Kündigungssperre und Nachweis der Ursächlichkeit zwischen Corona-Epdemie und Mietausfall

Der am 01.04.2020 in Kraft getretenen Art. 5 des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht (BGBl. Teil I, S. 569 ff.) wirft verschiedene rechtliche Fragen auf. Zu den prozessual interessanten Fragen gehört dabei, welche Anforderungen an den Nachweis eines Zusammenhangs zwischen der COVID-19-Pandemie und der Nichtleistung der Miete i.S.d Art. 240 § 2 Abs. 1 Satz 2 EGBGB zu stellen sind, der zur Anwendung der Kündigungssperre führt.

I. Einführung

Art. 240 § 2 EGBGB enthält eine auf die vom Gesetzgeber erwarteten Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beschränkte, für Wohn- und Gewerberaummietverträge sowie Pachtverhältnisse entsprechend geltende Einschränkung des Rechts der Vermieter zur (außer-)ordentlichen Kündigung des Vertragsverhältnisses (zum Anwendungsbereich und den Voraussetzungen der Kündigungssperre Schmidt-Kessel/Möllnitz, NJW 2020, 1103 ff.). Nach Art. 240 § 2 Abs. 1 Satz 1 EGBGB kann ein Mietverhältnis vom Vermieter nicht allein aus dem Grund gekündigt werden, dass der Mieter im Zeitraum vom 01.04.2020 bis 30.06.2020 trotz Fälligkeit die Miete nicht leistet, sofern die Nichtleistung auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruht. Der Vermieter darf also wegen Mietschulden aus diesem Zeitraum nur dann nicht kündigen, wenn diese eine Folge von durch die zur Eindämmung des massiven Anstiegs der Infektionen mit dem SARS-CoV-2-Virus herbeigeführten Einkommensverlusten sind (Gesetzesentwurf mit Begründung: BT-Drs. 19/18110, Seiten 1-2, 4, 16 und 36).

II. Glaubhaftmachung gem. Art. 240 § 2 Abs. 1 Satz 2 EGBGB

Nach Art. 240 § 2 Abs. 1 Satz 2 EGBGB obliegt es dem Mieter, den für das Eingreifen der Kündigungssperre erforderlichen Zusammenhang zwischen der COVID-19-Pandemie und der Nichtleistung der Miete nachzuweisen. Dieser Zusammenhang wird also, anders als etwa in § 1 COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz-COVInsAG im Falle des Schuldners, nicht bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen mit prozessualen Folgen gesetzlich vermutet, § 292 ZPO. Er ist - sofern vom Vermieter bestritten - aber vom Mieter auch nicht zu beweisen, sondern „nur“ glaubhaft zu machen. Art. 240 § 2 Abs. 1 Satz 2 EGBGB verweist damit auf § 294 ZPO.

