„Sofortiges“ Anerkenntnis bei Unschlüssigkeit der Klage?

Bereits im Januar dieses Jahres hat der Bundesgerichtshof zu einer seit Langem im Prozessrecht umstrittenen Frage Stellung genommen. In dem Beschluss vom 16.01.2020 – V ZB 93/18 geht es um die Frage, ob bei einem Anerkenntnis auch die Unschlüssigkeit des Klagevorbringens eine Kostenentscheidung gem. § 93 ZPO zu Lasten der klagenden Partei rechtfertigt.

Sachverhalt

Der Beklagte ist Testamentsvollstrecker über einen Nachlass, zu dem u.a. ein Hof im Sinne der Höfeordnung gehört. Der Kläger ist Erbe und Eigentümer des Hofs (und als solcher auch im Grundbuch eingetragen) und nimmt den Beklagten auf Freigabe einiger zum Hof gehörender (und damit in seinem Eigentum stehender) Grundstücke in Anspruch (vgl. § 2217 Abs. 1 BGB). Auf eine außergerichtliche Aufforderung hat der Beklagte nicht reagiert. Der Kläger hat den Beklagten deshalb gerichtlich auf Freigabe in Anspruch genommen. Das Landgericht hat das schriftliche Verfahren angeordnet. Innerhalb der Frist zur Verteidigungsanzeige hat der Beklagte seine Verteidigungsbereitschaft angezeigt und sich ein Anerkenntnis ausdrücklich vorbehalten. Eine Klageerwiderung hat er nicht (mehr) eingereicht. Erst im daraufhin anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung hat der Beklagte den Anspruch anerkannt. Das Gericht hat den Beklagten seinem Anerkenntnis entsprechend verurteilt und ihm die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Dagegen hat sich der Beklagte mit der sofortigen Beschwerde gewendet und geltend gemacht, die Klage sei schon nicht schlüssig, weil das Freigabeverlangen nur von allen Miterben gemeinsam hätte gestellt werden können. Die Kosten seien daher gem. § 93 ZPO dem Kläger aufzuerlegen. Dem hat sich das OLG nicht angeschlossen. Mit seiner vom OLG zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt der Beklagte weiterhin, die Kosten des Rechtsstreits gem. § 93 ZPO dem Kläger aufzuerlegen.

Der Kläger war hier Eigentümer der streitgegenständlichen Grundstücke. Über diese konnte er aber wegen der Testamentsvollstreckung nicht verfügen. Deshalb wollte er, dass der Beklagte diese gem. § 2217 Abs. 1 BGB freigibt, damit der Testamentsvollstreckervermerk im Grundbuch gelöscht wird und er über diese frei verfügen kann. Darauf hatte er den Beklagten gerichtlich in Anspruch genommen, nachdem dieser auf die außergerichtliche Aufforderung nicht reagiert hatte. Im Termin hatte der Beklagte den Freigabeanspruch anerkannt. Erkennt die beklagte Partei den klageweise geltend gemachten Anspruch an, wird sie – ohne einen Antrag der klagenden Partei – gem. § 307 ZPO dem Anerkenntnis entsprechend verurteilt. Das Gericht prüft dann lediglich, ob die unverzichtbaren Sachurteilsvoraussetzungen vorliegen und das Anerkenntnis wirksam ist, nicht aber, ob die Klage im Übrigen zulässig und begründet ist. Die Kosten des Rechtsstreits sind grundsätzlich gem. § 91 Abs. 1 ZPO der beklagten Partei aufzuerlegen. Davon macht allerdings § 93 ZPO eine Ausnahme: Hat die beklagte Partei nicht durch ihr Verhalten zur Erhebung der Klage Veranlassung gegeben, so fallen der klagenden Partei die Prozesskosten zur Last, wenn die beklagte Partei den Anspruch sofort anerkennt. Eine Kostenentscheidung zu Lasten der klagenden Partei setzt also voraus, dass 1.) die klagende Partei keinen Anlass zur Klageerhebung gegeben hat und 2.) die beklagte Partei den Anspruch sofort anerkannt hat. Die Beklagte hier davon aus, dass die Klage unschlüssig sei und dies es gebiete, § 93 ZPO anzuwenden. Dem waren das Landgericht und das Oberlandesgericht nicht gefolgt.

Entscheidung

Auch der V. Zivilsenat hat die Voraussetzungen des § 93 ZPO verneint:

„a) Rechtsfehlerfrei nimmt das Beschwerdegericht an, dass der Beklagte Veranlassung zur Klage gegeben hat.

aa) Eine Partei gibt Veranlassung zur Klageerhebung, wenn ihr Verhalten vor dem Prozess aus der Sicht des Klägers bei vernünftiger Betrachtung hinreichenden Anlass für die Annahme bietet, er werde ohne Inanspruchnahme der Gerichte nicht zu seinem Recht kommen (…). Dieser Schluss ist etwa gerechtfertigt, wenn der Beklagte eine fällige Leistung trotz Aufforderung nicht erbringt (…). Auch die beklagte Partei, die auf die Geltendmachung eines Anspruchs schweigt, kann nach den Umständen des Einzelfalls Veranlassung zur Klage geben (…).

