Wer entbindet Berufsgeheimnisträger von der Schweigepflicht?

Entscheidungen eines BGH-Strafsenats im ZPO-Blog? Das ist tatsächlich selten (und hat es noch nicht gegeben, glaube ich). Aber die Beschlüsse des BGH vom 27.01.2021 – StB 43/20, StB 44/20 und StB 48/20 betreffen seit langem umstrittene prozessrechtliche Fragen zur Schweigepflichtenbindung juristischer Personen auch und gerade in der Insolvenz, die sich auch oder sogar gerade im Zivilprozess stellen.

Sachverhalt

Dabei stammen die Entscheidungen zwar von einem Strafsenat, aber weder aus einem Strafverfahren, noch überhaupt aus einem gerichtlichen Verfahren. Hintergrund der Beschlüsse ist der sog. Wirecard-Untersuchungsausschuss des Bundestages. Dieser hatte mehrere Personen als Zeugen vorgeladen, die für Gesellschaften des Wirecard-Konzerns als Wirtschaftsprüfer tätig waren. Der heutige Vorstand und Aufsichtsrat der Wirecard AG sowie deren Insolvenzverwalter hatten die Zeugen von ihrer Verschwiegenheitspflicht entbunden. Trotzdem verweigerten die Zeugen vor dem Untersuchungsausschuss ihr Zeugnis in Bezug auf den Komplex „Wirecard“ betreffende Fragen, weil es an einer Schweigepflichtentbindung der früher für die Wirecard AG tätigen Organe fehle. Diese sei nach einer in der Rechtsprechung und Literatur weit verbreiteten Ansicht erforderlich. Der Untersuchungsausschuss setzte daraufhin gegen die Zeugen ein Ordnungsgeld von je 1.000 EUR fest und begründete dies damit, dass die Zeugen das Zeugnis „ohne Grund“ verweigert hätten, da sie von ihrer Verschwiegenheitspflicht entbunden seien. Dagegen wendeten sich die Zeugen mit ihren Anträgen auf gerichtliche Entscheidung.

Die verfahrensrechtliche Einkleidung ist hier ziemlich speziell: Ein Untersuchungsausschuss des Bundestages ist gem. § 20 PUAG berechtigt, Zeugen zu laden und zu vernehmen. Die Zeugen können aber unter bestimmten Voraussetzungen das Zeugnis verweigern, wozu § 22 PUAG auf die Regelungen der §§ 52-53a der StPO verweist. Nach §§ 22 Abs. 1 PUAG, 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StPO sind u.a. zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt: „Wirtschaftsprüfer über das, was ihnen in dieser Eigenschaft anvertraut worden oder bekanntgeworden ist“. Nun hatten hier aber sowohl der Insolvenzverwalter über das Vermögen der Wirecard AG als auch deren jetzige Organe die Zeugen von ihrer Verschwiegenheitspflicht entbunden. Damit entfiel grundsätzlich das Zeugnisverweigerungsrecht, weil dies lediglich das Vertrauensverhältnis zwischen Mandant und Berufsgeheimnisträger schützen soll. Die Zeugen vertraten aber die Ansicht, es sei auch erforderlich, dass die damals tätigen Personen (insbesondere die damaligen Mitglieder des Vorstands) sie von der Verschwiegenheitspflicht entbinden. Denn diese hätten sie seinerzeit beauftragt, (auch) ihnen gegenüber treffe sie deshalb eine Verschwiegenheitspflicht. Das sah der Untersuchungsausschuss anders und verhängte gegen sie ein Ordnungsgeld (27 PUAG), wogegen sich die Zeugen mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung (Art. 19 Abs. 4 GG i.V.m. § 36 PUAG) wandten.

