ZPO-Überblick: Unterbrechung, Aussetzung und Aufnahme des Rechtsstreits

Die ZPO sieht insbesondere in den §§ 239 ff. ZPO mehrere Konstellationen vor, in denen der Rechtsstreit zum Stillstand kommt oder auf Betreiben der Parteien kommen kann. Wann das der Fall ist und wie der Rechtsstreit fortgesetzt werden kann, soll im Folgenden überblicksartig vorgestellt werden.

I. Tod und Geschäftsunfähigkeit

1. Unterbrechung oder Aussetzung?

Unterbrochen wird der Rechtsstreit insbesondere, wenn eine Partei verstirbt (§ 239 ZPO), wenn die Partei ihre Prozessfähigkeit verliert (§ 241 Abs. 1 Var. 1 ZPO) oder wenn ihr Prozessbevollmächtigter verstirbt oder seinerseits geschäftsunfähig oder wegen Verlust der Zulassung postulationsunfähig wird (§ 244 ZPO). „Unterbrechung“ heißt dabei gem. § 249 ZPO, dass der Prozess kraft Gesetzes zum Stillstand kommt, also Fristen zu laufen aufhören (§ 249 Abs. 1 ZPO), Parteihandlungen sind dem Gegner gegenüber unwirksam sind (§ 249 Abs. 2 ZPO) und gerichtliche Entscheidungen i.d.R. unzulässig sind (§ 249 Abs. 3 ZPO), ohne dass irgendeine Handlung der Parteien oder des Gerichts notwendig wäre. Trotzdem ist ein deklaratorischer „feststellender“ Beschluss des Gerichts in diesen Fällen sinnvoll. Sinn und Zweck des kraft Gesetzes eintretenden Stillstands ist, dass der Prozess auf Seiten der betreffenden Partei durch Dritte (Erben oder Betreuer) fortgeführt werden muss, und diese Kenntnis vom Prozess erhalten müssen und ihnen die Gelegenheit gegeben werden muss, zu entscheiden, ob sie den Prozess aufnehmen und fortsetzen wollen (s. dazu unten).

2. Aussetzung

Diese strikte Folge ist in den Fällen der §§ 239 und 241 ZPO (Tod der Partei oder Verlust der Prozessfähigkeit) aber nicht erforderlich, wenn die Partei anwaltlich vertreten ist. Denn die Vollmacht bleibt durch den Tod oder die Geschäftsunfähigkeit der Partei unberührt (§ 86 ZPO), so dass der Prozess weitergeführt werden kann. Deshalb tritt gem. § 246 Abs. 1 HS. 1 in diesem Fall keine Unterbrechung ein. Der oder die Prozessbevollmächtigte kann aber gem. § 246 Abs. 1 Hs. 2 ZPO beantragen, das Verfahren auszusetzen, damit die Folgen des § 249 ZPO eintreten. Über den Aussetzungsantrag (§ 248 Abs. 1 ZPO) entscheidet das Gericht durch Beschluss. Gerade wenn (Rechtsmittel-)Frist laufen, kann dabei besondere Eile erforderlich sein, denn die Wirkung des § 249 ZPO (insbesondere die Unterbrechung laufender Fristen) tritt erst mit Erlass des Aussetzungsbeschlusses ein.

3. Aufnahme

Ist der Rechtsstreit gem. § 239 ZPO unterbrochen oder ausgesetzt, kann er durch den oder die Erben aufgenommen werden, § 239 Abs. 1 ZPO aE. Die Aufnahme geschieht gem. § 250 ZPO durch Schriftsatz, der dem Gegner zuzustellen ist. Wird dies verzögert, kann gem. §§ 239 Abs. 2 nach Annahme der Erbschaft (§ 239 Abs. 5 ZPO) auch der Gegner unter Benennung der Erben die Aufnahme beantragen, das weitere Verfahren richtet sich dann nach § 239 Abs. 3, 4 ZPO. Bei einem Verlust der Prozessfähigkeit endet die Unterbrechung oder Aussetzung, wenn die Partei ihre Prozessfähigkeit wiedererlangt oder wenn der Betreuer dem Gericht seine Bestellung anzeigt. Wird dies verzögert, kann der der Gegner den Rechtsstreit aufnehmen; der prozessunfähigen Partei ist dann ggf. ein Prozesspfleger (§ 57 ZPO) oder ein Betreuer zu bestellen. Ähnliches gilt bei § 244 ZPO: Auch hier endet die Unterbrechung oder Aussetzung, wenn sich ein neuer Anwalt bestellt. Bei Verzögerung gibt § 244 Abs. 2 ZPO auch dem Gegner die Möglichkeit, die Fortsetzung des Verfahrens zu erreichen.

