Thesenpapier „Modernisierung des Zivilprozesses“ – Auf dem Weg ins 21. Jahrhundert

„[Courts around the world] are out of place and inadequate in the 21st century. It is time for radical change.” Diese Aussage aus dem Buch von Richard Susskind „Online Courts and the Future of Justice“, Oxford University Press 2015 (S. 15-16) scheint sich die Arbeitsgruppe der Präsidentinnen und Präsidenten der Oberlandesgerichte und des Bundesgerichtshofs zur Modernisierung des Zivilprozesses zum Leitmotiv gemacht zu haben. Das zeigt ein am 21. Juli 2020 veröffentlichtes Thesenpapier, mit dem verschiedene Vorschläge zur Digitalisierung des Zivilprozesses vorgestellt werden. Das Papier wurde von Benedikt Windau auf zpoblog.de bereits vorgestellt. Der folgende Beitrag nimmt daher nach einer kurzen Gesamtbewertung (I.) zu ausgewählten „Thesen“ Stellung und unterbreitet weitergehende Vorschläge (II.). Der Beitrag fokussiert sich dabei bewusst auf technisch-organisatorische Aspekte und nicht auf die rechtlichen Implikationen.

I. Bewertung und Einordnung

Eine schlagkräftige Digitalisierung der deutschen Ziviljustiz ist dringend erforderlich, um die deutschen Gerichte zukunftsfähig zu machen und um ein attraktives staatliches Angebot zur Streitbeilegung aufrecht zu erhalten (vgl. hierzu Rühl, „Digitale Justiz, oder: Zivilverfahren für das 21. Jahrhundert“, JuristenZeitung (JZ) 2020, 809). Vor diesem Hintergrund ist das Thesenpapier insgesamt zu begrüßen, denn die ambitionierten Vorschläge können eine Grundlage dafür bieten, den Zivilprozess in das 21. Jahrhundert zu befördern. Positiv hervorzuheben ist dabei, dass sich die Arbeitsgruppe nicht darauf beschränkt, den papierhaften Zivilprozess nachzubilden, sondern „Thesen“ aufstellt, wie durch Digitalisierung ein neuer Prozess geschaffen werden kann. Dieser Ansatz unterscheidet das Papier von bisherigen Vorhaben im Zuge der Digitalisierung, etwa die Einführung des § 128a ZPO, des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (beA) oder der elektronischen Akte (einen Überblick zu bisherigen Digitalisierungsbemühungen findet sich bei Rühl, „Digitale Justiz, oder: Zivilverfahren für das 21. Jahrhundert“, JZ 2020, 809 ff.). Alle diese Vorhaben überführen nur analoge Kommunikationsformen ins Digitale, ohne wirklich etwas zu ändern. Die Transformation ins 21. Jahrhundert gelingt damit nicht (vgl. dazu auch Susskind, Online Courts and the Future of Justice, Oxford University Press 2019, kürzlich von ihm hier aufgegriffen: Susskind, The Future of Courts, in: The Practice, Volume 6 (2020), Issue 5). Eine echte Transformation ins 21. Jahrhundert gelingt nur, wenn der Zivilprozess insgesamt modernisiert wird. Dazu gehört eine Flexibilisierung, damit der Prozess unterschiedlichen Anforderungen gerecht werden kann. Die ZPO ist ausgerichtet an einem idealtypischen Prozess, in dem die Parteien Zeit und Geld haben, eine Streitigkeit beizulegen, die nur einmal und nur zwischen ihnen auftritt. Standardverfahren mit geringen Streitwerten sowie Massenverfahren bleiben weitgehend unberücksichtigt. Auf letztere reagiert auch die Musterfeststellungsklage nur teilweise, weil sie auf der zweiten Stufe immer noch Einzelverfahren fordert. Am anderen Ende des Spektrums erscheint der staatliche Zivilprozess für große, komplexe Verfahren nicht sehr attraktiv, wie die Abwanderung ins Schiedsverfahren zeigt. Das Thesenpapier greift dies auf, denn neben der Digitalisierung entwirft es neue Abläufe, mit denen auf verschiedene Verfahrenskategorien reagiert werden kann. Insgesamt also ein Schritt in die richtige Richtung. Die Vorschläge sollten aber noch konsequenter weitergedacht werden.