Entscheidung

Der Senat hat die Beschlüsse aufgehoben und dies damit begründet, dass die anwaltlich beratenen Zeugen bei ihrer Zeugnisverweigerung angesichts der bis dato unklaren Rechtslage ihr Zeugnis nicht schuldhaft verweigert hätten. Der Senat stellt aber klar, dass diesen ein Zeugnisverweigerungsrecht nicht zustehe (Zitat aus der Leitsatzentscheidung StB 44/20):

„a) Der Antragsteller war von der Verpflichtung zur Verschwiegenheit wirksam entbunden (§ 22 Abs. 1 PUAG, § 53 Abs. 2 Satz 1 StPO).

aa) Grundsätzlich sind diejenigen Personen dazu befugt, einen Berufsgeheimnisträger von seiner Verschwiegenheitspflicht zu entbinden, die zu jenem in einer geschützten Vertrauensbeziehung Hierunter fallen im Rahmen eines Mandatsverhältnisses mit einem Wirtschaftsprüfer regelmäßig nur der oder die Auftraggeber.

Handelt es sich hierbei um eine juristische Person, können für diese diejenigen die Entbindungserklärung abgeben, die zu ihrer Vertretung zum Zeitpunkt der Zeugenaussage berufen sind. Ist über das Vermögen der juristischen Person das Insolvenzverfahren eröffnet und ein Insolvenzverwalter bestellt worden, ist dieser berechtigt, soweit das Vertrauensverhältnis Angelegenheiten der Insolvenzmasse betrifft.

Hierzu im Einzelnen:

(1) Eine nähere allgemeine gesetzliche Regelung dazu, wer berechtigt ist, im Sinne des § 53 Abs. 2 Satz 1 StPO von der Verpflichtung zur Verschwiegenheit zu entbinden, fehlt (vgl. indes für Notare § 18 Abs. 2 BNotO). Nach der Gesetzessystematik sowie Sinn und Zweck der Vorschrift kann von einer Pflicht derjenige befreien, dem gegenüber diese besteht. Für die Frage, wem ein Berufsgeheimnisträger zur Verschwiegenheit verpflichtet ist, sind insbesondere die zugrundeliegenden berufsrechtlichen Regelungen in den Blick zu nehmen, da § 53 StPO den Schutz des „berufsbezogenen Vertrauensverhältnisses“ zum Zweck hat (…).

Ist einem Wirtschaftsprüfer im Rahmen eines bestehenden Auftragsverhältnisses etwas anvertraut oder bekannt geworden, steht es dem Auftraggeber oder den Auftraggebern zu, über eine Entbindung von der Schweigepflicht zu entscheiden; denn die allgemeine berufsrechtliche Pflicht zur Verschwiegenheit gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 WPO schützt regelmäßig nur den Auftraggeber (…).

Würde gleichwohl zusätzlich auf Dritte abgestellt, hätte das zur Konsequenz, dass es demjenigen, der die Dienstleistung eines Wirtschaftsprüfers in Anspruch nimmt und in dessen Interesse der Geheimnisträger tätig wird, versagt wäre, zur Wahrung seiner eigenen Belange eine Zeugenaussage zu ermöglichen (…). Zudem führte dies zu einem erweiterten Anwendungsbereich des eine Ausnahme von der Pflicht zur umfassenden Aufklärung der materiellen Wahrheit darstellenden Zeugnisverweigerungsrechts (…). Etwas anderes kommt in spezifisch gelagerten Sonderkonstellationen in Betracht, in denen der Dritte seinerseits in einer individuellen Vertrauensbeziehung zu dem Berufsgeheimnisträger steht (…).

(2) Ausgehend von diesen Grundsätzen ist eine juristische Person selbst berechtigt, über die Schweigepflicht von Berufsgeheimnisträgern zu entscheiden, die sie allein beauftragt hat. Da eine juristische Person indes nicht unmittelbar handlungsfähig ist, können die Erklärung nur die für sie handelnden natürlichen Personen abgeben. Weitergehende Entbindungserklärungen natürlicher Personen im eigenen Namen sind dagegen im Allgemeinen entbehrlich.

α) (…) Soweit für sie innerhalb des berufsbezogenen Vertrauensverhältnisses natürliche Personen tätig geworden sind, bedarf es deren Entbindungserklärung grundsätzlich nicht. Allein dadurch, dass sie für die juristische Person handelten, haben sie noch kein eigenes geschütztes Vertrauensverhältnis zu dem Berufsgeheimnisträger aufgebaut. Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die Interessen der juristischen Person einerseits und der für diese handelnden natürlichen Person andererseits auseinanderfallen können. Stünde beiden die Entscheidung über die Schweigepflicht zu, beeinträchtigte dies letztlich diejenige, in deren Interesse das Vertrauensverhältnis begründet wurde.

