Sofortiges Anerkenntnis bei Beschlussmängelklagen?

Bild des Landgerichts in AachenDie zweite, etwas speziellere Entscheidung in der kleinen Reihe zu § 93 ZPO ist das Urteil des LG Aachen vom 22.01.2015 – 41 O 75/14.

Darin befasst sich das Landgericht – Kammer für Handelssachen – mit der Frage, ob bei Anfechtungsklagen gegen Beschlüsse einer Gesellschafterversammlung zuvor eine Aufforderung zur Beseitigung des in Rede stehenden Beschlusses erforderlich ist und an wen eine solche Aufforderung ggf. zu richten ist.

Sachverhalt

Soweit ich dem um Tatbestand und Entscheidungsgründe gekürzten Urteil (§ 313b Abs. 1 ZPO) entnehmen kann, ging es um eine aus drei Gesellschaftern bestehenden GmbH. Der Gesellschaftsvertrag sah vor, dass Anfechtungsklagen gegen Beschlüsse der Gesellschafterversammlung binnen einer Frist von 6 Wochen nach Zugang des Protokolls erhoben werden müssen.

Mit dem in Rede stehenden Beschluss vom 23.10.2014 waren die Geschäftsführer in rechtswidriger Weise entlastet worden. Einer der – bei der Beschlussfassung anwesenden – Gesellschafter hatte gegen diesen Beschluss fristgerecht Anfechtungsklage erhoben, ohne jedoch vorher an die Gesellschaft oder die Mitgesellschafter heranzutreten. Die Gesellschaft hatte den Klageanspruch sofort anerkannt.

Die Kosten eines Rechtsstreits trägt gem. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO grundsätzlich die unterlegene Partei; obsiegen beide Parteien, sind die Kosten gem. § 92 Abs. 1 ZPO i.d.R. zu quoteln. Erkennt die beklagte Partei – wie hier – den eingeklagten Anspruch an, so ergeht gem. § 307 ZPO gegen sie ein Anerkenntnisurteil. Da sie insoweit unterliegt, hat die gem. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO grundsätzlich auch die Kosten zu tragen.

Hat die Beklagte aber durch ihr Verhalten „zur Erhebung der Klage“ keine Veranlassung gegeben und erkennt sie den Anspruch sofort an, trägt gem. § 93 ZPO der Kläger die Kosten des Rechtsstreits. Damit sollen unnötige Prozesse vermieden werden, indem die klagende Partei gehalten ist, zunächst außergerichtlich die Erfüllung des streitgegenständlichen Anspruchs zu verlangen.

Hier stellte sich aber die Frage, ob das auch gilt, wenn der Rechtsbehelf an eine relativ kurze Frist gebunden ist. Denn bei Aktiengesellschaften bestimmt § 246 Abs. 1 AktG, dass eine Anfechtungsklage binnen eines Monats zu erheben ist, für die GmbH soll die Frist etwas länger sein. Hier sah der Gesellschaftsvertrag eine Frist von „nur" 6 Wochen vor.

Entscheidung

Das Landgericht nimmt zur Begründung zunächst Bezug auf einen Beschluss des Kammergerichts vom 14.10.1999 – 2 W 6870/99, nach dem § 93 ZPO auch auf gesellschaftsrechtliche Anfechtungsklagen anwendbar sein soll, wenn die Gesellschaft aus zwei Gesellschaftern bestehe. Um eine Kostenentscheidung gem. § 93 ZPO zu vermeiden müsse der klagewillige Gesellschafter den anderen Gesellschafter zuvor auffordern, den anzufechtenden Beschluss wieder aufzuheben.

Auf diese Entscheidung nimmt das LG Aachen Bezug und schließt sich dem auch für eine aus drei Personen bestehende GmbH an, hält aber nicht den bzw. die anderen Gesellschafter für den richtigen Adressaten einer Aufforderung zur Aufhebung des Beschlusses, sondern die Gesellschaft:

„Ansprechpartner für die Anfechtungsklage sind nicht die Gesellschafter, sondern die Gesellschaft, vertreten durch den Geschäftsführer.

Zwar kann der Geschäftsführer der Gesellschaft keine verbindliche Erklärung dazu abgeben, dass die Gesellschaft nicht mehr an dem angefochtenen Beschluss festhalten will, da diese Erklärung keine Gestaltungswirkung hat.

Jedoch kann ein auf die Fehlhaftigkeit des gefassten Beschlusses rechtzeitig hingewiesener Geschäftsführer ohne Weiteres eine Gesellschafterversammlung einberufen, um auf diesem Wege gemeinsam mit den betroffenen Gesellschaftern den gefassten Beschluss wieder aufzuheben."

Auch die Fristbindung stehe der Anwendung von § 93 ZPO nicht entgegen:

„Um eine solche Maßnahme in Gang zu setzen, hatte der Kläger vor Klageerhebung ausreichend Gelegenheit.

