Statthafter Rechtsbehelf gegen Europäischen Zahlungsbefehl

Welche(r) Rechtsbehelf(e) sind vor deutschen Gerichten gegen einen im Ausland erlassenen Europäischen Zahlungsbefehl statthaft? (Und was ist überhaupt ein Europäischer Zahlungsbefehl?) Damit hat sich das Brandenburgische Oberlandesgericht mit Beschluss vom 02.06.2021 – 7 W 99/20 befasst.

Sachverhalt

Gegen die im Bezirk des LG Frankfurt/Oder ansässige Schuldnerin hatte ein polnisches Gericht einen für vollstreckbar erklärten Europäischen Zahlungsbefehl (s. dazu unten unter „Hintergrund“) erlassen und diese zur Zahlung verpflichtet. Gegen diesen Europäischen Zahlungsbefehl wendete sich die Schuldnerin vor dem Landgericht Frankfurt/Oder mit einem Antrag gem. § 1115 ZPO, mit dem sie begehrte, dass die Anerkennung und Vollstreckung der Entscheidung in Deutschland gem. Artt. 45 Abs. 1 lit. b), 46 EuGVVO versagt werde. Denn die Gläubigerin habe die gesetzlichen Vertretungsverhältnisse der Schuldnerin falsch angegeben, so dass die Zustellung an diese unwirksam sei. Damit hatte die Schuldnerin vor dem Landgericht keinen Erfolg. [wpex more="Hintergrund" wpex less="Hintergrund"] Die Vollstreckbarkeit von in anderen EU-Staaten ergangenen Gerichtsentscheidungen richtet sich im Grundsatz nach der EuGVVO (VO [EG] 1215/2012). Daneben gibt es aber mit der EuMVVO (EU-Mahn-VO, VO [EG] 1896/2006), der EuVTVO (VO [EG] 805/2004) und der EuGFVO (EU-Bagatell-VO, VO [EG] 861/2007) drei in europäischen Verordnungen geregelte Verfahren, die auf den Erlass eines originär europäischen Titels gerichtet sind, aus dem ohne weitere Voraussetzungen in allen Mitgliedsstaaten die Zwangsvollstreckung betrieben werden kann. (Zu den drei Verfahren wird es voraussichtlich im Herbst/Winter hier jeweils einen ZPO-Überblick geben.) Das in der EuMVVO geregelte Verfahren auf Erlass eines europäischen Zahlungsbefehls ist teilweise dem deutschen Mahnverfahren nachgebildet (allerdings einstufig ausgestaltet). Es soll grenzüberschreitende Verfahren im Zusammenhang über unbestrittenen Geldforderungen vereinfachen einen „freien Verkehr“ der Europäischer Zahlungsbefehle in den Mitgliedstaaten ermöglichen (s. Art. 1 EuMVVO). Trotzdem ist die praktische Bedeutung der EuMVVO und der §§ 1087 ff. ZPO gering. Das dürfte damit zusammenhängen, dass das Verfahren wenig bekannt ist und dass einer der wesentlichen Vorteile des Verfahrens (die grenzüberschreitende Vollstreckung ohne Anerkennung oder Vollstreckbarerklärung) seit 2015 weggefallen ist. Denn mit der Neufassung der EuGVVO (Brüssel-Ia-VO) Titel innerhalb der EU ohnehin ohne gesonderte Vollstreckbarerklärung vollstreckbar sind (s. Art. 39 EuGVVO). Nur auf Antrag des Schuldners kann im Verfahren gem. Artt. 45, 46 EuGVVO ausnahmsweise die Anerkennung und Vollstreckung der Entscheidung im Vollstreckungsstaat versagt werden. Aus Schuldnersicht stellt sich bei der grenzüberschreitenden Vollstreckung jeweils die Frage, welche Rechtsbehelfe im Vollstreckungsstaat statthaft sind, und welche Rechtsbehelfe im (ausländischen) Ausgangsstaat eingelegt werden müssen. Darum ging es auch hier: Denn die Schuldnerin hatte sich mit einem Antrag gem. § 1115 ZPO, Artt. 45, 46 EuGVVO gegen den Europäischen Zahlungsbefehlt gewendet. Fraglich war aber, ob ein Europäischer Zahlungsbefehl überhaupt in den Anwendungsbereich der Artt. 39 ff. EuGVVO fällt. Das hatte das Landgericht hier verneint, wogegen sich die Schuldnerin mit der sofortigen Beschwerde wendete. [/wpex]