Die dagegen erhobenen Bedenken greifen nicht durch. Es existiert kein allgemeiner Grundsatz, wonach ein Vertrauensverhältnis nur zwischen natürlichen Personen bestehen könne und eine effektive Dienstleistung des Berufsgeheimnisträgers voraussetze, dass sich ihm die Organwalter vorbehaltlos öffnen könnten (…). Gegenüber der Bedeutung der handelnden natürlichen Personen ist zu beachten, dass die juristische Person (…) von der Rechtsordnung als eigenständiges Rechtssubjekt anerkannt ist, das Träger von Rechten und Pflichten sein kann (…). Den für sie tätigen Personen ist im Allgemeinen ersichtlich, dass sie nicht selbst in einem Vertrauensverhältnis zum Berufsgeheimnisträger stehen und im Konfliktfall die Interessen der diesen Beauftragenden Vorrang haben (…). Ansonsten ergäbe sich die Folge, dass bei widerstreitenden Belangen der juristischen Person und ihres früheren Organwalters letztlich dieser sich durchsetzen könnte, selbst wenn die juristische Person Vertragspartei eines Dienstleistungsverhältnisses ist.

β) Eine juristische Person wird bei der Erklärung über eine Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht durch die zu diesem Zeitpunkt entscheidungsbefugten Organe vertreten (…).

(3) Ist über das Vermögen der juristischen Person das Insolvenzverfahren eröffnet und ein Insolvenzverwalter ernannt worden, ist dieser berechtigt, den Berufsgeheimnisträger von der Verschwiegenheitspflicht zu entbinden, soweit sich das Vertrauensverhältnis auf Angelegenheiten der Insolvenzmasse bezieht. Die Dispositionsbefugnis des Geheimnisherrn geht insoweit gemäß § 80 Abs. 1 InsO auf den Verwalter über (…). Dessen Verwaltungs- und Verfügungsrechte erstrecken sich nicht ausschließlich auf das Gebiet des Vermögensrechts (...). Mithin kommt es nicht entscheidend darauf an, ob der Zeuge in einem Straf- oder Zivilverfahren – oder einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss – aussagen soll, sondern auf den Gegenstand des betroffenen Vertrauensverhältnisses und eine Bedeutung für die Insolvenzmasse (…).

Einer zusätzlichen Entbindungserklärung durch frühere oder gegenwärtige Organe bedarf es aufgrund der bereits ausgeführten Erwägungen im Normalfall nicht.“

Anmerkung

Soweit es sich um juristische Personen handelt, dürfte die Rechtslage damit klargestellt sein, und zwar sowohl außerhalb einer Insolvenz als auch in einem Insolvenzverfahren. Eine Schweigepflichtentbindung der auf Seiten der juristischen Person handelnden natürlichen Personen bedarf es nur, wenn es sich um ein Doppelmandat o.ä. handelt; dessen Voraussetzungen sind dann glaubhaft zu machen (§§ 56 StPO, 386 ZPO). In der Insolvenz natürlicher Personen werden aber voraussichtlich Abgrenzungsschwierigkeiten verbleiben: Gerade bei angehörigen der steuerberatenden Berufe wird sich z.B. oftmals nicht eindeutig abgrenzen lassen lassen, ob der Gegenstand des betroffenen Vertrauensverhältnisses (nur) die Insolvenzmasse betrifft. tl;dr: Von einer juristischen Person beauftragte Berufsgeheimnisträger können i.d.R. von den jeweils im Zeitpunkt der Zeugenaussage zur Vertretung berufenen Personen von ihrer Verschwiegenheitspflicht entbunden werden. Im Insolvenzverfahren ist dazu i.d.R. der Insolvenzverwalter berechtigt, soweit das Vertrauensverhältnis Angelegenheiten der Insolvenzmasse betrifft. Eine Entbindungserklärung der innerhalb des berufsbezogenen Vertrauensverhältnisses tätigen natürlichen Personen bedarf es i.d.R. nicht Anmerkung/Besprechung, BGH, Beschluss vom 27.01.2021 – StB 44/20. Foto: © Ehssan Khazaeli