bb) So ist es hier. Der Beklagte hat Veranlassung zur Klage gegeben, weil er auf das vorgerichtliche Freigabeverlangen des Klägers geschwiegen hat. Ihm sind als Testamentsvollstrecker in §§ 2216 ff. BGB im Interesse und zum Schutz der Erben besondere Pflichten auferlegt (…). Dazu gehört es, den Nachlass ordnungsgemäß zu verwalten (§ 2216 Abs. 1 BGB) und Nachlassgegenstände, deren er zur Erfüllung seiner Obliegenheiten offenbar nicht bedarf, dem Erben auf Verlangen zur Verfügung zu stellen (§ 2217 Abs. 1 BGB). Er ist deshalb gehalten, auf ein solches Verlangen eines Erben zu reagieren und zu erklären, warum er die Freigabe (zunächst) verweigert. Das hat der Beklagte nicht getan. Sein Schweigen gab für den Kläger vernünftigerweise Anlass zu der Annahme, er werde ohne eine Klage nicht zu seinem Recht kommen.

b) Der Beklagte hat den geltend gemachten Anspruch auch nicht sofort im Sinne des § 93 ZPO anerkannt.

Hat das Gericht das schriftliche Vorverfahren angeordnet, kann die beklagte Partei, sofern die Verteidigungserklärung keinen Sachantrag ankündigt oder das Klagevorbringen bestreitet, noch in der fristgerecht eingereichten Klageerwiderung anerkennen (…). Daran fehlt es. Der Beklagte hat erst in dem Termin zur mündlichen Verhandlung das Anerkenntnis erklärt, ohne dass sich an dem Klagevortrag etwas Entscheidungserhebliches geändert hätte. Das ist nicht sofort im Sinne des § 93 ZPO.

c) Ein Ausnahmefall, nach der die Kosten des Rechtsstreits dennoch nach § 93 ZPO dem Kläger aufzuerlegen wären, liegt nicht vor.

aa) Ohne Erfolg macht die Rechtsbeschwerde geltend, der Kläger habe die Prozesskosten gemäß § 93 ZPO zu tragen, weil die Klage im Zeitpunkt des Anerkenntnisses nicht schlüssig und nicht begründet gewesen

Zwar wird teilweise vertreten, dass der Beklagte keine Veranlassung zur Klageerhebung gibt, wenn die Begründung für den anerkannten Klageanspruch nicht schlüssig ist (…) oder wenn der geltend gemachte Anspruch nicht besteht (…). Dies ist aber mit der ganz überwiegenden Ansicht abzulehnen (…). Erkennt die beklagte Partei den Klageanspruch an, ist für die Kostenentscheidung nach § 93 ZPO grundsätzlich nicht zu prüfen, ob die Klage im Zeitpunkt des Anerkenntnisses schlüssig und begründet war.

(1) Eine Partei, die den gegen sie geltend gemachten Anspruch ganz oder zum Teil anerkennt, ist dem Anerkenntnis gemäß zu verurteilen (§ 307 Satz 1 ZPO). Das Anerkenntnis enthält das Zugeständnis der Richtigkeit der tatsächlichen Klagebehauptungen und zugleich die Anerkennung, dass sich aus diesen Tatsachen die vom Kläger behaupteten Rechtsfolgen ableiten lassen. Der Anerkennende unterwirft sich dem Klageanspruch als einem zu Recht bestehenden Anspruch. Insoweit ist das Gericht der Prüfung des Streitstoffes enthoben, denn es besteht kein Streit mehr über die Begründetheit des Klageanspruchs (…).

(2) Auch im Rahmen der Kostenentscheidung hat das Gericht – wie das Beschwerdegericht zutreffend erkennt – die Schlüssigkeit und Begründetheit der Klage im Zeitpunkt des Anerkenntnisses nicht zu prüfen. Findet eine solche Prüfung bei Erlass des Anerkenntnisurteils nicht statt, muss das erst recht für die anschließende Kostenentscheidung gelten.

Die Vorschrift des § 93 ZPO durchbricht aus Billigkeitsgründen die Grundregel des § 91 ZPO, wonach die unterlegene Partei die Kostenlast trifft (…); sie dient zugleich der Entlastung der Gerichte und der Prozessökonomie, indem sie einen Anreiz setzt, unnötige Prozesse zu vermeiden und laufende Verfahren zügig zu beenden (…). Die Voraussetzungen, unter denen die beklagte Partei der Kostentragungspflicht entgehen kann – fehlende Veranlassung zur Klage und ein sofortiges Anerkenntnis – sind vor diesem Hintergrund grundsätzlich unabhängig davon zu beurteilen, ob die Klage schlüssig bzw. begründet war. Andernfalls erforderte die Entscheidung nach § 93 ZPO stets die Prüfung der materiellen Rechtslage und damit einen prozessualen Aufwand, von dem § 307 ZPO das Gericht bei der Hauptsacheentscheidung gerade enthebt. Das liefe Sinn und Zweck der Vorschrift zuwider und wäre angesichts des Anerkenntnisses der beklagten Partei auch sachlich nicht gerechtfertigt.

bb) Etwas anderes folgt nicht aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu dem Anerkenntnis bei zunächst unschlüssigem und erst im weiteren Verlauf des Rechtsstreits substantiiert vorgetragenem Klageanspruch.