II. Gedanken zu einzelnen „Thesen“

1. Portallösung

Konsequentes Weiterdenken der Vorschläge sollte bei dem angedachten Bürgerportal beginnen. Das Thesenpapier schlägt einen bundesweit einheitlichen elektronischen Bürgerzugang in Form eines Online-Portals vor. Dazu kommen soll ein echtes Online-Mahnverfahren, eine virtuelle Rechtsantragsstelle sowie weitere sichere Wege für die elektronische Übermittlung von Dokumenten. Das geht in die richtige Richtung, aber nicht weit genug. Sinnvoller wäre es, die Chance zu ergreifen, ein allgemeines Portal zu entwickeln auf das alle Prozessbeteiligten – also Parteien, Gericht, Geschäftsstelle und Prozessbevollmächtigte – Zugriff haben (vgl. dazu unter anderem auch die Vorschläge von Köbler/Weller, AwBl. Online 2018, 383 ff.). Ein solches Portal vereinigte alle digitalen Funktionen des Zivilverfahrens. Es böte jeder Teilnehmerin eine Übersicht über alle Verfahren, an denen sie beteiligt ist, und erlaubte es, alle Prozesshandlungen vorzunehmen, mit den anderen Beteiligten zu kommunizieren, Dokumente zu hinterlegen und darauf zuzugreifen. In diesem Portal wärenFunktionen zum Starten des Prozesses integriert, das Basisdokument und der „Nachrichtenraum“. Welche Funktionen zur Verfügung jeweils zur Verfügung stehen, hinge von der eigenen Rolle im Prozess ab. Der Vorteil: Funktioniert das Portal bundesweit, muss jede Teilnehmerin nur einmal ein Konto erstellen, um über das Portal bundesweit an allen ihren Prozessen teilzunehmen. Gleichzeitig wird es überflüssig, weitere „sichere Übertragungswege“ aufwendig zu entwickeln. Über ein einzelnes sicheres Portal gibt es einen für alle funktionierenden sicheren Zugang. Vorteile gibt es auch beim Datenschutz, zum Beispiel wenn Zeuginnen über das Portal in einer virtuellen Verhandlung vernommen werden. Während Zeuginnen derzeit für alle hörbar in der mündlichen Verhandlung identifiziert werden müssen, könnte sich ein Zeuge im Portal anmelden und zum Beispiel mit dem digitalen Personalausweis identifizieren. Eine Identifikation vor allen Beteiligten ist nicht mehr nötig, sodass auf eine Preisgabe personenbezogener Daten verzichtet werden kann. Ein solches Portal böte zudem Vorteile bei der Umsetzung der Vorhaben: Es könnte zunächst eine lebensfähige Plattform mit wenigen Funktionen geschaffen werden. Nach und nach könnten dann Module mit neuen Funktionen hinzukommen. Neue Module könnten so auch für einzelne Gerichte freigeschaltet werden, zum Beispiel um die Funktionen vor dem Einsatz in der Fläche zu testen. Das Portal machte damit eine gesonderte elektronische Akte und das beA überflüssig, denn die jeweiligen Funktionen wären im Portal enthalten. Diese „Dopplung“ liegt weniger an dem neu zu schaffenden Gerichtsportal, als daran, dass bei Entwicklung von eAkte und beA die Chance verpasst wurde, ein modernes, leistungsfähiges Portal zu schaffen. Dieses Versäumnis sollte aber nicht dadurch zementiert werden, dass aus Rücksicht auf bestehende Lösungen, sinnvolle Lösungen nicht weiterverfolgt werden. Stattdessen sollten sich im Interesse einer leistungsfähigen Justiz alle Beteiligten zusammensetzen und überlegen, inwieweit man die bestehende Software (beA, eAkte) für ein solches neues Portal nutzbar machen kann.