Er war ausweislich des Protokolls auf der Gesellschafterversammlung vom 23.10.2014 zugegen, hatte also unmittelbare Kenntnis von den nunmehr gerügten Verstößen. Nach der vorgelegten Satzung der Beklagten können Gesellschafterbeschlüsse innerhalb von sechs Wochen nach Empfang der Niederschrift durch Klage angefochten werden. Dies bedeutet, dass der Kläger vom 08.11.2014 (Zugang des Protokolls) sechs Wochen lang Zeit hatte, eine fristgemäße Anfechtungsklage zu erheben. Rechnet man den Zeitraum ab dem 23.10.2014 hinzu, so standen dem Kläger sogar mehr als acht Wochen zur Verfügung, um zu den ihm bekannten Beschlussfassungen auf der Gesellschafterversammlung Rechtsrat einzuholen und auf der Basis dieses Rates seine weitere Vorgehensweise zu planen.

Da angesichts der Eindeutigkeit der Rechtslage weder die Erteilung eines solchen Rechtsrates noch die etwaige Reaktion der Beklagten bei Hinweis des Klägers auf eine beabsichtigte Anfechtungsklage längere Zeiträume in Anspruch nehmen durften, war es dem Kläger ohne Weiteres - auch zeitlich - zuzumuten, im Fall vor der Erhebung der Anfechtungsklage die Beklagte entsprechend abzumahnen und aufzufordern, die angefochtenen Beschlüsse im Rahmen einer erneuten Beschlussfassung, die auch im schriftlichen Verfahren hätte erfolgen können, aufzuheben.

Damit hätte er, wie sich aus dem sofortigen Anerkenntnis schlussfolgern lässt, die Erhebung der Klage verhindern können.

Da er aber eine Abmahnung unterlassen und darüber hinaus auch im Rahmen der Gesellschafterversammlung nicht auf die Unzulässigkeit der gefassten Beschlüsse hingewiesen hat, hat die Beklagte für die Klageerhebung mangels fehlender Abmahnung keinen Anlass zur Klageerhebung gegeben.“

Anmerkung

Nach wohl h.M. ist § 93 ZPO jedenfalls dann auf Beschlussmängelklagen anzuwenden, wenn aufgrund eines überschaubaren Gesellschafterkreises die Möglichkeit besteht, den Beschluss innerhalb der Anfechtungsfrist aufzuheben (s. KG, Beschluss vom 29. 6. 2005 – 2 W 6/05, OLG Naumburg, Beschluss vom 22. 10. 1997 – 7 W 34/97; BeckOK-ZPO/Jaspersen/Wache, § 93 Rn. 74; anders OLG Stuttgart, Beschluss vom 23. 7. 2001 – 20 W 4/01, unentschieden OLG Frankfurt, Beschluss v. 30.03.1992 – 5 W 4/92).

Dabei erscheint schon fraglich, ob bei einer Beschlussmängelklage ein Anerkenntnis überhaupt möglich ist, schließlich steht der Bestand des Beschlusses der Gesellschafterversammlung nicht zur Disposition der Geschäftsführer (ablehnend daher z.B. OLG München, Urteil v. 27.03.1996 - 7 U 6037/95; LG Koblenz, Urteil v. 16.12.2003 - 4 O 146/03; Scholz/Karsten Schmidt, GmbHG, 11. Aufl. 2012-2013, § 46 Rn. 159; anders m. ausf. Begründung Bork, ZIP 1992, 1205 ff.). Aus diesem Grund soll beispielsweise auch bei der Anfechtungsklage gem. § 46 WEG ein Anerkenntnis ausgeschlossen sein (AG Wiesbaden, Schlussurteil v. 07.10.2011 - 92 C 3285/11).

Selbst wenn man ein Anerkenntnis für möglich hält, überzeugt die von der h.M. vorgenommene Differenzierung nicht. Bei einer aus nur wenigen Personen bestehenden Gesellschaft mag es zwar im Einzelfall möglich sein, den Beschluss innerhalb der Frist zur Erhebung der Anfechtungsklage aufzuheben. Ab wann dies nicht mehr möglich ist, lässt sich aber kaum rechtssicher abgrenzen, so dass sich für den „klagewilligen" Gesellschafter eine erhebliche Rechtsunsicherheit ergibt. Im Interesse der Rechtssicherheit sollte § 93 ZPO daher auf Beschlussmängelklagen nicht angewendet werden.

Aus anwaltlicher Vorsicht erscheint aber eine kurzfristige Aufforderung an den Geschäftsführer bzw. Vorstand (und ggf. sicherheitshalber auch an die Mitgesellschafter) jedenfalls bei einem überschaubaren Gesellschafterkreis unbedingt geboten.

tl;dr: Wer den Beschluss einer Gesellschaft mit bis zu drei Gesellschaftern anficht, muss i.d.R. zuvor den Geschäftsführer auf die Mangelhaftigkeit des Beschlusses hinweisen. Anderenfalls sind ihm im Falle eines sofortigen Anerkenntnisses gem. § 93 ZPO die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen.

Anmerkung/Besprechung, LG Aachen, Urteil vom 22.01.2015 – 41 O 75/14.

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