(1) Wird eine Klage erst im Verlauf des Rechtsstreits schlüssig gemacht, kommt eine Ausnahme von dem Grundsatz in Betracht, dass das Anerkenntnis innerhalb der Klageerwiderungsfrist erklärt werden muss (vgl. zu diesem Grundsatz Rn. 11). Fehlt es zunächst an einer schlüssigen Klage, kann die beklagte Partei nach Behebung dieses Mangels noch „sofort“ anerkennen, auch wenn sie zuvor Verteidigungsbereitschaft angezeigt und einen Klageabweisungsantrag gestellt hat. Sie ist nicht gehalten, einen erst im weiteren Verlauf des Rechtsstreits substantiiert vorgetragenen Klageanspruch schon zuvor - gleichsam auf Verdacht - als begründet anzuerkennen, nur um sich der Kostentragungslast entziehen zu können (…). Auf diese Rechtsprechung bezieht sich das Bundesverfassungsgericht, wenn es ausführt, ein unschlüssiger Klagevortrag indiziere die fehlende Klageveranlassung (…).

(2) Das bedeutet indes nur, dass bei einem nicht schlüssig begründeten Anspruch ein fehlendes Anerkenntnis zunächst nicht schadet. Die von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zugelassene Ausnahme, wonach die beklagte Partei trotz Verstreichenlassens der Klageerwiderungsfrist noch mit der Wirkung des § 93 ZPO anerkennen kann, wenn die Klage zunächst in unschlüssiger Weise erhoben wurde, setzt voraus, dass der Kläger diesen Mangel durch ergänzten Sachvortrag vor dem Anerkenntnis behoben hat. Nur dann ist das Anerkenntnis dadurch veranlasst, dass sich etwas Entscheidungserhebliches verändert hat. Die Ausnahme gilt nicht, wenn die beklagte Partei den geltend gemachten Anspruch bei unverändert gebliebenem Klagevorbringen anerkennt. In diesem Fall kann sie aus der fehlenden Schlüssigkeit und Begründetheit des Klageanspruchs nichts mehr für die Kostenentscheidung nach § 93 ZPO herleiten.

(3) So ist es hier. Der Beklagte hat das Anerkenntnis im Termin zur mündlichen Verhandlung erklärt, obwohl das Klagevorbringen unverändert geblieben war. Für ihn bleibt es deshalb bei der Kostenlast aus § 91 Abs. 1 ZPO.“

Anmerkung

Die Entscheidung ist in praktischer Hinsicht wichtig, weil sie zeigt, dass ein Anerkenntnis nicht vorschnell erklärt werden sollte - auch wenn die beklagte Partei den Anspruch erfüllen will. Wollte der Beklagte hier die Gegenstände freigeben, aber einen weiteren Prozess aller Erben verhindern wollen, hätte es z.B. näher gelegen, statt eines Anerkenntnisses im Termin die Freigabe der Gegenstände zu erklären. Damit wäre der Anspruch erfüllt gewesen (und die Erklärung hätte auch der gem. § 29 GBO erforderlichen Form zur Löschung des Testamentsvollstreckervermerks genügt, weil das Protokoll eine öffentliche Urkunde ist). Die Unschlüssigkeit der Klage hätte der Beklagten dann im Rahmen der Kostenentscheidung gem. § 91a ZPO oder im weiteren Prozess - wäre die Erledigungserklärung einseitig geblieben - einwenden können.

Für die Ausbildung ist die Entscheidung relevant, weil sie (vielleicht ohne die erbrechtlichen Aspekte) z.B. im Anwaltsteil der mündlichen Prüfung Ausgangspunkt dafür sein kann, die verschiedenen Reaktionsmöglichkeiten auf Beklagtenseite zu thematisieren, wenn der Anspruch begründet ist bzw. erfüllt werden soll.

Interessant ist im Übrigen, dass der Senat die Frage, ob die Unschlüssigkeit der Klage eine Kostenentscheidung gem. § 93 ZPO gebietet, als gesonderten Prüfungspunkt prüft. Überzeugender wäre es wohl, bei Unschlüssigkeit der Klage ggf. einen Anlass zur Klageerhebung zu verneinen und die Prüfung deshalb dort zu verorten (vgl. auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 07. 07.2014 – 1 BvR 1063/14 Rn. 15).

tl;dr: Erkennt die beklagte Partei den Klageanspruch an, ist für die Kostenentscheidung nach § 93 ZPO grundsätzlich nicht zu prüfen, ob die Klage im Zeitpunkt des Anerkenntnisses schlüssig und begründet war. (Leitsatz des BGH)

Anmerkung/Besprechung, BGH, Beschluss vom 16.02.2020– V ZB 93/18.

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