ZPO-Überblick: Verhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung gem. § 128a ZPO

Die Bedeutung der Verhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung gem. § 128a ZPO wird in den folgenden Wochen und Monaten voraussichtlich erheblich zunehmen, weil die Justizverwaltungen scheinbar dazu übergehen, die Gerichte insoweit (endlich) auszustatten. Auf welche Weise solche Verhandlung (je nach vorhandener Technik) durchgeführt werden können, war hier bereits Thema. Im Rahmen eines weiteren ZPO-Überblicks sollen hier nun die wichtigsten damit verbundenen (Rechts-)Fragen erläutert werden, da gerade die verbreiteten Kommentierungen teils wenig hilfreich (verauflagt oder veraltet) scheinen.

I. Allgemeines

Nach § 128a Abs. 1 ZPO kann das Gericht den Parteien, ihren Bevollmächtigten und Beiständen (und gem. § 185 Abs. 1a GVG auch Dolmetschern) auf Antrag oder von Amts wegen gestatten, sich während einer mündlichen Verhandlung an einem anderen Ort aufzuhalten und dort Verfahrenshandlungen vorzunehmen. Die Verhandlung wird zeitgleich in Bild und Ton an diesen Ort und in das Sitzungszimmer übertragen. Nach Abs. 2 gilt dies – wenn auch nur auf Antrag – entsprechend für Zeugen, Sachverständige oder Parteien während ihrer Vernehmung. Abs. 3 bestimmt, dass die Übertragung nicht aufgezeichnet wird und dass Entscheidungen gem. § 128a ZPO unanfechtbar sind. Entsprechendes gilt im Übrigen gem. § 185 Abs. 1a GVG für Dolmetscher. Besondere Voraussetzungen für eine Verhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung stellt § 128a ZPO daher nicht auf; erforderlich ist lediglich, dass die Verhandlung „zeitgleich in Bild und Ton“ an den „anderen Ort“ und in das Sitzungszimmer übertragen wird. Das schließt eine Verhandlung im Wege einer Telefonkonferenz aus, und zwar auch bei Einverständnis beider Parteien (ebenso Wieczorek/Schütze/Gerken, § 128a Rn. 6; Prütting/Gehrlein/Prütting, § 128a Rn. 4; Schultzky, NJW 2003, 313, 315). Was im Übrigen die Übertragung „der Verhandlung“ heißt, bleibt unklar. Richtigerweise wird es erforderlich sein, dass nicht nur die jeweils sprechende Person an den anderen Ort übertragen wird (z.B. mit einer schwenkbaren Kamera), sondern dass stets sämtliche Personen zu sehen sind. Zulässig ist eine Verhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung in jedem Verfahrensstadium, insbesondere auch für die Güteverhandlung (Anders nur Zöller/Greger, §128a Rn. 2 unter Hinweis auf den Wortlaut; wie hier Stein/Jonas/Kern, §128a Rn. 6). Bei Zeugen, Sachverständigen und Parteien verlangt das Gesetz in Abs. 2 ZPO außerdem, dass diese oder eine der Parteien einen entsprechenden Antrag stellen. Einen solchen Antrag wird das Gericht in geeigneten Fällen aber auch anregen dürfen. Einzuhalten ist außerdem die Öffentlichkeit der Verhandlung gem. § 169 GVG: Es muss daher potentiellen Zuschauern möglich sein, der Verhandlung im Sitzungssaal zu folgen, wobei es nach h.M. ausreicht, dass den Zuschauern die Tonübertragung zugänglich ist, sie also zuhören können (so z.B. Kissel/Mayer, GVG, § 169 Rn. 98; Zöller/Greger, § 128a Rn. 6, Schultzky, NJW 2003, 313, 315; anders ggf. Wieczorek/Schütze/Gerken, § 128a Rn. 8; anders z.B. Bernzen hier im Blog).

