OLG Nürnberg: Rechtliche Hinweise im obiter dictum des Berufungsurteils?
Entscheidung
Das OLG hat darauf hingewiesen, dass es beabsichtige, die Berufung gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen; die Klägerin hat die Berufung daraufhin zurückgenommen.„Soweit die Klägerin im Schriftsatz vom 21.02.2018 neue Tatsachen vorträgt, (…) liegen die Voraussetzungen des § 530 Abs. 2 Satz 1 ZPO [richtig: § 531 Abs. 2 Satz 1 ZPO] für deren Zulassung nicht vor.
Die Klägerin beruft sich ohne Erfolg unter dem Gesichtspunkt einer Missachtung der richterlichen Hinweispflicht (§ 139 ZPO) auf eine Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG. Die angefochtene Entscheidung beruht nicht auf einem möglicherweise verspätet erteilten Hinweis des Landgerichts, weil die Klägerin schon infolge der Ausführungen des Senats im Urteil vom 28.06.2017 zutreffend und umfassend über die Sach- und Rechtslage unterrichtet war. (...)
Die in § 139 ZPO normierten Hinweispflichten modifizieren den Beibringungsgrundsatz lediglich in gewisser Weise durch das Gebot richterlicher Hilfestellung (…). Sie konkretisieren den Anspruch der Parteien auf rechtliches Gehör und dienen der Vermeidung von Überraschungsentscheidungen. So muss es den Parteien ermöglicht werden, vor einer Entscheidung zu Wort zu kommen, um Einfluss auf das Verfahren und sein Ergebnis nehmen zu können. Die Parteien dürfen deshalb nicht gehindert werden, rechtzeitig ihren (entscheidungserheblichen) Sachvortrag zu ergänzen (…).
Im Interesse einer sachgerechten Entscheidung des Rechtsstreits hat das Gericht daher ergänzend einzugreifen, wenn anzunehmen ist, dass das mangelhafte Vorbringen einer Partei auf einem Versehen oder einem Irrtum beruht und die Partei auf einen Hinweis den Mangel beseitigen wird (…). Die Hinweispflicht greift demgemäß auch gegenüber einer anwaltlich vertretenen Parteien, wenn die Rechtslage erkennbar falsch beurteilt oder ersichtlich darauf vertraut wird, das schriftsätzliche Vorbringen sei ausreichend (…). Erforderlich ist ein Hinweis darüber hinaus dann, wenn das Gericht Anforderungen an den Sachvortrag stellt, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter – selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen – nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (…).
Art. 103 Abs. 1 GG verlangt aber weder, dass das Gericht vor der Entscheidung auf seine Rechtsauffassung hinweist, noch ist dem Grundrecht eine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht des Richters zu entnehmen (…). Vielmehr bedarf es eines konkreten Anlasses für einen Hinweis (…). Deshalb erübrigt sich eine Hinweispflicht, wenn ein etwaiger Aufklärungsbedarf bereits befriedigt ist. Davon ist nicht nur auszugehen, wenn ein Erfordernis weiteren Sachvortrags schon in der Vorinstanz hervorgehoben worden ist (…). Vielmehr gilt dies auch, wenn Entsprechendes im höheren Rechtszug – beispielsweise im Rahmen eines zurückverweisenden Urteils – dargestellt worden ist (…).
Ob die erneut befasste Vorinstanz an die Rechtsauffassung des Rechtsmittelgerichts gebunden ist, ist dabei unerheblich. Denn durch den Hinweis des Rechtsmittelgerichts erhält die Partei die Möglichkeit, Art und Umfang ihres bisherigen Vorbringens zu überdenken. Sie kann entweder Gegenstand und Umfang ihrer bisherigen Sachverhaltsdarstellung verteidigen oder – gegebenenfalls auch nur hilfsweise – weiter vortragen. Die Notwendigkeit dazu ergibt sich unabhängig von irgendwelchen Fristsetzungen durch die erneut befasste Vorinstanz aus der Prozessförderpflicht, § 282 ZPO. Diese verpflichtet die Parteien zur konzentrierten Verfahrensführung. Es soll sichergestellt werden, dass der Sachvortrag nicht nur rechtzeitig, sondern auch in dem jeweils gebotenen Umfang vorgebracht wird (…). Dabei bleibt es stets jeder Partei – und damit auch Klägerin im vorliegenden Fall – überlassen, ob sie einem Hinweis folgt oder nicht (…).
Auch wenn das erneut befasste Landgericht bei seiner Entscheidung, ob es dem Senat folgen will, nicht gebunden gewesen sein sollte, musste eine gewissenhafte und kundige Partei angesichts des bisherigen Prozessverlaufs auch damit rechnen, dass dieser Fall eintritt. Dies gilt insbesondere im Hinblick darauf, dass in dem Senatsurteil keinesfalls eine neue Rechtsansicht entwickelt bzw. vertreten, sondern ausschließlich die gefestigte Rechtsprechung dargestellt wurde.“