KG: Berufungsgericht kann bei Teilurteil fehlendes Grundurteil nachholen

Ein Teilurteil ist nach der ständigen Rechtsprechung des BGH nur sehr selten zulässig - nämlich nur dann, wenn ausgeschlossen ist, dass eine der im Rahmen des Teilurteils zu entscheidenden Fragen in einer späteren Entscheidung anders beantwortet werden wird (sog. Gefahr widersprechender Entscheidungen). Nach einem aktuellen Beschluss des Kammergerichts vom 07.06.2019 – 21 U 16/19 soll ein unzulässiges Teilurteil aber nicht zwangsläufig dessen Aufhebung und Zurückverweisung zur Folge haben müssen.

Sachverhalt

Der Fall ist geradezu ein „Klassiker“: Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Zahlung von Werklohn für die Entsorgung von Bodenaushub in Anspruch und behauptet, die Parteien hätten Einheitspreise vereinbart, ihre Leistungen seien deshalb mit rund 25.000 EUR zu vergüten. Die Beklagte behauptet, die Parteien hätten eine Pauschalvergütung von rund 7.000 EUR vereinbart. Nachdem die zum Beweis des Inhalts der Vereinbarung benannten Zeugen in zwei anberaumten Terminen wegen Krankheit nicht erschienen, erließ das Landgericht ein Teilurteil, mit dem es die Beklagte zur Zahlung von 7.000 EUR verurteilte. Dagegen wendete sich die Beklagte mit der Berufung, mit der sie insbesondere geltend machte, das Teilurteil sei wegen der Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen unzulässig und schon allein deshalb aufzuheben.

Gem. § 301 ZPO hat das Gericht durch Teilurteil zu entscheiden, wenn von mehreren in einer Klage geltend gemachten Ansprüchen nur der eine oder nur ein Teil eines Anspruchs oder bei erhobener Widerklage nur die Klage oder die Widerklage zur Endentscheidung reif ist. Über einen Teil eines einheitlichen Anspruchs, der nach Grund und Höhe streitig ist, kann gem. Satz 2 durch Teilurteil nur entschieden werden, wenn zugleich ein Grundurteil über den restlichen Teil des Anspruchs ergeht. Hier ging es um einen einheitlichen (Werklohn-)Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte. Und dieser war auch in Höhe von rund 7.000 EUR zur Endentscheidung reif, denn in dieser Höhe schuldete die Beklagte ja auch nach ihrem eigenen Verteidigungsvorbringen die Zahlung von Werklohn. Das Landgericht hatte deshalb – nachdem in zwei Terminen die Zeugen nicht erschienen waren – die Beklagte durch Teilurteil zur Zahlung eben dieser rund 7.000 EUR verurteilt. (In restlicher Höhe blieb der Prozess am Landgericht anhängig, das Landgericht wird also insoweit einen weiteren Termin zur Beweisaufnahme bestimmt haben und nach diesem durch Schlussurteil über den restlichen Anspruch entscheiden.) Dieses Teilurteil war nach dem Wortlaut von § 301 Satz 1 und 2 ZPO zulässig. Insbesondere war der Anspruch nicht auch dem Grunde nach streitig, so dass gem. § 301 Satz 2 ZPO nicht zugleich ein Grundurteil (§ 304 ZPO) über den Rest des Anspruchs ergehen musste. Der BGH hält ein Teilurteil – über den Wortlaut von § 301 ZPO hinausgehend – allerdings nur für zulässig, wenn nicht die Gefahr widersprechender Entscheidungen besteht. Ein Teilurteil ist danach unzulässig, wenn die Gefahr besteht, dass das Gericht in seiner abschließenden Entscheidung eine Frage anders beantwortet, als in dem Teilurteil. Und hier bestand ja jedenfalls theoretisch die Gefahr, dass die Beklagte im Laufe des Prozesses z.B. auch den Vertragsschluss bestreiten, ihre zum Vertragsschluss führende Willenserklärung anfechten würde o.Ä. Dann würde das Schlussurteil insoweit ggf. von dem Teilurteil abweichen. Fraglich war deshalb, ob das Teilurteil hier trotzdem zulässig war, und wenn nicht, wie das Berufungsgericht damit umgehen konnte/musste.

