Urkundenvorlegung (§ 142 ZPO) und ihre Erzwingung gegenüber Dritten

§ 142 Abs. 1 ZPO ermächtigt das Gericht, auch Dritten gegenüber anzuordnen, dass diese in ihrem Besitz befindliche Urkunden vorzulegen haben. Mit dem dabei – und insbesondere bei der Erzwingung einer solchen Anordnung gem. § 142 Abs. 2 ZPO  – zu beachtenden Verfahren hat sich das OLG Saarbrücken in einem Beschluss vom 22.07.2020 – 5 W 33/20 befasst.

Sachverhalt

Die Klägerin machte gegen die Beklagte Schadensersatzansprüche wegen der Beschädigung eines Industrieofens geltend. Über die Behauptung der Klägerin, die Beklagte habe bei Arbeiten an dem Ofen diese Beschädigung verursacht, holte das Gericht ein Sachverständigengutachten ein. Der Sachverständige kam zu dem Ergebnis, dass diese Frage ohne die Softwarestände und -protokolle des eingesetzten Steuercomputers nicht zu beantworten seien. Diese Protokolle befanden sich (jedenfalls) im Besitz der Streithelferin der Beklagten, einer von ihr mit der Programmierung des Ofens beauftragten Subunternehmerin. Mit Verfügung vom 04.10.2019 gab das Gericht der Streithelferin deshalb auf, diese Protokolle vorzulegen. Dem kam die Streithelferin zunächst nicht nach, und berief sich darauf, die Protokolle habe sie bereits beiden Parteien zur Verfügung gestellt. Nachdem das Gericht auf die Möglichkeit hingewiesen hatte, gem. §§ 142 Abs. 2, 390 Abs. 1 ZPO Ordnungsmittel gegen die Streithelferin zu verhängen, händigte diese schließlich dem Gericht drei USB-Sticks aus, von denen sie behauptete, auf diesen befänden sich die Protokolle. Beide Parteien erklärten in der Folge, sie könnten die Dateien auf dem USB-Stick nicht öffnen. Daraufhin hat das Gericht gegen die Streithelferin ein Ordnungsgeld von 1.000 EUR sowie ersatzweise Ordnungshaft festgesetz. Gegen diesen Beschluss wendet sich die Streithelferin mit ihrer sofortigen Beschwerde, mit der sie erneut geltend macht, dass die Parteien bereits über die Protokolle verfügten; darüber hinaus habe sie mit den vorgelegten USB-Sticks den gerichtlichen Auflagen genügt.

Das Gericht kann gem. § 142 Abs. 1 ZPO den Parteien und Dritten aufgeben, Urkunden vorzulegen, auf die sich eine der Parteien des Rechtsstreits bezogen hat. Kommen die Parteien einer solchen an sie gerichteten Anordnung nicht nach, ist die Vorlage nicht erzwingbar, die Nichtvorlage ist aber im Rahmen der Beweiswürdigung zu berücksichtigen. Die Streithelferin war hier auch nach ihrem Beitritt aber nicht Partei des Rechtsstreits geworden, sondern lediglich Gehilfe der Beklagten (vgl. §§ 67, 74 Abs. 1 ZPO) und damit Dritter. Kommt ein Dritter der gerichtlichen Anordnung nicht nach, unterliegt er gem. § 142 Abs. 2 Satz 2 ZPO denselben Ungehorsamsfolgen wie ein Zeuge, der das Zeugnis verweigert. Auf dieser Grundlage hatte das Gericht gem. § 390 Abs. 1 ZPO Ordnungsmittel gegen die Streithelferin verhängt. Auf die sofortige Beschwerde der Streithelferin war deshalb hier zu prüfen, ob hier die Voraussetzungen dafür vorlagen.

Entscheidung

Das OLG hat den Ordnungsmittelbeschluss aufgehoben, weil dessen Voraussetzungen (noch) nicht vorlägen:

„[Ein Dritter ist] zur Vorlegung nicht verpflichtet, soweit ihm diese nicht zumutbar ist oder er zur Zeugnisverweigerung gemäß den §§ 383 bis 385 berechtigt ist (§ 142 Abs. 2 Satz 1 ZPO…). Aus § 390 Abs. 1 ZPO folgt überdies, dass Ordnungsmittel nur festgesetzt werden können, wenn der Dritte die Vorlage ohne Angabe eines Grundes oder aus einem rechtskräftig für unerheblich erklärten Grund verweigert hat; ob dies der Fall ist, muss ggf. im Rahmen eines Zwischenstreites geklärt werden (…).

Dementsprechend kann auch im Verfahren nach § 142 Abs. 2 ZPO bei einer mit Gründen versehenen Herausgabeverweigerung, deren Begründung nicht von vorneherein völlig abwegig erscheint und deshalb unbeachtlich wäre (…), ein Ordnungsgeld gegen den Dritten nur festgesetzt werden, wenn dieser die Herausgabe aus einem rechtskräftig für unerheblich erklärten Grund weiterhin verweigert (…)

An diesen Voraussetzungen fehlt es hier. Dass die Streithelferin sich grundlos geweigert hätte, die ihr erteilte Auflage zur Vorlage der Protokolle zu erfüllen, kann nicht festgestellt werden.

