Stellungnahmefrist und Sachverständigengutachten - Auch fünf Wochen sind nicht immer ausreichend

Hat das Gericht ein schriftliches Sachverständigengutachten eingeholt, setzt es den Parteien i.d.R. gem. § 411 Abs. 4 ZPO zusammen mit der Übersendung des Gutachtens eine (Ausschluss-)Frist zur Stellungnahme, innerhalb derer Einwendungen, Anträge und Ergänzungsfragen vorzubringen sind. Mit Beschluss vom 12.04.2018 – V ZR 153/17 hat sich der BGH mit der Frage befasst, wie lang die Frist bemessen sein muss und ob dabei zu berücksichtigen ist, dass eine der Parteien die Stellungnahme eines Privatgutachters einholen will.

Sachverhalt

Die Kläger sind Eigentümer eines Hauses, das sich neben einer von der Beklagten betriebenen Baustelle befindet. Nach Fertigstellung der Arbeiten machen die Kläger gegen die Beklagte Schadensersatzansprüche geltend und behaupten dazu, durch die Arbeiten seien an ihrem Haus Schäden entstanden, die den Wert des Hauses minderten. Die Beklagte bestreitet, dass ihre Arbeiten für die Schäden ursächlich waren. Das Landgericht hat die Klage sachverständig beraten abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat ein ergänzendes schriftliches Sachverständigengutachten eingeholt, im Rahmen dessen zum ersten Mal Bodenbohrungen durchgeführt wurden und das zu dem Ergebnis kam, die Beklagte habe die Schäden verursacht. Mit am 26.01.2017 zugestellter Verfügung hat es den Parteien das Gutachten übersandt und eine (zwischenzeitlich verlängerte) Frist bis zum 03.03.2017 gesetzt, um etwaige Einwendungen gegen das Gutachten mitzuteilen. Werde die Anhörung des Sachverständigen beantragt, sei bis zum 10.03.2017 ein Vorschuss von 1.000 EUR einzuzahlen. Außerdem hat es einen Verhandlungstermin auf den 29.03.2017 anberaumt. Die Beklagte hat innerhalb der Frist Einwendungen vorgebracht und beantragt, die Frist zur Stellungnahme bis zum 02.05.2017 zu verlängern, weil sie beabsichtige, das Gutachten von einem Privatgutachter überprüfen zu lassen. Den Fristverlängerungsantrag hat das Gericht vor dem Termin zurückgewiesen und den Sachverständigen nicht zum Termin geladen. Nach dem Termin hat es der Klage dem Grunde nach stattgegeben. In seinem Urteil hat das Gericht insoweit ausgeführt, die Anhörung des Sachverständigen sei nicht zustande gekommen, weil die Beklagte den angeforderten Vorschuss nicht eingezahlt habe. Dem Antrag, die Frist um mehrere Monate zu verlängern sei nicht stattzugeben gewesen, weil die beanspruchte Zeit nicht mit der Prozessförderungspflicht zu vereinbaren sei. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass die Beklagte kein in geologischen Fragen unbedarfter Laie, sondern ein im Tiefbau führendes Unternehmen sei, das ständig Bodengutachten zu interpretieren habe. Dagegen wendet sich die Beklagte mit der Nichtzulassungsbeschwerde.

Das Gericht hatte den Parteien hier eine Frist gem. § 411 Abs. 4 ZPO gesetzt, in der sie Einwendungen gegen die Feststellungen des Sachverständigen vorbringen sollten. Zu diesen Einwendungen sollte der Sachverständige dann ggf. im Termin Stellung nehmen und sein Gutachten insoweit ergänzen. Die Beklagte hatte Einwendungen vorgebracht, den Vorschuss für die Anhörung des Sachverständigen (§§ 402, 397 ZPO) aber nicht gezahlt. Denn sie fand die gesetzte Frist zu kurz, weil sie ihre Einwendungen mit Hilfe eines eigenen Sachverständigen ergänzen und konkretisieren wollte. Das Gericht hatte deshalb den Sachverständigen nicht geladen, der folglich sein Gutachten auch nicht erläutern bzw. korrigieren konnte. Auf der Grundlage des Gutachtens hatte das Gericht deshalb ein Grundurteil erlassen. Das war aber nur dann zulässig, wenn das Gericht die Frist nicht hätte verlängern und den Verhandlungstermin verlegen müssen.