II. Ermessensausübung

Die Entscheidung darüber, ob einem oder mehreren Beteiligten gestattet wird, sich an einem anderen Ort aufzuhalten, steht im (pflichtgemäßen) Ermessen des Gerichts, wie sich aus dem Wortlaut von § 128a Abs. 1 und 2 ZPO ergibt. Auch bei einem entsprechenden Antrag eines Prozessbevollmächtigten, eines Zeugen oder eines Sachverständigen besteht daher kein Anspruch darauf, sich an einem „anderen Ort“ aufzuhalten. Allerdings erfordern die Regelungen stets im Einzelfall eine pflichtgemäße Ermessensausübung und erlauben keine „formularmäßige“ Ablehnung oder Gestattung. Im Rahmen der Ermessensausübung ist der ausdrückliche Wille des Gesetzgebers zu berücksichtigen, den Einsatz von Videokonferenztechnik zu fördern (Stein/Jonas/Kern, § 128a Rn. 12, 24). Gegenwärtig wird auch die Infektionsgefahr zu berücksichtigen sein, wenn sich mehrere Personen länger in einem geschlossenen Raum aufhalten. Das muss um so mehr gelten, wenn eine der beteiligten Personen zu den sog. Risikogruppen gehört.

1. (Noch?) Der Regelfall: Fehlende Technik

Einer Teilnahme im Wege der Bild- und Tonübertragung wird es dabei regelmäßig entgegenstehen, wenn (wie noch im Regelfall) die dafür erforderliche Ausstattung im Sitzungssaal nicht vorhanden ist und auch zur Terminszeit nicht in einen entsprechend ausgestatteten Saal ausgewichen werden kann. Dass das Gericht in entsprechenden Fällen einen (Ausweich-)Termin in einem dafür ausgestatteten Saal organisiert und abstimmt, ist zwar wünschenswert. Geschieht dies nicht, ergibt sich daraus aber kein Ermessensfehler.

2. Bei vorhandener Technik

Gerade bei der Vernehmung von Zeugen (oder Parteien) wird es vielfach ganz erheblich auf den persönlichen Eindruck ankommen und eine Vernehmung im Wege der Bild- und Tonübertragung nur selten zweckmäßig sein (mit eher kuriosen Beispielen ebenso Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle/Anders, § 128a Rn. 2). Deswegen bedarf die Ablehnung hier i.d.R. ebenfalls keiner ausführlichen Begründung, auch wenn entsprechende Technik vorhanden ist. Etwas anderes gilt nur in Fällen, in denen auch eine schriftliche Vernehmung gem. § 377 Abs. 3 ZPO in Betracht käme (vgl. MüKoZPO/Fritsche, § 128a Rn. 14; Musielak/Voit/Stadler, § 128a Rn. 7). Ist das persönliche Erscheinen der Partei angeordnet und beabsichtigt das Gericht, diese anzuhören, ergibt sich ein besonderes Spannungsverhältnis wenn die Partei beantragt, sich an einem „anderen Ort“ aufhalten zu dürfen. Denn einerseits ist zu berücksichtigen, dass das Nichterscheinen ohnehin nur sanktioniert werden kann, wenn kein hinreichend instruierter Vertreter erscheint (und sich das Nichterscheinen auswirkt) und dass eine Äußerung der Partei ohnehin nicht erzwungen werden kann. Andererseits wird es bei einer beabsichtigten Anhörung der Parteien – ebenso wie bei Zeugen – ganz erheblich auf den persönlichen Eindruck ankommen (s. nur MüKoZPO/Fritsche, § 128a Rn. 6), so dass die Partei dadurch oftmals ihr Position schwächen wird. Das spricht im Ergebnis dafür, einem solchen Antrag in der Regel zu entsprechen, die Partei aber auf die ggf. für sie negativen Folgen (kein persönlicher Eindruck) hinzuweisen. Anträge von Dolmetschern gem. § 185 Abs. 1a GVG dürften besonders zu prüfen sein. Müssen Aussagen von Parteien oder Zeugen übersetzt werden, ergeben sich daraus schon bei Anwesenheit aller Beteiligter oft erhebliche Friktionen. Diese dürften sich noch erhöhen, wenn der Dolmetscher nicht anwesend ist. Beantragen Parteivertreter oder Sachverständige, sich während der Verhandlung an einem „anderen Ort“ aufhalten zu können (und ist der Saal entsprechend ausgestattet), dürfte das Ermessen allerdings deutlich reduziert sein, so dass solche Anträge nur im Ausnahmefall abgelehnt werden können (ähnlich Wieczorek/Schütze/Gerken, § 128a Rn. 10; Musielak/Voit/Stadler, § 128a Rn. 3, MüKoZPO/Fritsche, § 128a Rn. 6, 13). Gerade angesichts der gegenwärtigen Infektionslage und wenn eine weitere Anreise erforderlich wäre, müssen schon sehr gewichtige Gründe vorliegen, die eine persönliche Anwesenheit erforderlich machen. Dass das Gericht ungern die entsprechende Technik nutzt oder sich damit noch nicht vertraut gemacht hat, wird dabei jedenfalls nicht ausreichen.