1. Mittel der Glaubhaftmachung

Nach § 294 Abs. 1 ZPO kann sich der Mieter aller Beweismittel der ZPO (Augenschein: §§ 371 ff.; Zeugen: §§ 373 ff.; Sachverständige: §§ 402 ff.; Urkunden: §§ 415 ff. und Parteivernehmung: §§ 445 ff.), aber auch der Versicherung an Eides statt bedienen. Anerkannt sind als geeignete Mittel der Glaubhaftmachung darüber hinaus z.B. schriftliche Zeugenerklärungen, Privatgutachten, Abschriften von Urkunden und die anwaltliche Versicherung (statt anderer Zöller/Greger, ZPO, 33. Auflage, § 294 Rn. 5 m.N.). Demgemäß werden in der Gesetzesbegründung als geeignete Mittel auch der Nachweis der Antragstellung bzw. die Bescheinigung über die Gewährung staatlicher Leistungen, Bescheinigungen des Arbeitgebers oder andere Nachweise über das Einkommen bzw. über den Verdienstausfall genannt (BT-Drs. 19/18110, S. 36). Ist Glaubhaftmachung zugelassen, kann sich auch der Gegner auf diese Art der „Beweisführung“ beschränken. Der Vermieter kann also sein bestreitendes Vorbringen mit den gleichen Mitteln glaubhaft machen, um die Behauptungen des Mieters zu widerlegen oder zu entkräften (Zöller/Greger § 294 Rn. 2; MüKoZPO/Prütting § 294 Rn. 23 jeweils m. N.). § 294 Abs. 2 ZPO (Beschränkung auf präsente Beweismittel) findet keine Anwendung. Diese erschwerende Regelung gilt nur, wenn die Glaubhaftmachung gesetzlich gefordert, wie z.B. in §§ 236 Abs. 1 Satz 1 ZPO oder § 920 Abs. 2 ZPO, also nicht nur zugelassen wird (s. BGH, Beschluss vom 04. April 2007 – III ZB 79/06 zu § 104 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Da es einer Glaubhaftmachung nach allgemeinen prozessualen Grundsätzen nicht bedarf, wenn der Zusammenhang außer Streit steht, ist sie nicht gesetzlich gefordert (so auch Schmidt-Kessel/Möllnitz a.a.O.; a.A. Herlitz, jurisPR-MietR-8/2020 Anm. 1).

