Reformbedarf im Zivilprozess: Ergebnisse der Umfrage

In den letzten Wochen haben wir hier im Blog bekanntlich eine Umfrage durchgeführt, um zu erfahren, welche der in den letzten Monaten diskutierten Reformvorschläge zum Zivilprozessrecht Sie als Leser:innen dieses Blogs am Wichtigsten finden. Insgesamt sind drei eindeutige „Gewinner“ auszumachen: Ein „Recht auf Videoverhandlung“, die Verbesserung der Praxis betreffend die Veröffentlichung aller Gerichtsentscheidungen und eine Modernisierung der Protokollvorschriften (s. zur Begründung der Vorschläge ausführlich hier). Für wenig wichtig oder überzeugend wurden die Vorschläge einer Gruppenklage, eines Basisdokuments und der Einrichtung sog. Commercial Courts gehalten. Aus den Ergebnissen wird unserer Ansicht nach zweierlei deutlich: Eine weitere Digitalisierung scheint wichtig, um mehr Transparenz zu schaffen und die Parteiherrschaft über das Verfahren zu stärken. Die großen, das System des Zivilprozesses ändernden Vorschläge (Gruppenklage, Basisdokument) scheinen hingegen eher weniger drängend. Als weiterer Reformbedarf von den Teilnehmer:innen mehrfach vorgeschlagen wurden außerdem Verbesserungen der beA-Infrastruktur und ein Datenraum, wie er z.B. in Schiedsverfahren genutzt wird. Außerdem wurde u.a. vorgeschlagen:
  • Eine Abschaffung der Wertgrenze für die NZB
  • Eine Anhebung der Wertgrenze in § 23 GVG
  • Eine Zulassung von Minderheitsvoten auch außerhalb des BVerfG
  • Eine Abschaffung der Gerichtskostenfreiheit der öffentlichen Hand in § 2 Abs. 1 GKG
  • Eine Pflicht des Gerichts, frühzeitig schriftlich eine erste Einschätzung abzugeben.
Interessant ist ein Vergleich mit den Abstimmungsergebnissen beim ersten Zivilrichtertag Anfang des Jahres in Nürnberg. Sechs der zehn Vorschläge, die wir zur Abstimmung gestellt hatten, standen auch dort auf dem Programm. Beim Zivilrichtertag (bei dem lediglich Richter:innen abgestimmt haben) fiel die Modernisierung der Protokollvorschriften als einziger Vorschlag (mit 58 % Nein-Stimmen) deutlich durch, er hat in unserer Umfrage mit fast 50% Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten hingegen eine deutliche Zustimmung erfahren und landete auf Platz zwei. Keinen Enthusiasmus löste hier wie dort die Idee eines Basisdokuments aus. Nur eine knappe Mehrheit von 51 % der Zivilrichter befürworteten diese Idee, bei uns kommt sie auf den vorletzten Platz. Nur 16 % unserer Leser:innen halten dies für einen der drei wichtigsten Vorschläge. Von den 407 Teilnehmer:innen haben uns außerdem 361 ihren beruflichen Hintergrund mitgeteilt. Uns scheint, dass die Zusammensetzung damit jedenfalls für die prozessrechtliche Praxis annähernd repräsentativ sein könnte. Wir danken allen für Teilnahme und sind gespannt auf Ihre Rückmeldung, wie Sie die Ergebnisse bewerten!