III. Inhalt der Entscheidung

Darüber, ob einem Beteiligten gestattet wird, sich während der Verhandlung bzw. Vernehmung an einem anderen Ort aufzuhalten, entscheidet das Gericht in voller Besetzung durch Beschluss (s. nur Stein/Jonas/Kern, §128a Rn. 13; Wieczorek/Schütze/Gerken, § 128a Rn. 4). Die Entscheidung ist für jeden Termin gesondert zu treffen (Wieczorek/Schütze/Gerken, § 128a Rn. 4). In der Entscheidung ist anzugeben, welchen Beteiligten gestattet wird, sich während der Verhandlung an einem anderen Ort aufzuhalten. Problematisch ist insoweit, dass in den meisten Kommentierungen von einer „Anordnung“ die Rede ist. Das ist mindestens missverständlich, kann doch das Gericht nichts anordnen, sondern lediglich „gestatten“. Auch wenn das Gericht einem Beteiligten gem. Abs. 1 oder Abs. 2 gestattet, sich an einem „anderen Ort“ aufzuhalten, steht es diesem selbstverständlich trotzdem frei, persönlich zu erscheinen ( s. nur. Stein/Jonas/Kern, § 128a Rn. 15). Eine Verhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung kann also richtigerweise nicht angeordnet werden, es kann (allen oder einzelnen) Beteiligten lediglich gestattet werden, sich während der Verhandlung oder Vernehmung an einem anderen Ort aufzuhalten. Dass sollte sich auch aus dem Tenor des Beschlusses klar ergeben, um Missverständnisse zu vermeiden. Nach herrschender Meinung ist auch der „andere Ort“ konkret zu bezeichnen (s. z.B. BeckOK-ZPO/von Selle, § 128a Rn. 5, Musielak/Voit/Stadler, § 128a Rn. 9; Zöller/Greger, § 128a Rn. 4). Das mag bei zu vernehmenden Zeugen oder Parteien noch sinnvoll sein, um zu verhindern, dass auf sie Einfluss genommen wird. Hat das Gericht dahingehende Sorgen, dürfte eine Vernehmung im Wege der Bild- und Tonübertragung aber ohnehin wenig zweckmäßig sein. Warum das Gericht Anwälten oder Sachverständigen allerdings vorgeben muss, wo sich diese während der Verhandlung aufzuhalten haben, erschließt sich mir allerdings nicht (bzw. nur bei einem sehr konservativen Verständnis der Vorschrift, das weder im Gesetzestext noch in der Gesetzesbegründung Widerhall findet). Erforderlich ist insoweit m.E. nur, dass der „andere Ort“ einen ordnungsgemäßen Ablauf der Verhandlung nicht erschwert (z.B. durch Hintergrundgeräusche oder Störungen). Erst Recht erscheint es nicht überzeugend, allgemein davon auszugehen, es müsse sich bei dem anderen Ort um einen Gerichtsort i.S.d. § 219 ZPO handeln (so aber allgemein Zöller/Greger, § 128a Rn. 4 und für eine Parteianhörung wohl auch BeckOK-ZPO/von Selle, § 128a Rn. 5, anders zu Recht Musielak/Voit/Stadler, § 128a Rn. 2; Prütting/Gehrlein/Prütting, § 128a Rn. 4; Stein/Jonas/Kern, §128a Rn. 8, 22; Schultzky, NJW 2003, 313, 314). M.E. ist es daher auch zulässig (und gegenwärtig sinnvoll), bei Anwälten und Sachverständigen lediglich zu bestimmen, dass diesen gestattet wird, sich während der Verhandlung/Vernehmung z.B. in ihren Kanzlei-/Büroräumen „oder einem anderen Ort aufzuhalten, der eine störungsfreie Durchführung der Verhandlung/Vernehmung gewährleistet“ (ähnlich wohl Schultzky, NJW 2003, 313, 314). Damit wäre insbesondere auch die gegenwärtig häufig relevante (spontane) Teilnahme aus dem Home-Office möglich.

