Urkundenprozess und elektronischer Rechtsverkehr
Entscheidung
Das Gericht hat den Beklagten im Urkundenprozess antragsgemäß durch Vorbehaltsurteil verurteilt und zur Zulässigkeit ausgeführt:
„Die Klage ist im Urkundsverfahren zulässig und statthaft.
1. Der Kläger verfolgt einen Anspruch auf Zahlung einer bestimmten Geldsumme, § 592 Satz 1 ZPO, und hat die gem. § 593 Abs. 1 ZPO erforderliche Erklärung, dass im Urkundenprozess geklagt werde, in der Anspruchsbegründung, die insoweit der Klageschrift gleichsteht (…), abgegeben.
2. Auch sind die Voraussetzungen des § 593 Abs. 2 Satz 1 ZPO erfüllt, wonach die Urkunden in Abschrift der Klage oder einem vorbereitenden Schriftsatz beigefügt werden müssen. Dabei ist es weder erforderlich, mit der Klageschrift die Urkunde im Original, noch als beglaubigte Abschrift einzureichen. Die Vorlage einer einfachen Abschrift genügt (…).
Vorliegend wurde der Darlehensvertrag als einfache Anlage zur signierten Anspruchsbegründung über das besondere elektronische Anwaltspostfach (bea) bei Gericht eingereicht und entsprechend dem Beklagten zugestellt. Damit wurde sämtlichen Formvorschriften Genüge getan. Denn nach § 169 Abs. 5 Nr. 2 ZPO kann ein elektronisches Dokument ohne Beglaubigung zugestellt werden, wenn es nach § 130a ZPO auf einem sicheren Übermittlungsweg wie dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA), § 130a Abs. 4 Nr. 2 ZPO, eingereicht wurde und mit einem Authentizitäts- und Integritätsnachweis versehen ist. Nach § 130a Abs. 3 ZPO muss zwar das elektronische Dokument mit einer qualifizierten Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder, wie hier, von der verantwortenden Person signiert sein, dies gilt gem. § 130a Abs. 3 Satz 2 ZPO i.V.m. § 253 Abs. 4 ZPO aber ausdrücklich nicht für Anlagen, die vorbereitenden Schriftsätzen oder Klageschriften beigefügt sind.
Für den Urkundenprozess und die dortige Urkundsvorlage sind keine weiteren Formvorschriften vorgesehen, insbesondere gilt § 130a ZPO für alle Verfahren der ZPO (…). Soweit der Beklagte die Anforderungen für öffentliche Beglaubigungen nach § 39a BeurKG auch im Urkundsprozess für anwendbar hält, kann dem nicht gefolgt werden, da § 39a BeurkG nur für öffentliche Beurkundungen und Verwahrungen durch den Notar gilt, § 1 BeurkG, und, wie dargelegt, die Urkunde gem. § 593 Abs. 2 Satz 1 ZPO gerade nicht in beglaubigter Form eingereicht werden muss.“
Anmerkung
Die Entscheidung bewegt sich zwischen Urkundenprozess und Digitalisierung in einem bislang wenig wissenschaftlich vermessenen Gebiet. Der Entscheidung ist dabei vollumfänglich zuzustimmen, wie sich aus der eindeutigen Regelung in § 593 Abs. 2 ZPO ergibt. Besonders interessant an dem zugrundeliegenden Verfahren ist, dass dem Vorbehaltsurteil ein Versäumnisurteil vorausging, weil der Beklagte zunächst im schriftlichen Vorverfahren seine Verteidigungsbereitschaft nicht angezeigt hatte. Hier ergibt sich im Urkundenprozess aus § 597 Abs. 2 Hs. 2 ZPO eine wenig bekannte Besonderheit: Während gegenüber einem sich verteidigenden Beklagten nach h.M. nur streitige Tatsachen mit Urkunden bewiesen werden müssen (s. nur BGH, Urteil vom 24. April 1974 – VIII ZR 211/72; Zöller/Greger, § 592 Rn. 11), müssen im Falle einer Säumnis ausnahmsweise tatsächlich alle anspruchsbegründenden Tatsachen durch Urkunden zu beweisen sein. Hier waren zwar der Rückzahlungsanspruch und auch dessen Fälligkeit der Darlehensurkunde zu entnehmen. Diese lag aber im Zeitpunkt des Erlasses des Versäumnisurteils nur als Scan und nicht im Original vor. Private elektronische Dokumente (wie beispielsweise Scans) sind im Grundsatz aber keine Urkunden, sondern Augenscheinsobjekte; etwas Anderes gilt nur dann, wenn diese elektronischen Dokumente qualifiziert elektronisch signiert sind (§ 371a Abs. 1 S. 1 ZPO, s. ausf. Brand/Skowronek, RDi 2021, 178, 180; Voigt/Herrmann/Danz, NJW 2020, 2991 Rn. 15 ff.). Der Scan war daher an sich keine Urkunde i.S.d. §§ 415 ff. i.V.m. § 371a ZPO.
Trotzdem dürfte das Versäumnisurteil zu Recht ergangen sein. Denn zwar ist der Urkundenbegriff der §§ 592 ff. ZPO heillos umstritten (s. zum Überblick z.B. BeckOK-ZPO/Kratz, § 592 Rn. 26 ff.), nach ganz h.M. können aber auch Vervielfältigungen der ursprünglichen Urkunden selbst Urkunden i.S.d. §§ 592 ff. ZPO darstellen, gerade wenn die Echtheit der Urkunde – wie hier – nicht in Streit steht (s. OLG München, Urteil vom 07.02.2007 – 7 U 4952/06; OLG Hamm, Urteil vom 20.11.2017 – 8 U 16/17). Hätte der Kläger seiner schriftlich eingereichten Klageschrift also eine Kopie der Urkunde oder einen Ausdruck des Scans beigefügt, hätte dies den Anforderungen der §§ 597 Abs. 2, 592 ZPO genügt (vgl. OLG München, Urteil vom 21.11.2019 – 23 U 4170/18 Rn. 20). Wird die Klage im elektronischen Rechtsverkehr eingereicht oder elektronisch geführt (§ 298a ZPO), kann aber für die digitale Kopie nichts Anderes gelten, so dass der Scan als elektronisches Dokument ausreichend sein und kein Ausdruck vorliegen muss (so Stein/Jonas/Chr. Berger, § 592 Rn. 22 aE).
tl;dr: Wird eine Klage im Urkundenprozess im elektronischen Rechtsverkehr eingereicht, ist dem Erfordernis des § 592 Abs. 2 ZPO auch genügt, wenn eine digitale Kopie der Urkunde als elektronisches Dokument eingereicht wird.