2. Basisdokument

Die wohl bedeutendste „These“ des Thesenpapiers betrifft die „Strukturierung des Parteivortrags und des Verfahrens“. Angedacht ist ein Basisdokument, mit dem die Parteien und das Gericht gemeinsam den Prozessstoff erarbeiten. Der Vorschlag ist nicht neu (vgl. zum Beispiel Greger NJW 2019, 3429), wäre – wenn so umgesetzt – aber dennoch eine Revolution. Für den Sachvortrag schlägt das Thesenpapier eine Relationstabelle vor. Das bietet sich an, da damit die streitigen Punkte schnell offenbar werden. Wegen ihrer Spalten kann zudem jeder Partei ein eigener „Raum“ zugewiesen werden, in den weder die Gegenseite noch das Gericht direkt eingreifen können. Ein so geschützter Raum verhindert, dass sich eine Partei übervorteilt fühlt, weil ihre Formulierungen ständig geändert werden. Die Grafik zeigt beispielhaft, wie das Basisdokument in Grundzügen aussehen könnte, nachdem die Parteien zur Sache vorgetragen haben und das Gericht Hinweise gegeben hat. Auf die Freitexthinweise könnte in dieser Konstellation angesichts der Symbole und Farben auch verzichtet werden. Beweismittel können die Parteien in einer gesonderten Spalte angeben, wo sie automatisch verlinkt werden. Bei Zeuginnen kann dabei auf die Angabe der Anschrift verzichtet werden. Diese wird in einem geschützten Bereich hinterlegt, sodass im Sinne der Datenminimierung nur noch die Geschäftsstelle bei der Ausfertigung der Ladung Zugang zur Adresse der Zeugin hat. Das Gericht erhält eine Spalte für Hinweise. Neben Freitext könnten die rechtlichen Hinweise zudem auch in Form von Symbolen und farblichen Markierungen erbracht werden, die die Auffassung des Gerichts sichtbar machen. Wird die Tabelle in einem ansprechenden Layout präsentiert und mit Filter- und Sortierfunktionen versehen, wird auf einen Blick klar, welche Punkte unstrittig sind, wo noch vorgetragen werden muss und wo eine Beweisaufnahme stattfinden wird. Die nebenstehende Grafik zeigt vereinfacht, wie so eine Tabelle im Ansatz aussehen könnte. Das Basisdokument wird nach der technischen Umsetzung jedoch Zeit benötigen, um flächendeckend akzeptiert zu werden. Jedes neue Werkzeug verlangsamt die Arbeit zunächst, weil man Zeit und Energie aufwenden muss, um sich an das neue Werkzeug zu gewöhnen und die Funktionen kennenzulernen. Das trifft auf das Basisdokument erst recht zu, denn hier sollen mehrere Beteiligte mit teilweise entgegengesetzten Interessen daran arbeiten, ein gemeinsames Arbeitsprodukt zu erschaffen. Hat sich das Basisdokument nach einiger Zeit etabliert, wird es nach einiger Übung helfen, Prozesse schneller und günstiger abzuwickeln.

3. Nachrichtenraum

Teil des hier angedachten allgemeinen Portals wäre auch der im Thesenpapier angedachte Nachrichtenraum zum Austausch formloser Nachrichten. Das wäre faktisch eine integrierte Chatfunktion. Die Chatfunktion sollte es ermöglichen, dass stets alle Verfahrensbeteiligten zumindest das Chatprotokoll lesen können. Das schafft maximale Transparenz und entlastet die Gerichte davon, die anderen Parteien über Kommunikation mit einer Partei in Kenntnis setzen zu müssen. Perspektivisch könnte dies um eine Anruffunktion erweitert werden, bei der die Anrufe automatisch transkribiert werden, um so alle anderen Beteiligten von Telefonaten zwischen Gericht und einer Partei automatisch in Kenntnis zu setzen. Der Nachrichtenraum sollte zudem standardisierte Kommunikation automatisieren. Zu denken ist an die Bestimmung eines Termins für die mündliche Verhandlung. Wird der Sitzungskalender des Gerichts im Portal hinterlegt, können die Parteien ohne Beteiligung des Gerichts einen Termin festlegen, an dem alle Parteien Zeit haben. Zum Beispiel mit folgendem Verfahren: Die Klägerin wählt innerhalb einer festen Frist (z.B. eine Woche) aus den freien Gerichtsterminen eine bestimmte Mindestanzahl von Terminen (z.B. fünf) aus, an denen sie verfügbar ist. Aus diesen Terminvorschlägen wählt sodann die Beklagte den Verhandlungstermin. Werden ihr die vorgeschriebene Mindestzahl an Terminen angeboten, die sich insgesamt über einen Mindestzeitraum verteilen (z.B. 30 Tage) muss sie einen der Termine innerhalb der gesetzten Frist auswählen, andernfalls bestimmt das System einen Termin. Da alle Beteiligten an der Terminfindung beteiligt sind, bleibt Raum für Verlegungsanträge nur noch in eng umgrenzten Fällen, zum Beispiel weil sich unerwartet Umstände nachträglich ändern. Das wäre eine Entlastung für alle Beteiligten: Das Gericht müsste sich mit der Terminfindung fast nicht beschäftigen. Die Parteien bestimmen zudem von Anfang an einen Termin, der für alle in Ordnung ist, sodass Verlegungen vermieden werden. Da die Klägerin die Termine vorauswählt, hat die Beklagte wenig Spielraum, um das Verfahren unnötig zu verzögern. Werden geeignete Schnittstellen (API) geschaffen, können auch die Prozessbevollmächtigten die Terminabstimmung automatisieren.

