Vom richtigen Zeitpunkt der gerichtlichen Prüfung der Schiedsrichterbestellung

Im Zusammenhang mit Schiedsverfahren ist die Zuständigkeit der Gerichte beschränkt (§ 1026 ZPO) einerseits auf unterstützende Tätigkeiten während des Schiedsverfahrens, wie zum Beispiel bei der Bestellung und Ablehnung von Schiedsrichtern (§§ 1035 bis 1039 ZPO) oder, da dem Schiedsgericht insoweit die hoheitlichen Befugnisse fehlen, bei der Beweisaufnahme (§ 1050 ZPO). Andererseits sind die staatlichen Gerichte zuständig für eine grundsätzlich nachgelagerte Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Schiedsverfahrens und des Schiedsspruchs (§ 1059 ZPO). Die besprochene Entscheidung (OLG München, Beschluss vom 26. Juni 2019 – 34 SchH 6/18) befasst sich mit der Frage, ob der Streit zwischen Parteien, ob die Ernennung von Schiedsrichtern wirksam und das vereinbarte Verfahren hierzu eingehalten worden ist, nach § 1035 Abs. 4 ZPO und damit während des laufenden Schiedsverfahrens zu entscheiden ist, oder erst nach Abschluss des Schiedsverfahrens und Erlass des Schiedsspruchs: Nach § 1059 Abs. 2 Nr. 1 d ZPO stellt es einen möglichen Grund für die Aufhebung des Schiedsspruchs dar, wenn „die Bildung des Schiedsgerichts oder das schiedsrichterliche Verfahren einer Bestimmung dieses Buches oder einer zulässigen Vereinbarung der Parteien nicht entsprochen hat,“ sofern anzunehmen ist, dass sich diese Abweichungen vom vereinbarten Bestellungsverfahren auf den Schiedsspruch ausgewirkt haben.

Sachverhalt

Die Parteien hatten in einem Kaufvertrag über eine Rechtsanwaltspraxis folgende Vereinbarung getroffen:

„Die Parteien verpflichten sich, bei allen Streitigkeiten, die sich aus oder im Zusammenhang mit diesem Vertrag oder über seine Auslegung, Durchführung, Gültigkeit oder Beendigung ergeben, zunächst ein Schlichtungsverfahren bei der Rechtsanwaltskammer Nürnberg durchzuführen, um eine interessengerechte und ausgewogene Lösung zu erzielen. Sollte es im Schlichtungsverfahren nicht zu einer Lösung kommen, so ist jede Partei berechtigt, ein Schiedsverfahren einzuleiten. In diesem Fall wird die Streitigkeit durch einen vom Präsidenten der Rechtsanwaltskammer Nürnberg zu bestellenden Schiedsrichter unter Ausschluss des ordentlichen Rechtsweges endgültig entschieden.“

Nachdem es zum Streit zwischen den Parteien kam, leitete eine Partei ein Schiedsverfahren ein, in dessen Zuge die Rechtsanwaltskammer Nürnberg Rechtsanwalt N. als Schiedsrichter benannte. Hiergegen wendete sich der Schiedsbeklagte mit dem Antrag festzustellen, dass die Bestellung von Rechtsanwalt N. als Schiedsrichter unwirksam sei und dessen Schiedsrichteramt infolgedessen nicht bestehe. Hilfsweise hatte der Antragsteller beantragt, festzustellen, dass das Amt des Schiedsrichters beendet sei. Streitig war zwischen den Parteien unter anderem, ob das in der Schiedsklausel vorgesehene Schlichtungsverfahren noch hätte durchgeführt werden müssen, oder ob darauf verzichtet wurde.

Entscheidung

Das Oberlandesgericht München hat den Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit der Bestellung des Schiedsrichters bereits als nicht statthaft zurückgewiesen. Der Münchener Schiedssenat hat zur Begründung aufgeführt:

§ 1035 Abs. 4 ZPO sieht eine Mitwirkung der staatlichen Gerichte nur für den Fall vor, dass die Parteien ein bestimmtes Verfahren für die Bestellung des oder der Schiedsrichter vereinbart haben, dieses Verfahren jedoch nicht zum Ziel führt. § 1035 Abs. 4 ZPO greift jedoch dann nicht mehr, wenn sich das Schiedsgericht bereits konstituiert hat und Streitigkeiten darüber bestehen, ob die getroffenen Vereinbarungen eingehalten worden sind.

