Urkundenprozess und elektronischer Rechtsverkehr

Wann muss im Urkundenprozess eine Urkunde im Original (oder in beglaubigter Abschrift?) vorgelegt werden? Und wann reicht eine formlose Abschrift oder sogar lediglich ein elektronisches Dokument? Diese Frage stellt sich mit der zunehmenden Verbreitung des elektronischen Rechtsverkehrs immer mehr, wie u.a. ein Vorbehaltsurteil des LG Ulm vom 29.05.2020 – 2 O 276/19 zeigt.

Sachverhalt

Der Kläger nimmt den Beklagten im Urkundenprozess auf Rückzahlung eines Privatdarlehens in Anspruch. Nach der von beiden Seiten unterzeichneten Vertragsurkunde gewährte der Kläger dem Beklagten ein Darlehen in Höhe von 11.129,10 EUR; der Betrag sollte am 30.06.2019 zur Rückzahlung fällig sein. Der Beklagte zahlte nach dem 30.06.2019 die Darlehenssumme nicht zurück, sondern berief sich darauf, der Darlehensvertrag sei lediglich ein Scheingeschäft (§ 117 BGB) und im Zusammenhang mit anderen Geschäften zwischen den Parteien und ihnen nahestehenden Personen zu sehen. Tatsächlich seien die Darlehensvaluta niemals ausgezahlt worden (und müssten entsprechend auch nicht zurückgezahlt werden). Der Kläger nahm den Beklagten daraufhin (zunächst im Mahnverfahren und dann) im Urkundenprozess auf Zahlung in Höhe der 11.129,10 EUR in Anspruch, wobei die Klageschrift im elektronischen Rechtsverkehr (§ 130a ZPO) eingereicht wurde, der ein Scan der Darlehensurkunde beigefügt war. Die Akten werden in elektronischer Form geführt (§ 298a ZPO). Der Beklagte vertrat die Ansicht, die Klage sei im Urkundenprozess unstatthaft. Den Anforderungen des § 592 Satz 1 Hs. 2 ZPO sei nicht genügt, weil weder die Urkunde noch eine beglaubigte Abschrift dieser Urkunde vorgelegt worden sei.

Die Besonderheit des Urkundenprozesses liegt darin, dass der Prozess in zwei Abschnitte unterteilt wird: Im ersten Teil (dem Urkundenprozess) sind als Beweismittel nur Urkunden zugelassen, § 595 ZPO. Die klagende Partei muss daher alle (streitigen) anspruchsbegründenden Tatsachen durch Urkunden belegen können. Einwendungen der beklagten Partei sind ebenfalls nur zu berücksichtigen, wenn sie diese durch Urkunden oder, wenig relevant, durch Parteivernehmung belegen kann. Soweit die Klage danach begründet ist, endet der Urkundenprozess gem. § 599 ZPO mit einem Vorbehaltsurteil. Darin wird dem Kläger der Anspruch zugesprochen und dem Beklagten die Ausführung seiner Rechte vorbehalten, soweit er dem Anspruch widersprochen hat. Andere Einwendungen (die nicht unstreitig sind und nur mittels Zeugen oder Sachverständigengutachten bewiesen werden können) bleiben zunächst außer Betracht. Über diese wird erst im Nachverfahren Beweis erhoben, z.B. durch Zeugenvernehmung oder Sachverständigengutachten. Das Nachverfahren endet mit einem Endurteil. In diesem wird das Vorbehaltsurteil entweder für vorbehaltlos erklärt oder aber aufgehoben und die Klage abgewiesen (§§ 600 Abs. 2 i.V.m. 302 Abs. 4 ZPO). Der Vorteil des Urkundenprozesses liegt darin, dass die klagende Partei auf diesem Weg vielfach relativ schnell zu einem Urteil kommt. Bestehen Zweifel an der Solvenz der beklagten Partei, kann sie aus dem Vorbehaltsurteil vollstrecken kann (häufig in Form der Sicherungsvollstreckung gem. § 720a ZPO, wobei selbstverständlich § 717 Abs. 2 ZPO zu beachten ist) und dem Nachverfahren gelassen entgegensehen, auch wenn sich dies lange hinzieht. Statthaft ist ein Urkundenprozess gem. § 592 Satz 1 ZPO aber nur, wenn sämtliche zur Begründung des Anspruchs erforderlichen Tatsachen durch Urkunden bewiesen werden können. Der Beklagte berief sich hier darauf, dass dies nicht der Fall sei. Denn die Urkunde habe der Kläger weder im Original noch in einer beglaubigten Abschrift vorlegt. Es liege noch nicht einmal überhaupt eine Urkunde i.S.d. §§ 415 ff. ZPO vor, weil es an einer Verkörperung der Gedankenerklärung fehle: In der Akte bedinde sich lediglich der digitale Scan der Akte, der aber gem. § 371a ZPO als elektronisches Dokument keine Urkunde, sondern ein Augenscheinsobjekt sei.