Entscheidung

Der BGH hat das Urteil wegen Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör aufgehoben, weil das Gericht dem Fristverlängerungsantrag hätte stattgeben müssen:

„Die von dem Berufungsgericht gesetzten Fristen waren objektiv nicht ausreichend, weil der Beklagten Gelegenheit hätte gegeben werden müssen, das Ergänzungsgutachten mit Hilfe eines Privatgutachters überprüfen zu lassen und sich auf die Befragung des Sachverständigen vorzubereiten.

(1) Die Beklagte hat innerhalb der gesetzten Frist erste Einwendungen gegen das Gutachten erhoben und mitgeteilt, dass sie dieses durch einen Privatgutachter überprüfen und von diesem Einwendungen und Fragen an den Sachverständigen formulieren lassen wolle. Hierzu hätte sie Gelegenheit erhalten müssen, weil das Gutachten, vor allem durch die verschiedenen Bezugnahmen, umfangreich war, die erstmals durchgeführten Bohrungen auswertete und eine von dem Ergebnis der Beweisaufnahme in der ersten Instanz abweichende, für die Beklagte nachteilige Beurteilung der Kausalitätsfrage enthielt. (…)

(2) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts war der Beklagten nicht aufgrund eigener Sachkunde zuzumuten, Einwendungen gegen das Ergänzungsgutachten ohne sachverständige Unterstützung zu formulieren. Die von dem Berufungsgericht angeführte unternehmerische Tätigkeit der Beklagten belegt allein nicht, dass diese hierzu in der Lage gewesen wäre. Selbst wenn die Beklagte aufgrund ihrer Tätigkeit im Baugewerbe häufig Bodengutachten zu berücksichtigen haben sollte, begründete dies nicht die Annahme, dass sie in der Lage wäre, ein solches Gutachten nach Methodik und wissenschaftlichen Grundlagen zu überprüfen.

cc) Das Berufungsgericht durfte die beantragte Fristverlängerung auch nicht wegen einer „Prozessverschleppung“ verweigern unter Verweis darauf, dass die Beklagte die von dem Sachverständigen für hilfreich erachteten Bohrprofile erst im Laufe des Rechtsstreits vorgelegt und den Vorschuss für die Ladung des Sachverständigen nicht auflagengemäß eingezahlt habe. (…)

(a) Soweit das Berufungsgericht der Beklagten vorhält, sie habe die von ihr erstellten Bohrprofile, deren Nichtvorlage der Sachverständige bereits im selbständigen Beweisverfahren in seiner Stellungnahme vom 8. April 2013 moniert habe, erst mit Schriftsatz vom 25. August 2016 vorgelegt, begründet dies den Vorwurf der Prozessverschleppung nicht.

Dies folgt schon daraus, dass es sich bei den Baugrundaufschlüssen (Bohrprofilen), deren Vorlage der Sachverständige im selbständigen Beweisverfahren als hilfreich bezeichnet hat, nicht um ein Verteidigungsmittel handelt, das die Beklagte aufgrund ihrer Prozessförderungspflicht aus § 282 Abs. 1 ZPO von sich aus zeitig vorzulegen gehabt hätte, sondern um sonstige in ihrem Besitz befindliche Urkunden, zu deren Vorlage sie allenfalls aufgrund einer gerichtlichen Anordnung nach § 142 ZPO verpflichtet sein konnte.

Die Beschwerde rügt zu Recht, dass die Beklagte weder durch das Landgericht noch durch das Berufungsgericht aufgefordert worden ist, entsprechende Aufzeichnungen vorzulegen.