4. Beschleunigtes Online-Verfahren

Begrüßenswert ist das beschleunigte Online-Verfahren, das auf Formularen basiert an wenigen „Online-Gerichten“ konzentriert werden soll. Das ist der richtige Weg, um die Rechtsverfolgung bei Standard- und Massenverfahren effizienter und günstiger zu machen. Ein reines Online-Verfahren wurde zum Beispiel 2015 bereits in England von Lord Justice Briggs vorgeschlagen (Civil Courts Structure Review: Interim Report by Lord Justice Briggs, December 2015, Chapter 6), der ein Online-Verfahren entwickeln will, in dem sich die Bürgerinnen auch ohne Anwältinnen gut zurechtfinden. Derzeit wird es mit Verfahren, in denen eine Geldzahlung bis zu £ 10.000 verlangt wird, erprobt (https://www.gov.uk/make-money-claim). Der Anspruch, ein solches „anwaltfreies“ Online-Verfahren zu schaffen, wurde im Thesenpapier – zu Recht – bisher nicht formuliert. Viele Rechtsfragen erweisen sich schnell als komplexer und zeitraubender, als die meisten Bürgerinnen anfangs meinen. Viele Verbraucherinnen werden die dafür erforderliche Freizeit auch in Zukunft nicht opfern wollen und sich dem negativen Stress nicht aussetzen wollen (vgl. dazu Daniel Halmer, Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestages am 11. März 2020, S. 4). Ohne der einzelnen Bürgerin den Zugang zu verwehren, sollte das Online-Verfahren daher von Anfang an auch professionellen Dienstleistern – seien es Kanzleien oder andere Rechtsdienstleister – die Möglichkeit bieten, Verbraucherinnen erschwingliche Produkte anzubieten, die es attraktiv machen, ihre Rechte gerichtlich durchzusetzen. Dazu müssen von Anfang an Schnittstellen (APIs) eingebaut werden, die es erlauben, die Daten automatisiert einzupflegen. Darüber hinaus sollte bei der Entwicklung des Online-Verfahrens sichergestellt werden, dass die Formulare schnell neuem Prozessaufkommen angepasst werden können. Das wird über einen Drag & Drop-Editor gewährleistet, der es Richterinnen erlaubt, ohne Programmierkenntnisse in kurzer Zeit ein neues Prozessformular zu gestalten. Denn die Richterinnen sind es, die als erste wissen, worauf es bei neu anlaufenden Massenverfahren ankommt. Welches Formular dann für ein bestimmtes Verfahren genutzt wird, kann von einer Zentralstelle festgelegt werden.