§ 1026 ZPO bestimmt, dass das staatliche Gericht im Rahmen der §§ 1025 bis 1061 ZPO nur dann tätig werden darf, wenn das Gesetz dies ausdrücklich vorsieht. (…) Eine Erweiterung der Befugnisse der staatlichen Gerichte durch die Rechtsprechung wird damit ausgeschlossen (HK-ZPO/Saenger 7. Aufl. § 1026 Rn. 1 ff.; Musielak/Voit/Voit, ZPO 15. Aufl. § 1026 Rn. 1; MüKo/Münch, ZPO 5. Aufl. § 1026 Rn. 7).

Es mag prozessökonomisch sinnvoll sein, baldmöglichst eine Klärung darüber herbeizuführen, ob die Zusammensetzung des Schiedsgerichts der Parteivereinbarung entspricht oder nicht. Prozessökonomische Gründe erlauben es jedoch nicht, gerichtliche Zuständigkeiten über die gesetzlichen bestimmten Möglichkeiten hinaus zu erweitern (so aber wohl Kröll, SchiedsVZ 2003, 78). Für die Richtigkeit der vorgenannten Ansicht spricht auch, dass § 1059 Abs. 2 Nr. 1 d ZPO den Parteien die Möglichkeit einräumt, Fehler bei der Bildung des Schiedsgerichts im Aufhebungsverfahren geltend zu machen. Allerdings schränkt das Gesetz die Aufhebungsmöglichkeit ein, indem es fordert, es müsse anzunehmen sein, dass sich diese Fehler auf den Schiedsspruch selbst ausgewirkt haben. Damit hat der Gesetzgeber klargestellt, dass nicht jede - möglicherweise nur unbedeutende formale - Abweichung von der Vereinbarung zur Aufhebung eines Schiedsspruchs führen soll.

Dieser gesetzgeberischen Entscheidung kann aber nicht mehr Rechnung getragen werden, wenn das staatliche Gericht bereits vorab darüber entscheiden kann, ob das Bestellungsverfahren den getroffenen Vereinbarungen entspricht. Denn zuverlässige Kriterien dazu, welche Fehler vorab noch toleriert werden können, fehlen. Darüber hinaus würde die Möglichkeit, bereits vorab feststellen zu lassen, ob das vereinbarte Verfahren eingehalten worden ist, einen Eingriff in die Parteiautonomie darstellen. Die Parteien haben sich für einen Weg außerhalb der staatlichen Gerichtsbarkeit entschieden. Es darf ihnen daher nicht verwehrt werden, Probleme zuerst im Rahmen des Schiedsverfahrens zu lösen und ihnen die Möglichkeit zu geben, sich unter Vermittlung des Schiedsrichters auf ein für alle Beteiligten befriedigendes Verfahren zu einigen.“

