Entscheidung
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten hat der VI. Zivilsenat das Urteil gem.
§ 544 Abs. 9 ZPO wegen einer Verletzung von
Art. 103 Abs. 1 GG aufgehoben und die Sache zurückverwiesen:
„Im Streitfall ist es offenkundig unrichtig, dass das Berufungsgericht das Bestreiten der Beklagten für nicht ausreichend substantiiert erachtet hat, da der vom Berufungsgericht zur Substantiierung geforderte Vortrag das Wissen eines Sachverständigen für die Unfallanalyse von Eisenbahnunfällen voraussetzt.
aa) Gemäß § 138 Abs. 2 ZPO hat sich eine Partei grundsätzlich über die von dem Gegner behaupteten Tatsachen zu erklären. Der Umfang der erforderlichen Substantiierung richtet sich dabei nach dem Vortrag der darlegungsbelasteten Partei. Je detaillierter dieser ist, desto höher ist die Erklärungslast gemäß § 138 Abs. 2 ZPO. Ob ein einfaches Bestreiten als Erklärung gemäß § 138 Abs. 2 ZPO ausreicht oder ob ein substantiiertes Bestreiten erforderlich ist, hängt somit von dem Vortrag der Gegenseite ab (…).
Eine Partei genügt bei einem von ihr zur Rechtsverteidigung gehaltenen Sachvortrag ihren Substantiierungspflichten, wenn sie Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das von der anderen Seite geltend gemachte Recht als nicht bestehend erscheinen zu lassen. Dabei ist unerheblich, wie wahrscheinlich die Darstellung ist und ob sie auf eigenem Wissen oder auf einer Schlussfolgerung aus Indizien beruht.
Genügt das Parteivorbringen diesen Anforderungen an die Substantiierung, kann der Vortrag weiterer Einzeltatsachen, die etwa den Vorgang bestimmter Ereignisse betreffen, nicht verlangt werden (…).
bb) Nach der Darstellung des Berufungsgerichts hat die Beklagte bestritten, dass die Unfallursache aus ihrem Verantwortungsbereich herrührt; sie hat sich insbesondere gegen die Behauptung einer angezogenen Feststellbremse gewehrt und geltend gemacht, die Ursache stehe nicht fest und könne auch aus der Risikosphäre der Klägerin stammen. Sie hat geltend gemacht, die Feststellbremse am Wagon Nr. 316 sei nicht (…) angezogen gewesen. Die Radsätze 3 und 4 hätten Beschädigungen in unterschiedlichem Maße aufgewiesen; wenn die Feststellbremse angezogen gewesen wäre, hätten die Schäden an beiden Radsätzen identisch sein müssen. Sie hat bestritten, dass das Foto Nr. 21 im Untersuchungsbericht der EUB eine angezogene Feststellbremse dokumentiere. Sie hat vorgetragen, es komme auch ein Defekt an der Eisenbahninfrastruktur der Klägerin in Betracht, da denkbar sei, dass Gegenstände im Gleisbereich oder auf den Gleisen gelegen hätten, die die Blockade des dritten Radsatzes des Wagon Nr. 316 verursacht haben könnten. Als mögliche andere Ursachen hat sie einen Defekt an einer Weiche und am Radsatz des Wagons Nr. 316 insbesondere an den Bremsklötzen und an der Bremssohle genannt.
cc) Gemessen an den vorgenannten Grundsätzen hätte sich das Berufungsgericht nicht ohne Beweisaufnahme über diesen Vortrag der Beklagten hinwegsetzen dürfen. Die Beklagte hat den Sachvortrag der Klägerin nicht nur pauschal bestritten, sondern deutlich gemacht, dass und weshalb sie die Begründung, die die Ursache der Entgleisung ihrer Risikosphäre zuordnet, für nicht zutreffend hält und die Ausführungen in dem Gutachten der EUB und dem Bericht der Bundespolizeiinspektion anzweifelt, und hat auf mögliche andere Erklärungen für den Unfall hingewiesen.
Mehr war nicht erforderlich. Auch wenn der Vortrag der Klägerin durch das Gutachten der EUB und die Berichte der Bundespolizeiinspektion mit technischen Details einer sachverständigen Unfallanalyse unterlegt ist, führt dies nicht dazu, dass die Beklagte dem mit auf Expertenwissen beruhendem ebenso detaillierten Sachvortrag entgegentreten muss, um dessen Beweisbedürftigkeit herbeizuführen.
Eine Beweiserhebung ist auch nicht deshalb entbehrlich, weil die unter Beweis gestellten Tatsachen durch ein Privatgutachten belegt sind, dessen Richtigkeit der Gegner bestreitet, ohne die Unzulänglichkeit des Gutachtens substantiiert darzulegen (…).“
Anmerkung
Die Entscheidung liegt auf der Linie der ständigen Rechtsprechung des BGH, so z.B. auch das Urteil vom 08.07.2009 –
VIII ZR 314/07 zur Erklärung mit Nichtwissen gem.
§ 138 Abs. 4 ZPO. Deshalb wundert auch der für den VI. Zivilsenat ungewohnt scharfe Tonfall m.E. wenig. Deutlich verwunderlicher scheint mir, dass die Beklagte so mutig war, sich nicht einmal nach dem landgerichtlichen Urteil mit einem Privatgutachten zu „munitionieren“.
tl;dr: Eine Beweiserhebung ist nicht deshalb entbehrlich, weil die unter Beweis gestellten Tatsachen durch ein Privatgutachten belegt sind, dessen Richtigkeit der Gegner bestreitet, ohne die Unzulänglichkeit des Gutachtens substantiiert darzulegen Anmerkung/Besprechung, BGH, Beschluss vom 28.07.2020 – VI ZR 300/18. Foto: S.Hinni,
DB-Laaeks25804366678-7,
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