5. Außergerichtliche Streitbeilegung

Bisher fehlen im Thesenpapier Vorschläge für außergerichtliche Streitbeilegung. Das ist wohl folgerichtig, denn es geht zunächst um den streitigen Zivilprozess. Bei der hier vorgeschlagenen Vorgehensweise, ein modulares, erweiterbares Portal zu schaffen, sollte „Online Dispute Resolution“ (ODR) aber schon mitgedacht werden, um entsprechende Angebote künftig aufnehmen zu können. Denn gehen der staatlichen Justiz immer mehr Fälle „verloren“, kann sie auch ihre Aufgabe der Rechtsfortbildung nicht mehr gerecht werden (vgl. überblicksartig zu ODR und den Möglichkeiten im staatlichen Online-Verfahren auch Rühl, „Digitale Justiz, oder: Zivilverfahren für das 21. Jahrhundert“, JZ 2020, 809, 810 ff.). Große Aufmerksamkeit erlangt zum Beispiel der Streitbeilegungsmechanismus von Ebay und PayPal, über den angeblich 60 Millionen Fälle jährlich beigelegt werden (vgl. dazu z.B. Del Duca/Rule/Rimpfel, eBay’s De Facto Low Value High Volume Resolution Process: Lessons and Best Practices for ODR Systems Designers, 6 Y.B. Arb. & Mediation 2+04 (2014)). Dieses Modell könnte künftig als Blaupause genutzt werden, um ein teilweise automatisiertes Güteverfahren im staatlichen Gerichtsverfahren aufzusetzen. Eingesetzt werden können zudem Verfahren wie „double blind bidding“ oder „single document negotiation“. Beim „double blind bidding“ gibt jede Partei einen Wert an, der ihre „Schmerzgrenze“ beschreibt, ohne dass die andere Seite davon erfährt. Ergibt sich daraus eine „zone of possible agreement“ ( ZOPA), schlägt der Algorithmus automatisch den Mittelwert als Vergleichsvorschlag vor. Ein solches Verfahren könnte den Parteien zum Beispiel automatisch angeboten werden, nachdem Widerspruch gegen einen Mahnbescheid mit eher geringem Streitwert eingelegt wurde. „Single document negotiation“ erfordert mehr Einsatz der Parteien, kann aber eine produktive Grundstimmung erzeugen, um Vergleiche zu verhandeln. Die Parteien arbeiten dabei während ihrer Verhandlung gemeinsam und gleichzeitig an einem einzigen Dokument, in dem die Vertragsklauseln festgehalten werden. Dadurch wirken die Parteien zukunftsorientiert auf ein „gemeinsames Projekt“ – den Vertragstext – hin, was teilweise Einigungen ermöglicht, die vorher undenkbar erschienen. Im Zivilverfahren wäre das für Vergleichsverhandlungen anzudenken, die die Parteien auf dem Portal ohne das Gericht führen können. Solche Verfahren müssen nicht in der ersten Version des Portals eingebaut werden, der Weg dorthin sollte aber von vornherein mit angelegt werden. Erörtert werden sollte dabei auch, ob im Zuge einer ZPO-Reform schon die rechtlichen Grundlagen geschaffen werden, auch wenn die Technik anfangs noch nicht bereitsteht.

IV. Fazit und Ausblick

Die Arbeitsgruppe „Modernisierung des Zivilprozesses“ hat mit ihrem Thesenpapier den richtigen Weg gewiesen. Jetzt wird es darum gehen, den visionären Ansatz beizubehalten, gleichzeitig aber im Zuge der Umsetzung die Komplexität zu beherrschen. Ein modulares Portal, das sukzessive erweitert werden kann, ermöglicht diesen Spagat. Hoffnungsvoll stimmt dabei, dass es für alle Vorschläge bereits Softwarelösungen gibt, die „nur noch“ zusammengesetzt werden müssen. Gleichzeitig darf man sich keine Illusionen über den finanziellen Aufwand machen: Eine nachhaltige und wirksame Digitalisierung des Zivilprozesses kostet Geld. In Großbritannien werden zum Beispiel eine Milliarde Pfund in die Modernisierung der Gerichte investiert (https://www.gov.uk/guidance/the-hmcts-reform-programme). Es ist zu hoffen, dass die deutschen Parlamente eine ebenso wirksame Summe in die Justiz investieren. Wünschenswert wäre es zudem, spätestens ab dem Richtertag, auf dem weitere Vorschläge der Arbeitsgruppe diskutiert werden sollen, auch Personen in die Arbeitsgruppe aufzunehmen, die nicht unmittelbar bei den Gerichten arbeiten. Neben Anwältinnen wäre hier auch an Referendarinnen zu denken. Diese sind noch weitgehend unbelastet, was den bisherigen Ablauf des Zivilprozesses angeht, sodass es ihnen möglicherweise leichter fällt, an der ein oder anderen Stelle „out of the box“ zu denken.

Zur Person: Jakob Horn ist Rechtsreferendar am Kammergericht, derzeit in der Anwaltsstation. Er studierte Rechtswissenschaft an der Friedrich-Schiller-Universität Jena sowie an der University of Illinois, Urbana-Champaign, IL, USA. In seiner Dissertation („Der Emergency Arbitrator und die ZPO“, Mohr Siebeck 2019, ISBN 978-3-16-156939-5), die er bei Professor Dr. Giesela Rühl, LL.M. (Berkeley), Jena, anfertigte, beschäftigt er sich mit dem einstweiligen Rechtsschutz im Schiedsverfahren und insbesondere mit dem Eilschiedsrichter. Mit „Online-Courts“ hat er sich während eines einjährigen Aufbaustudiums an der Harvard Law School, Cambridge, MA, USA beschäftigt, das er 2019 mit dem Master of Laws (LL.M.) abschloss..