Entscheidung

Das Kammergericht hat die Berufung mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Vergütungsanspruch der Klägerin dem Grunde nach für begründet erklärt wird.

„Wenn das Landgericht die Beklagte durch Teilurteil zur Zahlung dieses Mindestbetrages verurteilt hat, ist dies prozessual zulässig und in Anbetracht zweier vergeblicher Beweistermine auch zweckmäßig.

Besteht eine Klageforderung unstreitig in Höhe eines Sockelbetrages und ist nur der darüberhinausgehende Spitzenbetrag umstritten, kann die beklagte Partei gemäß § 301 Abs. 1 S. 1 ZPO durch Teilurteil zur Zahlung in Höhe des Sockelbetrages verurteilt werden.

a) Allerdings hat das Gericht dafür Sorge zu tragen, dass kein Widerspruch zwischen diesem Teilurteil und dem noch ausstehenden Schlussurteil auftreten kann. Das Gesetz ordnet aus diesem Grund an, dass bei einem nach Grund und Höhe streitigen Anspruch zugleich ein (zusprechendes) Grundurteil über den restlichen Teil des Anspruches ergehen muss (§ 301 Abs. 1 S. 2 ZPO), sodass dieser dann insgesamt dem Grunde nach zuerkannt ist.

Auf diese Weise wird die Entscheidung über den Anspruchsgrund in dem Teilurteil vollständig gebündelt und vermieden, dass in dem ausstehenden Schlussurteil noch eine abweichende Entscheidung hierüber getroffen werden kann.

b) Ergeht ein Teilurteil über einen Teil eines einheitlichen Anspruchs kann es aber auch dann zu einer abweichenden Entscheidung über den Anspruchsgrund im Schlussurteil kommen, wenn der Klageanspruch im Zeitpunkt des Erlasses des Teilurteils nicht dem Grunde nach streitig

Diese Gefahr besteht allein deshalb, weil der Anspruch im weiteren Verlauf des Rechtsstreits noch streitig werden kann (…). So könnte sich der Beklagte bei einem einheitlichen vertraglichen Anspruch auch nach dem Erlass des Teilurteils zum Beispiel noch auf die vollständige Unwirksamkeit des Vertrages berufen. Wenn das Gericht nach den Umständen des Einzelfalls daran gehindert ist, dieses neue Vorbringen zu präkludieren (§ 296 ZPO), kann es dazu kommen, dass die Klage über den noch anhängigen Restbetrag mit einer Begründung abgewiesen wird, die dem Teilurteil widerspricht, obgleich sie ein und denselben Anspruch betrifft.

Um dieses Szenario auszuschließen, muss über den Wortlaut von § 301 Abs. 1 S. 2 ZPO hinaus jedenfalls bei Erlass eines stattgebenden Teilurteils über einen Teil eines einheitlichen Anspruchs auch dann ein Grundurteil über den restlichen Teil des Anspruchs ergehen, wenn der Anspruch – wie im vorliegenden Fall – dem Grunde nach nicht streitig ist (…).

c) Das Landgericht hat in dem angegriffenen Urteil kein solches Grundurteil gemäß §§ 301 Abs. 1 S. 2, 304 ZPO über den gesamten Klageanspruch Zwar hat das Landgericht in den Entscheidungsgründen zu erkennen gegeben, nur noch über die Höhe des Anspruchs entscheiden zu wollen und somit den Streit über den Grund des Anspruchs abgeschlossen zu haben. Ein Grundurteil gemäß § 304 ZPO liegt aber nur dann vor, wenn das Gericht im Urteilstenor den Klageanspruch ausdrücklich oder zumindest auslegungsfähig (…) dem Grunde nach zuspricht, für berechtigt erklärt oder feststellt.