2. Anforderungen an den Nachweis

Die Frage, ob eine tatsächliche Behauptung glaubhaft gemacht ist, bestimmt sich nach den zu § 294 ZPO entwickelten Rechtsprechungsgrundsätzen. Danach genügt ein geringerer Grad der richterlichen Überzeugungsbildung. An die Stelle des Vollbeweises, der die volle subjektive Überzeugung des Gerichts von der Wahrheit einer Behauptung erfordert (Zöller/Greger § 286 Rn. 18/19 m.N.), tritt im Rahmen des § 294 ZPO eine Wahrscheinlichkeitsfeststellung. Die Behauptung ist glaubhaft gemacht, sofern eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass sie zutrifft (vgl. etwa BGH, Beschluss v. 14.07.2015 – II ZB 27/14 Rn. 7 m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind dann erfüllt, wenn bei der erforderlichen umfassenden Würdigung der Umstände des jeweiligen Falles mehr für das Vorliegen der in Rede stehenden Behauptung spricht als dagegen. Die Feststellung der überwiegenden Wahrscheinlichkeit unterliegt dem Grundsatz der freien Würdigung des gesamten Vorbringens (BGH a.a.O.). Mit der genannten Einschränkung den Grad der Überzeugungsbildung betreffend gelten also die zum Vorgang der freien Würdigung gemäß § 286 ZPO entwickelten Grundsätze (Zöller/Greger § 286 Rn. 12 ff m.N.) entsprechend. a) Der Mieter, der sich gestützt auf Art. 240 § 2 EGBGB gegen eine Kündigung des Vertragsverhältnisses wenden will, muss den Zusammenhang i.S.d. Art. 240 § 2 Abs. 1 EGBGB schlüssig vortragen und ihn (spätestens im Falle des Bestreitens) glaubhaft machen. Ein hoher „Beweiswert“ wird insofern den unter 1. genannten Nachweisen und Bescheinigungen zukommen. Denn der Gesetzgeber geht davon aus, dass die zur Eindämmung der Ausbreitung des Virus angeordneten Maßnahmen zu erheblichen Einkommensverlusten bei bestimmten Personen führen werden (BT-Drs. 19/18110 S. 1, 16/17). b) Die Anforderungen an das Bestreiten dieses Zusammenhangs bestimmen sich allgemeinen Grundsätzen (s. dazu Zöller/Greger138 Rn. 8 ff. m.N.) folgend danach, wie substantiiert der Mieter vorgetragen hat. Konkreter Vortrag des Mieters ist mithin qualifiziert, nicht bloß pauschal zu bestreiten. Auch wenn der Vermieter nicht das Fehlen des Zusammenhangs darlegen und glaubhaft machen muss, wird im Einzelfall zu prüfen sein, ob es dem Mieter nicht im Rahmen einer sekundären Darlegungslast (Zöller/Greger § 138 Rn. 8b m.N.) obliegt, dem Gegner, der regelmäßig keinen Einblick in seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse hat, ein qualifiziertes Bestreiten zu ermöglichen, indem er hierzu näher ausführt und dem Gegner eine Überprüfung ermöglicht. Denkbar wären z.B. (Negativ-)Erklärungen zu Bankguthaben und/oder Nebeneinkünften. c) Ob der Mieter den Zusammenhang glaubhaft gemacht hat, ist durch das Gericht auf der Grundlage sämtlicher ihm zur Kenntnis gebrachten Umstände im Einzelnen zu prüfen, um feststellen zu können, ob eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für den Zusammenhang besteht. Hier kann die Rechtsprechung zu § 920 Abs. 2 ZPO (Zöller/ Vollkommer § 920 Rn. 9 ff. m.N.) eine Orientierung bieten. Danach würde die Glaubhaftmachung dann nicht mehr ausreichen, wenn die andere Partei bereits den Vollbeweis erbracht hätte. Im Allgemeinen kommt es jedoch weniger auf den „formalen“ Wert des Mittels an; ein Vollbeweismittel wie die Zeugenaussage besitzt also nicht per se mehr Überzeugungskraft als eine eidesstattliche Versicherung. Maßgeblich ist vielmehr die Aussagekraft des Glaubhaftmachungsmittels. Der „Beweiswert“ einer detaillierten und aussagekräftigen Versicherung an Eides statt wird durch eine vage (Gefälligkeits-)Aussage kaum zu entkräften sein. Je konkreter der Inhalt der Unterlagen ist, mittels derer der Mieter glaubhaft machen will, aufgrund der Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie erhebliche Einkommensverluste gehabt zu haben und nicht über ausreichende finanzielle Rücklagen zu verfügen, desto höhere inhaltliche Anforderungen sind an die Mittel zu stellen, die diese Wahrscheinlichkeitsfeststellung zum Nachteil des Vermieters verhindern sollen. Umgekehrt wird eine nicht aussagekräftige und nicht durch objektive Angaben untermauerte Versicherung an Eides statt dem Gericht womöglich für seine Überzeugungsbildung schon nicht ausreichen. Gleichwohl schadet auch in diesem Fall qualifiziertes Bestreiten nicht und dürfte dann auch die Feststellung einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit hindern. Aufgrund des auch im Rahmen von § 294 ZPO geltenden Gebotes der vollständigen Würdigung fließt der gesamte Inhalt der Verhandlung in die richterliche Überzeugungsbildung ein (vgl. § 286 Abs. 1 ZPO). Die Würdigung bezieht sich daher auch auf die Inhalte der Schriftsätze samt Anlagen sowie das prozessuale Verhalten der Parteien. Dabei können u.a. nicht durch die Prozessentwicklung erklärbare Änderungen im Vorbringen oder gar mehrfach wechselnder Sachvortrag, die Weigerung, bestimmte Unterlagen vorzulegen oder bekannte Zeugen zu benennen, oder die fehlende Bereitschaft, sich als Partei vernehmen zu lassen, eine Rolle spielen.

III. Fazit

Die Kündigungssperre wird die Anwaltschaft und nachfolgend die Gerichte mit hoher Wahrscheinlichkeit beschäftigen. Dies wird aber keine prozessualen Fragen aufwerfen, welche nicht anhand bewährter Grundsätze beantwortet werden könnten.
Zur Person: Kornelia Toporzysek ist Richterin am OLG Düsseldorf und Mitglied des für Handels-, Gesellschafts- und Bankrecht zuständigen 6. Zivilsenats.