II. Eröffnung des Insolvenzverfahrens

1. Unterbrechung

Wird über das Vermögen einer der Parteien das Insolvenzverfahren eröffnet, führt dies gem. § 240 ZPO zur Unterbrechung des Rechtsstreits, soweit dieser die Insolvenzmasse (§ 35 InsO) betrifft. Das ist der Fall, wenn der Streitgegenstand entweder Bestandteil der Insolvenzmasse oder aus ihr zu leisten ist. Werden mehrere Ansprüche geltend gemacht, wird der Rechtsstreit insgesamt unterbrochen, also auch hinsichtlich der nicht die Insolvenzmasse betreffenden Ansprüche (s. nur BGH, Beschluss vom 10.12.2014 - XII ZR 136/12). Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens führt dabei stets zur Unterbrechung, auch wenn die Partei anwaltlich vertreten ist. Denn anders als § 86 ZPO ordnet § 117 InsO an, dass die Vollmacht mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlischt. Auch hier ist ein klarstellender Beschluss sinnvoll; ist die Unterbrechung zwischen den Parteien streitig, stellt das Gericht sie durch Zwischenurteil (§ 303 ZPO) fest. Die Unterbrechung des Rechtsstreits gem. § 240 ZPO endet, wenn das Insolvenzverfahren aufgehoben oder mangels Masse eingestellt wird.

2. Aufnahme

Im Rahmen der Aufnahme ist zunächst zu differenzieren, ob es sich um einen Aktiv- oder Passivprozess der Partei handelt.
a) Aktivprozesse
Ist der unterbrochene Rechtsstreit ein Aktivprozess des Schuldners (ist dieser also die klagende Partei), richtet sich die Aufnahme nach § 85 InsO. Danach kann der Insolvenzverwalter den Rechtsstreit aufnehmen; wird diese Aufnahme verzögert, verweist § 85 Abs. 1 Satz 2 ZPO auf § 239 Abs. 2-4 ZPO. Verweigert der Insolvenzverwalter die Aufnahme, können sowohl der Schuldner als auch der Gegner den Rechtsstreit aufnehmen.
b) Passivprozesse
Handelt es sich um einen Passivprozess (ist die insolvente Partei also Beklagte des Rechtsstreits), ist weiter danach zu differenzieren, ob es sich um einen vermögensrechtlichen Anspruch (s. dazu §§ 38 ff. InsO) oder einen Anspruch auf Aussonderung oder abgesonderte Befriedigung handelt. Für vermögensrechtliche Ansprüche verweist § 87 InsO den Gegner grundsätzlich darauf, seinen Anspruch gem. §§ 174 ff. InsO zur Insolvenztabelle anmelden (vorher ist eine Feststellungsklage unzulässig). (Für den Sonderfall einer Masseverbindlichkeit gilt § 86 Abs. 1 Ziff. 3 InsO.) Wird die Forderung im Prüfungstermin (§ 176 InsO) zur Tabelle festgestellt, erhält die Partei auf ihre Forderung im Laufe des Insolvenzverfahrens die Insolvenzquote. Ein Bedürfnis für eine Aufnahme des Rechtsstreits besteht dann nicht, der Rechtsstreit ist mit der Feststellung in der Hauptsache erledigt, bleibt aber hinsichtlich der Kosten unterbrochen (BGH Beschluss vom 25.04.2017 – II ZR 72/12). Der Insolvenzverwalter oder ein anderer Gläubiger können die Forderung im Prüfungstermin aber bestreiten. Die klagende Partei kann dann den Rechtsstreit gegen den Insolvenzverwalter oder den bestreitenden Gläubiger aufnehmen (§§ 179 Abs. 1, 180 Abs. 2 InsO), muss aber ihren Antrag dann auf Feststellung der Forderung zur Insolvenztabelle umstellen. Bestreitet der Gläubiger die Forderung, tritt er an Stelle des Schuldners in den Rechtsstreit ein. Liegt schon ein vorläufig vollstreckbarer Titel vor, muss grundsätzlich der Insolvenzverwalter oder der bestreitende Schuldner den Rechtsstreit aufnehmen (§§ 179 Abs. 2, 180 Abs. 2 InsO). Auch der Schuldner kann der Anmeldung widersprechen (§ 184 InsO), weil die Feststellung der Forderung zur Insolvenztabelle die gleichen Wirkungen wie eine rechtskräftige Verurteilung hat (§ 178 Abs. 3 InsO) und der Gläubiger nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens aus der Tabelle die Zwangsvollstreckung betreiben kann (vgl. § 201 InsO). Bei einem solchen Widerspruch des Schuldners kann der Gläubiger gem. § 184 Abs. 1 Satz 2 InsO den Rechtsstreit aufnehmen. Etwas anderes gilt gem. § 86 Abs. 1 InsO bei Ansprüchen auf Aussonderung oder abgesonderte Befriedigung. (Zur Aussonderung gem. § 47 InsO ist ein Gläubiger z.B. berechtigt, wenn er aus § 985 BGB die Herausgabe einer ihm gehörenden Sache verlangt; zur abgesonderten Befriedigung i.S.d. §§ 50, 51 InsO ist der Gläubiger berechtigt, wenn ihm ein Pfandrecht oder ein Zurückbehaltungsrecht an einer Sache zusteht.) Rechtsstreitigkeiten, die eine Aussonderung oder eine abgesonderte Befriedigung betreffen, können sowohl der Insolvenzverwalter als auch der Gegner aufnehmen und fortsetzen. Dem Insolvenzverwalter räumt § 86 Abs. 2 InsO außerdem das Recht ein, den Anspruch bei einer Aufnahme durch den Gegner „sofort“ (vgl. § 93 ZPO) anzuerkennen, mit der Folge, dass der Gegner seinen Kostenerstattungsanspruch nur als Insolvenzforderung geltend machen kann.