(b) Das Berufungsgericht durfte die Fristverlängerung auch nicht deswegen ablehnen, weil die Beklagte den für die Ladung des gerichtlichen Sachverständigen angeforderten Vorschuss nicht eingezahlt hat. Eine Verzögerung des Verfahrens im Sinne des § 296 Abs. 2 ZPO durch die nicht fristgerechte Einzahlung des Auslagenvorschusses kann hier nicht angenommen werden, weil ohne jeden Aufwand erkennbar ist, dass die Verspätung allein nicht kausal für eine Verzögerung ist (…).

Da der Beklagten die beantragte Fristverlängerung bis zum 2. Mai 2017 für die Stellungnahme zu dem Ergänzungsgutachten zu bewilligen war, hätte der Termin vom 29. März 2017 auch bei rechtzeitiger Einzahlung des Auslagenvorschusses nicht aufrecht erhalten werden können.“

Anmerkung

Was mich an der Entscheidung wundert: Dass das OLG die Frist zur Stellungnahme auf das Gutachten anscheinend durch Verfügung gesetzt hat. Denn die Frist des § 411 Abs. 4 ZPO muss nach ganz h.M. durch das Gericht gesetzt werden (s. nur BGH, Urteil vom 22.05.2001 – VI ZR 268/00 unter II.2.b), Musielak/Voit/Huber, § 411 Rn. 7, MüKoZPO/Zimmermann, § 411 Rn. 18; offen gelassen von BGH, Beschluss vom 25.10.2005 – V ZR 241/04 Rn. 8). Bei Kollegialgerichten wird sie deshalb durch Beschluss (und nicht durch Verfügung des Vorsitzenden) gesetzt (Zöller/Greger, § 411 Rn. 7; Steinert/Theede/Knop, Zivilprozess, 7. Kap. Rn. 37). (Hätten Sie das nicht „aus dem Stehgreif“ gewusst, gibt es übrigens hier eine Checkliste über die Präklusionsvoraussetzungen, aus der sich u.a. dies ergibt.) Hier kam es darauf aber nicht an, weil die Einwendungen zwar innerhalb der Frist vorgebracht wurden, der Vorschuss allerdings nicht eingezahlt wurde. Mit den Präklusionswirkungen eines verspätet eingezahlten Auslagenvorschusses hat sich der Bundesgerichtshof übrigens noch in jüngerer Zeit ausführlich befasst. Und noch ein Letztes, insbesondere für mitlesende junge Kolleginnen und Kollegen: In der Sache ist das Vorgehen des OLG, gleich mit Eingang des Gutachtens eine Stellungnahmefrist zu setzen und einen Termin anzuberaumen, m.E. der „Königsweg“, um Akten mit schwierigeren Gutachten unter Kontrolle zu behalten (übrigens auch im selbständigen Beweisverfahren). Werden die Einwendungen gegen das Gutachten schriftlich in einem Ergänzungsgutachten beantwortet, zieht dies erfahrungsgemäß noch mindestens ein zweites Ergänzungsgutachten nach sich, was die Akte dann zunehmends unübersichtlich macht. Im Rahmen der Anhöung des Sachverständigen im Termin können hingegen im Gespräch mit dem oder der Sachverständigen häufig die meisten oder sogar alle Einwendungen/Fragen abschließend erörtert werden. tl;dr: Ist ein vom Gericht eingeholtes Gutachten umfangreich erfordert die Stellungnahme dazu besondere Sachkenntnis, ist eine Frist i.S.d. § 411 Abs. 4 ZPO auf Antrag so zu bemessen, dass den Parteien die Gelegenheit gegeben wird, das Gutachten mit Hilfe eines Privatgutachters überprüfen zu lassen Anmerkung/Besprechung, BGH, Beschluss vom 12.04.2018 – V ZR 153/17. Wenn Sie diesen Artikel verlinken wollen, können Sie dafür auch folgenden Kurzlink verwenden: www.zpoblog.de/?p=6481 Foto: ComQuat | BGH - Palais 1 | CC BY-SA 3.0