Bereits die Annahme einer Weigerung als solcher – d.h. einer entsprechenden Willenserklärung – begegnet Bedenken. Zwar hatte die Streithelferin die in der Verfügung des Landgerichts vom 4. Oktober 2019 näher bezeichneten Unterlagen zunächst nicht innerhalb der ihr gesetzten Frist bei Gericht eingereicht, doch hat sie auf die mit Beschluss vom 3. März 2020 erteilte weitere Aufforderung mit Schriftsatz vom 27. März 2020 einen USB-Stick vorgelegt, der nach ihren Angaben die vorhandenen angeforderten Informationen enthalten soll: Dies brachte ohne Rücksicht auf die Frage, ob damit der gerichtlichen Auflage bereits ausreichend entsprochen war, erkennbar ihre Erfüllungsbereitschaft zum Ausdruck und schloss es fortan aus, ihr Verhalten in der Gesamtschau ohne weiteres als „Weigerung“ anzusehen (…).

Hinzu kommt, dass eine etwaige Weigerung auch nicht grundlos erfolgt wäre, wie § 390 Abs. 1 ZPO es voraussetzt, und angeführte Gründe nicht rechtskräftig für unerheblich erklärt wurden. Insoweit kommt es nicht entscheidend darauf an, ob die Streithelferin ausdrücklich die in § 142 Abs. 2 Satz 1 ZPO genannten Verweigerungsgründe bezeichnet hat; denn ausreichend ist, dass der Dritte – hier: die Streithelferin – Umstände vorträgt, die bei verständiger Würdigung erkennen lassen, dass sie die Vorlage – weil unberechtigt angeordnet – für unzumutbar hält (…); soweit dies anders sein kann, wenn die Verpflichtung des Dritten unzweifelhaft ist (…), liegt ein solcher Fall hier nicht vor. Vielmehr verweist die Beschwerde zu Recht auf die schon früh erhobene Behauptung, den Parteien seien sämtliche Softwarestände/-Protokolle und auch der aktuelle Elektroplan der Beklagten nach Sicherung zur Verfügung gestellt worden; denn damit hatte die Streithelferin einen nachvollziehbaren, nicht von vornherein unbeachtlichen Grund für ihre Zurückhaltung bei der Befolgung der gerichtlichen Auflage vorgebracht.

Dass die Parteien das diesbezügliche Vorbringen der Streithelferin in Abrede gestellt haben, ändert daran nichts, weil die Frage, ob ein vorgebrachter und nicht von vornherein völlig abwegiger Grund die Weigerung rechtfertigt, ggf. mit Hilfe von entsprechenden Feststellungen in einem Zwischenstreitverfahren nach § 387 ZPO hätte geklärt werden müssen; das ist hier nicht geschehen.

Dementsprechend fehlte es vorliegend an der rechtlichen Grundlage für die Festsetzung eines Ordnungsgeldes gemäß §§ 142 Abs. 2 Satz 2, 390 Abs. 1 ZPO, so dass auf das Rechtsmittel hin der entsprechende Beschluss aufgehoben werden musste.“

Anmerkung

Die beweisbelastete Klägerin und die Streithelferin müssen also nun zunächst einen Zwischenstreit i.S.d. § 387 ZPO führen, in dem das Gericht – ggf. nach einer Beweisaufnahme – durch Zwischenurteil entscheiden muss, ob die Streithelferin überhaupt verpflichtet war, die Protokolle vorzulegen, oder ob sie dies zu Recht verweigerte, insbesondere weil sie die Unterlagen bereits zur Verfügung gestellt hatte (s. z.B. auch OLG Köln, Beschluss vom 12.12.2003 – 4 W 9/03). Gegen dieses Zwischenurteil steht der Streithelferin bzw. der Klägerin die sofortige Beschwerde offen, § 387 Abs. 3 ZPO. Erst nach Rechtskraft dieses Zwischenurteils darf das Gericht dann einen Ordnungsmittelbeschluss gem. §§ 142 Abs. 2 Satz 2, 390 Abs. 1 ZPO erlassen. Was dabei übrigens auch auffällt: Der Ordnungsgeldrahmen in Art. Artikel 6 Abs. 1 EGStGB (5 bis 1.000 EUR) bedarf wohl einer Überholung;das Ordnungsgeld von maximal 1.000 EUR dürfte zur Erzwingung in vielen Fällen wenig beitragen. So wird erst die im Wiederholungsfall anzuordnende - und an den Organen zu vollstreckende - Erzwingungshaft Erfolg versprechen. (S. dazu auch die die Überblicksbeiträge zu den Unterschieden von Ordnungsmitteln und Zwangsmitteln sowie zu „unwilligen Zeugen“.) tl;dr: Hat das Gericht gemäß § 142 Abs. 2 ZPO die Vorlage von Urkunden oder sonstigen Unterlagen durch einen Dritten angeordnet, so kann ein Ordnungsgeld gegen den Dritten nur festgesetzt werden, wenn vom Dritten vorgebrachte Weigerungsgründe im Rahmen eines Zwischenstreites (§ 387 ZPO) rechtskräftig für unerheblich erklärten worden sind. Anmerkung/Besprechung, OLG Saarbrücken, Beschluss vom 27.07.2020 – 5 W 33/20. Foto: Anna16, OLG und LG Saarbrücken, CC BY-SA 3.0