III. Praxisfall: Der unterbrochene Räumungsrechtsstreit

Anschaulich lassen sich die vorstehenden Grundsätze anhand eines „Klassikers“ zeigen: Vermieter V nimmt Mieter M auf Herausgabe und Räumung einer Mietwohnung sowie auf Zahlung rückständigen Mietzinses in Anspruch. Über das Vermögen des M wird im Laufe des Rechtsstreits das Insolvenzverfahren eröffnet. Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens wird der Rechtsstreit zunächst insgesamt unterbrochen, und zwar unabhängig davon, ob alle geltend gemachten Ansprüche die Insolvenzmasse betreffen (s. oben). Für die Aufnahme gilt Folgendes:
  • Soweit V Zahlung rückständigen Mietzinses verlangt, muss er nun seinen Anspruch zur Insolvenztabelle anmelden. Wenn Schuldner, Insolvenzverwalter und andere Gläubiger nicht widersprechen, hat sich der Rechtsstreit erledigt (und V wird darauf hoffen, jedenfalls eine Insolvenzquote zu bekommen), anderenfalls muss er den Rechtsstreit aufnehmen und gegen den Insolvenzverwalter auf Feststellung zur Tabelle klagen.
  • Eine Anmeldung zur Insolvenztabelle ist hinsichtlich des Herausgabeantrags nicht möglich. Denn bei dem Herausgabeantrag handelt es sich umeinen Aussonderungsanspruch gem. § 47 InsO, so dass V den Rechtsstreit gem. § 86 Abs. 1 Ziff. 1 InsO durch Aufnahmeschriftsatz gem. § 250 ZPO aufnehmen und fortsetzen kann.
  • Der Anspruch auf Räumung (der über die Herausgabe hinausgeht und die Verpflichtung umfasst, die Mietsache im vertragsgemäß geschuldeten Zustand zurückzugeben) ist wiederum ein vermögensrechtlicher Anspruch, der aus der Insolvenzmasse zu befriedigen ist, also eine Insolvenzforderung (§ 38 InsO). Er ist deshalb gem. § 87 InsO zur Tabelle anzumelden; da er momentan noch nicht auf Geld gerichtet ist, muss der Wert des Anspruchs gem. § 45 InsO dazu geschätzt werden.
Wenn Sie diesen Artikel verlinken wollen, können Sie dafür auch folgenden Kurzlink verwenden: www.zpoblog.de/?p=7447. Foto: Tobias Fischer on Unsplash