IV. Durchführung

In der Ladung dürfte der Ort des Gerichts und nicht der "andere Ort" anzugeben sein (so aber Wieczorek/Schütze/Gerken, § 128a Rn. 5; wohl auch Prütting/Gehrlein/Prütting, § 128a Rn. 7). Denn das Gericht kann ja entgegen der verbreiteten Terminologie gerade nicht die Verhandlung/Vernehmung an diesem Ort anordnen oder gar erzwingen (s.o.); die Konzeption des Gesetzes geht vielmehr dahin, dass das Gericht lediglich die Teilnahme von einem anderen Ort aus gestattet. In der Ladung kann zur Klarstellung auf den Beschluss Bezug genommen werden, wenn er schon vorliegt. Bei der Durchführung des Termins ergeben sich wenig Besonderheiten. Es gelten die allgemeinen Vorschriften, z.B. auch § 20 BORA (wovon das Gericht aber – gerade wenn keine „Öffentlichkeit“ anwesend ist und beide Anwälte im Wege der Bild- und Tonübertragung teilnehmen – Ausnahmen sinnvoll sein können). Das Gericht führt ein Protokoll, in dem wegen GKG-KV Ziff. 9019 sinnvollerweise Anfang und Ende der Verhandlung festgehalten werden (vgl. BeckOK-KostR/Klahr, GKG KV 9019, Rn. 11). Aufzunehmen ist außerdem der Ort, von dem die Partei zugeschaltet wird (§ 160 Abs. 1 Ziff. 4 ZPO). Erscheint die Partei weder am Gerichtort noch im Wege der Bild- und Tonübertragung, treten grundsätzlich die allgemeinen Säumnisfolgen (§§ 330, 331 ZPO) ein. Der Erlass eines Versäumnisurteils kommt aber gem. § 337 ZPO nicht in Betracht, wenn die Partei ohne ihr Verschulden am Erscheinen (in Person oder im Wege der Bild- und Tonübertragung) gehindert ist. Hier dürften insbesondere technische Probleme relevant werden, die einen Aufbau der Verbindung verhindern. Deshalb dürfte es sich in aller Regel anbieten, ein Versäumnisurteil nicht im Termin zu verkünden, sondern in einem gesonderten Verkündungstermin, um der abwesenden Partei zu ermöglichen, die technischen Probleme zu erläutern. Im Rahmen des „Verschuldens“ i.S.d. § 337 ZPO darf dabei kein besonderes technisches Wissen zur Lösung etwaiger Probleme vorausgesetzt werden. Hat das Gericht den begründeten Eindruck, die Partei habe die technischen Probleme nur vorgeschoben, um das Verfahren zu verzögern, wird es dies bei der Ausübung des in § 128a Abs. 1 ZPO eingeräumten Ermessens bei einem Folgetermin berücksichtigen können. S. zur Säumnis ausführlich auch diesen Beitrag. Erscheint ein Zeuge oder ein Sachverständiger nicht, kommt ebenfalls grundsätzlich die Verhängung von Ordnungsmitteln in Betracht. Auch hier wird das Gericht aber Gelegenheit zur Stellungnahme geben müssen und gerade bei technischen Problemen keine besonderen technischen Kenntnisse voraussetzen dürfen. Ggf. muss dann der Zeuge oder Sachverständige in einem Folgetermin persönlich erscheinen.
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