Entscheidung

Das Gericht hat den Beklagten im Urkundenprozess antragsgemäß durch Vorbehaltsurteil verurteilt und zur Zulässigkeit ausgeführt:

„Die Klage ist im Urkundsverfahren zulässig und statthaft.

1. Der Kläger verfolgt einen Anspruch auf Zahlung einer bestimmten Geldsumme, § 592 Satz 1 ZPO, und hat die gem. § 593 Abs. 1 ZPO erforderliche Erklärung, dass im Urkundenprozess geklagt werde, in der Anspruchsbegründung, die insoweit der Klageschrift gleichsteht (…), abgegeben.

2. Auch sind die Voraussetzungen des § 593 Abs. 2 Satz 1 ZPO erfüllt, wonach die Urkunden in Abschrift der Klage oder einem vorbereitenden Schriftsatz beigefügt werden müssen. Dabei ist es weder erforderlich, mit der Klageschrift die Urkunde im Original, noch als beglaubigte Abschrift einzureichen. Die Vorlage einer einfachen Abschrift genügt (…).

Vorliegend wurde der Darlehensvertrag als einfache Anlage zur signierten Anspruchsbegründung über das besondere elektronische Anwaltspostfach (bea) bei Gericht eingereicht und entsprechend dem Beklagten zugestellt. Damit wurde sämtlichen Formvorschriften Genüge getan. Denn nach § 169 Abs. 5 Nr. 2 ZPO kann ein elektronisches Dokument ohne Beglaubigung zugestellt werden, wenn es nach § 130a ZPO auf einem sicheren Übermittlungsweg wie dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA), § 130a Abs. 4 Nr. 2 ZPO, eingereicht wurde und mit einem Authentizitäts- und Integritätsnachweis versehen ist. Nach § 130a Abs. 3 ZPO muss zwar das elektronische Dokument mit einer qualifizierten Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder, wie hier, von der verantwortenden Person signiert sein, dies gilt gem. § 130a Abs. 3 Satz 2 ZPO i.V.m. § 253 Abs. 4 ZPO aber ausdrücklich nicht für Anlagen, die vorbereitenden Schriftsätzen oder Klageschriften beigefügt sind.

Für den Urkundenprozess und die dortige Urkundsvorlage sind keine weiteren Formvorschriften vorgesehen, insbesondere gilt § 130a ZPO für alle Verfahren der ZPO (…). Soweit der Beklagte die Anforderungen für öffentliche Beglaubigungen nach § 39a BeurKG auch im Urkundsprozess für anwendbar hält, kann dem nicht gefolgt werden, da § 39a BeurkG nur für öffentliche Beurkundungen und Verwahrungen durch den Notar gilt, § 1 BeurkG, und, wie dargelegt, die Urkunde gem. § 593 Abs. 2 Satz 1 ZPO gerade nicht in beglaubigter Form eingereicht werden muss.“