Entgegen dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 2. Dezember 2003 (…) genügt es für ein Grundurteil nicht, wenn das Gericht lediglich in den Entscheidungsgründen zum Ausdruck bringt, dass der Klageanspruch insgesamt dem Grunde nach berechtigt sei. Diese Ansicht ist nicht mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Einklang zu bringen, wonach Ausführungen in den Entscheidungsgründen eines Urteils (mit der alleinigen Ausnahme des § 322 Abs. 2 ZPO) die Gerichte für weiteren Entscheidungen nicht binden. Denn sowohl die Rechtskraft eines Urteils wie auch das bei einem Teilurteil zusätzlich eingreifende Abweichungsverbot des § 318 ZPO (...) sind in ihrer Wirkung durch den Urteilstenor begrenzt (…). Damit ist ein Gericht an eine nur in den Gründen eines Teilurteils enthaltene Aussage zum Bestehen des Klageanspruchs für den Folgeprozess nicht gebunden und kann also bei entsprechendem Prozessverlauf gezwungen sein, im Schlussurteil abweichend zu entscheiden. Genau dies soll nach § 301 Abs. 1 S. 1 ZPO vermieden werden.

d) Da im vorliegenden Fall aber bei Erlass des Teilurteils der Klageanspruch insgesamt dem Grunde nach bestand, das Landgericht davon in seiner Entscheidung auch ausgegangen ist und nur die gemäß § 301 Abs. 1 S. 2 ZPO gebotene Tenorierung dieses Umstands unterlassen hat, kann diese im Rahmen der Zurückweisung der Berufung durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO nachgeholt Dies folgt daraus, dass es nach Auffassung des Bundesgerichtshofs sogar möglich sein soll, die Tenorierung im Wege der Urteilsberichtigung gemäß § 319 ZPO nachzuholen (…).

Der Senat setzt dies mit dem vorliegenden Beschluss um (…).“

Anmerkung

Dass das Teilurteil hier unzulässig war, dürfte auf der Hand liegen. Aber dass das Berufungsgericht das Grundurteil tatsächlich einfach so nachholen kann (und das auch noch im Rahmen eines Beschlusses nach § 522 Abs. 2 ZPO!), überzeugt mich nicht. Denn der Rechtsstreit fällt durch das angefochtene Teilurteil ja nur im Umfang dieses Teils in der Berufungsinstanz an, und nicht auch im Umfang des (gesamten) Grundes. Anders wäre es nur, wenn das Berufungsgericht den Rechtsstreit hinsichtlich des Restes an sich gezogen hätte, was hier aber nicht ersichtlich ist. Das wird ganz deutlich, wenn man – wie es der Senat ja auch thematisiert – überlegt, was passiert, würde z.B. im Nachgang zum Erlass des Teilurteils die Beklagte (hinsichtlich des noch am Landgericht anhängigen Restes) den Vertrag wegen Irrtums anfechten. Dann hätte die Ansicht des KG zur Folge, dass das Berufungsgericht, das über diese Frage (noch) gar nicht zu entscheiden hat, trotzdem „durchentscheidet“. Geht es übrigens nicht um einen Teil eines einheitlichen Anspruchs, sondern um mehrere im Wege der Klagehäufung geltend gemachte Ansprüche, kann die Gefahr widersprechender Entscheidungen praktisch vermieden werden, indem der zur Entscheidung reife Anspruch gem. § 145 ZPO abgetrennt wird (vgl. BGH, Urteil v. 12.01.1999 - VI ZR 77/98). tl;dr: Über den Wortlaut von § 301 Abs. 1 S. 2 ZPO hinaus muss bei Erlass eines stattgebenden Teilurteils über einen Teil eines einheitlichen Anspruchs auch dann ein Grundurteil über den restlichen Teil des Anspruchs ergehen, wenn der Anspruch dem Grunde nach nicht streitig ist. Anmerkung/Besprechung, KG, Beschluss vom 07.06.2019 – 21 U 16/19 Foto: Ansgar Koreng / CC BY-SA 3.0 (DE), 141019 Kammergericht Berlin, CC BY-SA 3.0 DE