Entscheidung

Das OLG hat die sofortige Beschwerde als unzulässig verworfen:

„Ein Europäischer Zahlungsbefehl kann im Verfahren nach Art. 45 EuGVVO – VO (EU) 1215/2012 („Brüssel Ia“) – und § 1115 ZPO nicht überprüft werden. Die darauf gerichteten Anträge der Schuldnerin sind unzulässig. Die Voraussetzungen des Erlasses eines Europäischen Zahlungsbefehls werden ausschließlich im Ursprungsstaat geprüft, auch soweit ausnahmsweise eine Prüfung nach Erlass des Zahlungsbefehls zulässig ist (Art. 20 EuMVVO – VO [EG] 1896/2006).

Die Einführung des Europäischen Zahlungsbefehls beruht auf dem gegenseitigen Vertrauen der Mitgliedstaaten in deren ordnungsgemäße Rechtspflege. Auch das Einhalten prozessualer Mindestvoraussetzungen wird auf Grund dieses Vertrauens nicht im Vollstreckungsstaat geprüft (EG 27 zur VO [EG] 1896/2006). Dem Vollstreckungsstaat ist jede Überprüfung der Erlassvoraussetzungen und – erst recht – der materiellen Richtigkeit des Zahlungsbefehls verboten (Art. 22 III EuMVVO).

Diese Regelungen über den Europäischen Zahlungsbefehl gehen den allgemeineren Vorschriften des Art. 45 EuGVVO vor. Auch die Verweigerung der Vollstreckung ist im Art. 22 I, II EuMVVO wesentlich enger gefasst – res iudicata, Erfüllung – als in den Art. 45, 46 EuGVVO (…).

Nach diesen Grundsätzen hat das Landgericht die Überprüfung der Erlassvoraussetzungen des Europäischen Zahlungsbefehls zutreffend abgelehnt.

Einwendungen nach Art. 22 I, II EuMVVO hat die Schuldnerin nicht geltend gemacht, so dass nicht erörtert werden muss, ob das Landgericht sie prüfen (…) könnte (§§ 1096, 1084, 1086 ZPO), obwohl die Schuldnerin ausdrücklich darauf bestanden hat, es solle im Verfahren nach § 1115 ZPO entschieden werden.“

Anmerkung

Die Entscheidung entspricht der ständigen Rechtsprechung des EuGH (s. EuGH, Urteil v. 04.09.2014 – C-119/13, C-120/13; Urteil v. 06.09.2018 – C-21/17; kritisch dazu Ulrici, EuZW 2017, 367, 372 f.), der eine Analogie zu Art. 20 EuMVVO ablehnt. Die Schuldnerin ist deshalb darauf verwiesen, ihr ggf. zustehende Rechtsbehelfe vor den polnischen Gerichten zu verfolgen. Die Entscheidung zeigt aber deutlich, dass die europäischen „Dunkelverordnungen“ (EuMVVO, EuGFVO und EuVTVO) aus Gläubigersicht auch nach der Reform der EuGVVO Vorteile bieten können. Denn hätte die Gläubigerin in einem nationalen polnischen (Mahn-)verfahren einen Titel gegen die Schuldnerin erwirkt, wäre der Rechtsbehelf der Schuldnerin statthaft gewesen und das deutsche Gericht hätte die Versagungsgründe gem. Art. 45 EuGVVO prüfen müssen. Da die Gläubigerin sich für das Verfahren nach der EuMVVO entschieden hatte, war der Rechtsbehelf nicht statthaft. So kann eine grenzüberschreitende Vollstreckung deutlich vereinfacht und beschleunigt werden. tl;dr: Die Voraussetzungen für den Erlass eines Europäischen Zahlungsbefehls werden ausschließlich im Ursprungsstaat geprüft. Das gilt auch für die Frage der ordnungsgemäßen Zustellung des Zahlungsbefehls.  Anmerkung/Besprechung, OLG Brandenburg, Beschluss vom 02.06.2021 – 7 W 99/20. Foto: © Ehssan Khazaeli