Anmerkung

Die Entscheidung bewegt sich zwischen Urkundenprozess und Digitalisierung in einem bislang wenig wissenschaftlich vermessenen Gebiet. Der Entscheidung ist dabei vollumfänglich zuzustimmen, wie sich aus der eindeutigen Regelung in § 593 Abs. 2 ZPO ergibt. Besonders interessant an dem zugrundeliegenden Verfahren ist, dass dem Vorbehaltsurteil ein Versäumnisurteil vorausging, weil der Beklagte zunächst im schriftlichen Vorverfahren seine Verteidigungsbereitschaft nicht angezeigt hatte. Hier ergibt sich im Urkundenprozess aus § 597 Abs. 2 Hs. 2 ZPO eine wenig bekannte Besonderheit: Während gegenüber einem sich verteidigenden Beklagten nach h.M. nur streitige Tatsachen mit Urkunden bewiesen werden müssen (s. nur BGH, Urteil vom 24. April 1974 – VIII ZR 211/72; Zöller/Greger, § 592 Rn. 11), müssen im Falle einer Säumnis ausnahmsweise tatsächlich alle anspruchsbegründenden Tatsachen durch Urkunden zu beweisen sein. Hier waren zwar der Rückzahlungsanspruch und auch dessen Fälligkeit der Darlehensurkunde zu entnehmen. Diese lag aber im Zeitpunkt des Erlasses des Versäumnisurteils nur als Scan und nicht im Original vor. Private elektronische Dokumente (wie beispielsweise Scans) sind im Grundsatz aber keine Urkunden, sondern Augenscheinsobjekte; etwas Anderes gilt nur dann, wenn diese elektronischen Dokumente qualifiziert elektronisch signiert sind (§ 371a Abs. 1 S. 1 ZPO, s. ausf. Brand/Skowronek, RDi 2021, 178, 180; Voigt/Herrmann/Danz, NJW 2020, 2991 Rn. 15 ff.). Der Scan war daher an sich keine Urkunde i.S.d. §§ 415 ff. i.V.m. § 371a ZPO.

Trotzdem dürfte das Versäumnisurteil zu Recht ergangen sein. Denn zwar ist der Urkundenbegriff der §§ 592 ff. ZPO heillos umstritten (s. zum Überblick z.B. BeckOK-ZPO/Kratz, § 592 Rn. 26 ff.), nach ganz h.M. können aber auch Vervielfältigungen der ursprünglichen Urkunden selbst Urkunden i.S.d. §§ 592 ff. ZPO darstellen, gerade wenn die Echtheit der Urkunde – wie hier – nicht in Streit steht (s. OLG München, Urteil vom 07.02.2007 – 7 U 4952/06; OLG Hamm, Urteil vom 20.11.2017 – 8 U 16/17). Hätte der Kläger seiner schriftlich eingereichten Klageschrift also eine Kopie der Urkunde oder einen Ausdruck des Scans beigefügt, hätte dies den Anforderungen der §§ 597 Abs. 2, 592 ZPO genügt (vgl. OLG München, Urteil vom 21.11.2019 – 23 U 4170/18 Rn. 20). Wird die Klage im elektronischen Rechtsverkehr eingereicht oder elektronisch geführt (§ 298a ZPO), kann aber für die digitale Kopie nichts Anderes gelten, so dass der Scan als elektronisches Dokument ausreichend sein und kein Ausdruck vorliegen muss (so Stein/Jonas/Chr. Berger, § 592 Rn. 22 aE).

tl;dr: Wird eine Klage im Urkundenprozess im elektronischen Rechtsverkehr eingereicht, ist dem Erfordernis des § 592 Abs. 2 ZPO auch genügt, wenn eine digitale Kopie der Urkunde als elektronisches Dokument eingereicht wird.