prozesskosten zu den die Zulässigkeit der Klage betreffenden verzichtbaren Rügen gehört, die grundsätzlich vor der ersten Verhandlung zur Hauptsache und für alle Rechtszüge erhoben werden muss. Hier hätte der Antrag also schon vor dem Oberlandesgericht, und nicht erst im Rechtsbeschwerdeverfahren gestellt werden müssen.

Anmerkung

Es fällt zwar bei wirtschaftlicher Betrachtung schwer, eine Partei, die einen ihr günstigen Schiedsspruch anerkennen lassen will, mit dem Bundesgerichtshof als „Angreiferin“ im Vollstreckbarerklärungsverfahren sehen - immerhin hat sie bereits einen Schiedsspruch auf ihrer Seite. §§ 110 ff. ZPO gebieten allerdings de lege lata eine formelle Betrachtung der Parteirollen. Die ZPO räumt den Gerichten - anders als andere Rechtsordnungen - kein auf den konkreten Fall abstellendes Ermessen über das „ob“ der Prozesskostensicherheit ein. Der Gesetzgeber stellt lediglich die Höhe der Sicherheit in das freie Ermessen des Gerichts (§ 112 Abs. 1 ZPO). Vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung des Bundesgerichtshof wohl zutreffend. Für die Praxis ist somit festzuhalten, dass der „widerklagende“ Antragsgegner nicht unter §§ 110 ff. ZPO fällt. Anders verhält es sich jedoch mit der Schiedsbeklagten, die die Aufhebung des für sie nachteiligen Schiedsspruchs begehrt. Zu dieser Konstellation referiert der Bundesgerichtshof ausführlich die Gründe des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (Beschluss vom 31. Januar 2018 - 26 Sch 7/17, juris). In diesem Verfahren hatte das Oberlandesgericht eine in den Vereinigten Arabischen Emiraten ansässige Antragstellerin in einem Aufhebungsverfahren zur Leistung einer Prozesskostensicherheit verpflichtet. Die analoge Anwendung des § 110 ZPO hatte das Gericht damit begründet, dass es sich bei dem Aufhebungsverfahren um ein kontradiktorisches Verfahren mit obligatorischer mündlicher Verhandlung handele, bei der sich Antragsteller und Antragsgegner der Sache nach wie Kläger und Beklagte gegenüberstehen. Der Aufhebungsantrag beinhalte eine mit der Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO vergleichbare Gestaltungsklage, mit deren Erhebung der Antragsteller sich in die Rolle des Angreifers begebe, um die Wirkungen des Schiedsspruchs zu beseitigen. Der Bundesgerichtshof fasst die Argumentation des Oberlandesgerichts in seinem Beschluss dann weiter zusammen:

"Der Zweck der §§ 110 ff. ZPO, den Beklagten bei der Durchsetzung seines Kostenerstattungsanspruchs zu schützen und ihn vor Vollstreckungsschwierigkeiten im Ausland zu bewahren, sei - nicht zuletzt mit Blick auf die häufig großen Streitwerte - auf das Aufhebungsverfahren übertragbar (...). Den Vorschriften komme im (isolierten) Aufhebungsverfahren praktische Relevanz zu, weil die Anordnung einer Prozesskostensicherheit gemäß § 110 Abs. 2 Nr. 3 ZPO davon abhänge, dass der Antragsteller im Inland nicht über ein zur Deckung der Prozesskosten hinreichendes Grundvermögen oder dinglich gesicherte Forderungen verfüge, so dass die §§ 110 ff. ZPO typischerweise in Fallkonstellationen anwendbar seien, in denen die obsiegende Partei kein wirtschaftliches Interesse an einer Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs im Inland habe, weil die im Schiedsverfahren unterlegene Partei über keine den Vollstreckungszugriff gewährleistenden Vermögenswerte im Inland verfüge (...). Eine besondere Beschleunigungsbedürftigkeit des Aufhebungsverfahrens hat das Oberlandesgericht Frankfurt auch wegen der nach § 1063 Abs. 2 Fall 1 ZPO vorgeschriebenen mündlichen Verhandlung verneint (...). Das Argument, dass Aufhebungsgründe auch in einem Vollstreckbarerklärungsverfahren geltend gemacht werden können, hat es mit Blick auf die formalen Parteirollen nicht für durchgreifend erachtet (...)."

Der Bundesgerichtshof stimmt diesen Ausführungen zwar nicht ausdrücklich zu, kritisiert sie aber auch nicht. Die Ausführungen sind meines Erachtens obiter dicta, und ich verstehe sie dahin, dass sich der Bundesgerichtshof in einem vergleichbaren Fall dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main folgen würde. Damit wären die beiden wesentlichen Konstellationen um Vollstreckbarerklärung und Aufhebung eines Schiedsspruchs geklärt:

  • Die Schiedspartei, die isoliert die Aufhebung des Schiedsspruchs beantragt, ist nach §§ 110 ff. ZPO zur Leistung einer Prozesskostensicherheit verpflichtet.
  • Die Schiedspartei, die die Aufhebung lediglich „widerklagend“ im Verfahren über die Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs begehrt, ist nicht zur Leistung einer Prozesskostensicherheit verpflichtet.

In manchen Konstellationen mag es daher für einen obsiegenden Schiedskläger vorteilhaft sein, zunächst mit einem Vollstreckbarerklärungsantrag abzuwarten, ob die Schiedsbeklagte innerhalb der Frist des § 1059 Abs. 3 ZPO einen Aufhebungsantrag stellt. Tut sie dass, kann der Schiedskläger einen Antrag nach § 110 ZPO stellen und „widerklagend“ die Vollstreckbarerklärung beantragen.

tl;dr: Stellt der Antragsgegner im Verfahren auf Vollstreckbarerklärung eines Schiedsspruchs einen (Gegen-)Antrag auf Aufhebung des Schiedsspruchs, sind die §§ 110 ff. ZPO auf ihn nicht entsprechend anwendbar.  

Anmerkung/Besprechung, BGH, Beschluss vom 23. September 2021 - I ZB 21/21  

Foto: National Numismatic Collection at the Smithsonian Institution, CHI-TAI-1921-Bank of Taiwan Limited-1 Yen (1915), als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons