BGH zur Erklärung des Streithelfers mit Nichtwissen

Zu welchen Umständen kann sich der Streithelfer/Nebenintervenient einer Partei mit Nichtwissen erklären (§ 138 Abs. 4 ZPO)? Und warum ist es aus anwaltlicher Sicht unbedingt erforderlich, den Tatbestand eines Urteils innerhalb von zwei Wochen nach der Zustellung des Urteils zu überprüfen? Mit beidem befasst sich das Urteil des BGH vom 29.10.2020 – IX ZR 10/20.

Sachverhalt (vereinfacht)

Die Klägerin nimmt die beklagte Rechtsanwältin auf Schadensersatz in Anspruch, weil diese sie im Verfahren über den Versorgungsausgleich mit ihrem geschiedenen Ehemann fehlerhaft vertreten habe. Im jenem Versorgungsausgleichsverfahren hatte das Land, bei dem die Klägerin als Beamtin beschäftigt war, eine falsche Auskunft erteilt und dabei „Euro“ und „DM“ verwechselt. Dies war weder der Beklagten noch dem Familiengericht aufgefallen. In der rechtskräftigen Entscheidung des Familiengerichts war die Klägerin daher verpflichtet worden, in doppelter Höhe Anwartschaften abzugeben. Mit ihrer im Februar 2017 anhängig gemachten Klage verlangt die Klägerin nun von der Beklagten Schadensersatz für die Nachteile, die ihr infolge des fehlerhaften Versorgungsausgleichs entstanden sind; das Land ist der Klägerin als Streithelferin beigetreten. Die Beklagte erhebt u.a. die Einrede der Verjährung und behauptet, die Klägerin habe sie schon am 10. Dezember 2013 aufgefordert, den Sachverhaltet ihrer Haftpflichtversicherung zu melden. Die Klägerin hat sich zu dieser Behauptung nicht erklärt, die Streithelferin hat sich dazu mit Nichtwissen erklärt. Das Landgericht hat die Klage wegen Verjährung abgewiesen und im Tatbestand seines Urteils die Behauptung der Beklagten zur Aufforderung vom 10. Dezember 2013 als unstreitig dargestellt. Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht die Klage im Wesentlichen dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer vom Revision.

Das Versorgungsausgleichsverfahren ist ein Verfahren im Zusammenhang mit einer Scheidung in dem – vereinfacht – die Altersvorsorgeanwartschaften zwischen den Ehegatten geteilt werden, in der Regel, indem jeder der Ehegatten die Hälfte seiner während der Ehe erworbenen Anwartschaften an den anderen Ehegatten abgibt. Um die Anwartschaften zu bestimmen, werden in dem Verfahren Auskünfte der Versorgungsträger eingeholt. Das war auch hier passiert, allerdings hatte das Land im Rahmen seiner Auskunft € und DM verwechselt. Es hatte daher doppelt so hohe Anwartschaften der Klägerin mitgeteilt. Die Hälfte dieser zu hohen Anwartschaften hatte das Familiengericht daraufhin auf den Ehemann übertragen. Faktisch waren der Klägerin damit die während der Ehe erworbenen Anwartschaften vollständig genommen worden. Die Klägerin hatte deshalb (wohl) einen Anspruch gegen die Beklagte aus § 280 Abs. 1 BGB in Verbindung mit dem Anwaltsvertrag, weil die Beklagte die Unrichtigkeit der Auskunft übersehen hatte. Diesen machte sie nun gerichtlich geltend, wobei das Land (das ja die falsche Auskunft erteilt hatte) ihr als Streithelferin (§ 67 ZPO) beigetreten war. Streitig war zwischen den Parteien im Anwaltshaftungsprozess insbesondere die Frage der Verjährung. Da die Klage erst 2017 erhoben wurde, kam es wesentlich darauf an, ob – wie die Beklagte behauptete – die Klägerin sie schon im Dezember 2013 aufgefordert hatte, den Sachverhalt ihrer Berufshaftpflichtversicherung zu melden. Denn dann war wohl davon auszugehen, dass die Klägerin schon 2013 Kenntnis i.S.d. § 199 Abs. 1 BGB hatte; der Anspruch war dann mit Ablauf des 31.12.2016 verjährt. Zu der Behauptung, die Klägerin habe sie 2013 zur Mitteilung an die Haftpflichtversicherung aufgefordert, hatte sich die Klägerin nicht erklärt. Die Tatsache war daher grundsätzlich als unstreitig der Entscheidung zugrunde zu legen (s. § 138 Abs. 3 ZPO). Allerdings hatte sich der Streithelfer der Klägerin dazu mit Nichtwissen erklärt (§ 138 Abs. 4 ZPO). Deshalb musste der BGH entscheiden, ob die Tatsache als streitig oder unstreitig zu behandeln war - und wie es sich auswirkte, dass das Landgericht diese Tatsache im Tatbestand seiner Entscheidung als unstreitig dargestellt hatte.

Entscheidung

Der BGH hat die Revision für begründet gehalten, weil der Anspruch nach den Feststellungen des Berufungsgerichts verjährt sei:

„(a) Dies folgt schon aus § 314 und § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.

Nach § 314 ZPO liefert der Tatbestand des Urteils Beweis für das mündliche Vorbringen. Dieser Beweis kann nur durch das Sitzungsprotokoll entkräftet werden. Eine etwaige Unrichtigkeit tatbestandlicher Feststellungen kann nur im Berichtigungsverfahren nach § 320 ZPO behoben werden (…). Wird die Berichtigung im ersten Rechtszug getroffener Feststellungen nicht beantragt, sind sie für das Berufungsverfahren bindend zu Grunde zu legen (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO…).

Danach war das Berufungsgericht an die tatbestandliche Feststellung des Landgerichts gebunden. Das Landgericht hatte die Aufforderung der Beklagten durch die Klägerin vom 10. Dezember 2013 zur Einschaltung des Haftpflichtversicherers im unstreitigen Tatbestand geschildert und in den Entscheidungsgründen ausdrücklich als unstreitig bezeichnet. Einen Tatbestandsberichtigungsantrag nach § 320 ZPO haben weder die Klägerin noch der Streithelfer gestellt.

(b) Auch ohne die aus §§ 314, 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO folgende Bindungswirkung hätte das Berufungsgericht die Aufforderung zur Einschaltung des Haftpflichtversicherers nicht als streitig behandeln dürfen. Zu der seitens der Beklagten behaupteten Aufforderung hat sich lediglich der Streithelfer und dies auch nur mit Nichtwissen (§ 138 Abs. 4 ZPO) erklärt. Die Erklärung mit Nichtwissen war nicht zulässig, was zur Folge hat, dass die Behauptung als zugestanden gilt (…).

Nach § 138 Abs. 4 ZPO ist eine Erklärung mit Nichtwissen nur über Tatsachen zulässig, die weder eigene Handlungen der Partei noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen sind. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, ist aus der Sicht der unterstützten Hauptpartei zu beurteilen. Die Erklärung ihres Streithelfers mit Nichtwissen ist daher unzulässig, wenn sie eine Tatsache betrifft, die (ihre Wahrheit unterstellt) eine eigene Handlung der Hauptpartei oder Gegenstand von deren Wahrnehmung gewesen ist.

Die aus § 67 ZPO folgenden Befugnisse des Streithelfers gehen nicht weiter als die der unterstützten Hauptpartei (…). Ist demnach die unterstützte Hauptpartei nicht zu einer Erklärung mit Nichtwissen berechtigt, muss auch ihr Streithelfer (zumindest) einfach bestreiten. Ob die Voraussetzungen des § 138 Abs. 4 ZPO vorliegen, ist im Rahmen eines Prozessrechtsverhältnisses einheitlich aus Sicht der Parteien zu beurteilen. Daran ändert nichts, dass eine der an dem Verhältnis beteiligten Parteien durch einen Streithelfer unterstützt wird. Entsprechendes gilt, wenn der unterstützten Hauptpartei qualifizierter Gegenvortrag obliegt, weil ihr Gegner außerhalb des von ihm darzulegenden Geschehensablaufs steht und keine nähere Kenntnis der maßgebenden Tatsachen besitzt, während die Hauptpartei sie hat und ihr nähere Angaben zumutbar sind (…). Dieser prozessualen Obliegenheit kann sich die Hauptpartei nicht dadurch entziehen, dass sie schweigt und ihr Streithelfer einfach bestreitet.“

Anmerkung

Dass trotz eines (vermeintlich) unrichtigen Tatbestands kein Tatbestandsberichtigungsantrag gestellt (§ 320 ZPO) gestellt wird und damit nachfolgende Instanzen an die unrichtige Beurkundung gebunden sind, ist ein praktisch äußerst häufiger Fehler, dessen Gefahren scheinbar nach wie vor unterschätzt werden. Anders lässt sich kaum erklären, wie selten Tatbestandsberichtigungsanträge sind. Und auch soweit es um die Befugnisse des Streithelfers geht, kann die Entscheidung m.E. kaum Bedenken begegnen - interessant ist nur, dass es wegen der Beweiskraft des Tatbestandes der sogar zum Leitsatz erhobenen Ausführungen des Senats gar nicht bedurft hätte; sie sind genau genommen ein obiter dictum. tl;dr: Eine Erklärung des Streithelfers mit Nichtwissen ist unzulässig, wenn sie eine Tatsache betrifft, die entweder eine eigene Handlung der unterstützten Hauptpartei oder Gegenstand von deren Wahrnehmung gewesen ist. Anmerkung/Besprechung, BGH, Urteil vom 29.10.2020 – IX ZR 10/20. Foto: © Ehssan Khazaeli