Anmerkung

Das ist bemerkenswert, weil der Senat einer Entscheidung aus dem Jahr 2011 (Oberlandesgericht München, Beschluss vom 21.12.2011, 34 SchH 11/11; SchiedsVZ 2012, 111) dieselbe Frage noch anders beantwortet hatte. Damals lautete der Leitsatz, der Streit zwischen Parteien, ob die Ernennung von Schiedsrichtern wirksam und das vereinbarte Verfahren hierzu eingehalten worden ist, sei auf der Grundlage von § 1035 Abs. 4 ZPO zu entscheiden. Das Gericht hatte § 1035 Abs. 4 ZPO entsprechend angewendet und zur Begründung ausgeführt, die Parteien auf andere Wege zur Klärung dieser Frage zu verweisen, sei „prozessökonomisch nicht sinnvoll und stünde dem Grundsatz entgegen, möglichst frühzeitig alle Streitigkeiten bezüglich Zusammensetzung und Zuständigkeit des Schiedsgerichts zu klären.“ Diese bisherige Rechtsprechung hat das Gericht nunmehr ausdrücklich aufgegeben. Das Oberlandesgericht München hat ohne Not und ohne zwingende Begründung eine Rechtsprechung aufgegeben, die auf der Linie vorhergehender OLG-Entscheidungen lag (OLG Hamm, Beschluss vom 7. März 2002 - 11 Sch 1/02, SchiedsVZ 2003, 79 ff. mit zustimmender Anmerkung Kröll) und der sich die Kommentarliteratur soweit ersichtlich vollständig angeschlossen hatte (Zöller/Geimer, in der Entscheidung aus 2011 noch mit der 29. Auflage als a. A. zitiert, bejahen nunmehr das Rechtsschutzbedürfnis für einen Feststellungsantrag entsprechend § 1035 Abs. 4; Zöller/Geimer, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 1035 ZPO, Rn. 20). Den Parteien gibt das Gericht damit Steine statt Brot, es legt der vermeintlichen dogmatischen Kohärenz ein größeres Gewicht bei als der Prozessökonomie (wie hier auch Hangebrauck, EWiR 2019, 707, der neuen Rechtsprechung des OLG München zustimmend hingegen Sparka, SchiedsVZ 019, 267). Diese Rechtsprechung hat zur Folge, dass die Parteien gezwungen werden, sich in einem Schiedsverfahren zu verteidigen, das sie selbst für unzulässig halten, und das Schiedsverfahren gegebenfalls wiederholen zu müssen, wenn der daraus hervorgehende Schiedsspruch nach § 1059 Abs. 2 Nr. 1 d ZPO aufgehoben werden sollte. Dass es die Zurückstellung der Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Bestellungsverfahrens den Parteien erlaubt, wie es das Oberlandesgericht hofft, ihre „Probleme zuerst im Rahmen des Schiedsverfahrens zu lösen und ihnen die Möglichkeit zu geben, sich unter Vermittlung des Schiedsrichters auf ein für alle Beteiligten befriedigendes Verfahren zu einigen“, erscheint etwas praxisfern, wenn bereits zu Beginn des Schiedsverfahrens dessen Grundlagen, nämlich die Auswahl und Bestellung des oder der Schiedsrichter streitig werden.

Praxishinweis

Gegen Entscheidungen über die Bestellung von Schiedsrichtern nach §§ 1034, 1064 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist die Rechtsbeschwerde nicht zulässig, sie sind unanfechtbar (§ 1065 Abs. 1 ZPO). Der Bundesgerichtshof wird also zu einer Vereinheitlichung der Rechtsprechung nichts beitragen können und die Praxis mit möglicherweise unterschiedlichen Auslegungen von § 1035 ZPO in unterschiedlichen Oberlandesgerichtsbezirken leben müssen. Umso wichtiger ist es, die Schiedsklausel so zu fassen, dass Schwierigkeiten im Bestellungsverfahren, die ein gerichtliches Eingreifen erforderlich machten, möglichst ausgeschlossen werden. In tatsächlicher Hinsicht fällt auf, dass beide Entscheidungen des Oberlandesgerichts München zu Schiedsvereinbarungen zwischen Rechtsanwälten ergingen, einmal in einem Sozietätsvertrag und einmal in einem Praxiskaufvertrag. In beiden Fällen wurde kein institutionelles Schiedsgericht vereinbart, sondern eine individuelle Schiedsabrede über ein ad hoc-Schiedsverfahren mit eigenen Regeln für das Bestellungsverfahren getroffen. Die Parteien wären wohl besser beraten gewesen, wenn sie die Standardschiedsklausel einer Schiedsinstitution wie beispielsweise der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit (DIS) gewählt hätten – weniger ist manchmal mehr. Die institutionellen Schiedsordnungen enthalten klare Regeln für die Bestellung der Schiedsrichter und für die Vorgehensweise in den Fällen, in denen sich die Parteien nicht an diese Regeln halten. tl;dr: Der Streit zwischen Parteien, ob die Ernennung von Schiedsrichtern wirksam und das vereinbarte Verfahren hierzu eingehalten worden ist, kann nicht auf der Grundlage von § 1035 Abs. 4 ZPO entschieden werden (Aufgabe von OLG München v. 21. 12. 2011 – 34 SchH 11/11).

Anmerkung zu OLG München, Beschluss vom 26. Juni 2019 – 34 SchH 6/18.

Peter Bert ist Rechtsanwalt und Solicitor und Partner im Frankfurter Büro von Taylor Wessing. Er schreibt unter auch www.disputeresolutiongermany.com (auf Englisch) über Prozessführung, Schiedsverfahren und Mediation in Deutschland.