Rechtsmittel gegen abgelehnte Teilnahme im Wege der Bild- und Tonübertragung?

Mit dem Sozialschutz-Paket II hat der Gesetzgeber die Vorschriften zur Verhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung im ArbGG und SGG von einer Kann-Vorschrift in eine Soll-Vorschrift „verschärft“ (s. §§ 114 Abs. 3 ArbGG, 211 Abs. 3 SGG), soweit eine epidemische Lage von nationaler Tragweite vorliegt. Das LAG Düsseldorf hat sich nun mit Beschluss vom 02.07.2020 – 4 Ta 200/20 mit der Frage befasst, ob diese Änderung dazu führt, dass die Ablehnung einer solchen Teilnahme - anders als in § 128a ZPO - mit der sofortigen Beschwerde angefochten werden kann.

Sachverhalt

Die Klägerin in einem Kündigungsschutzprozess beantragte, sich während des auf den 09.07.2020 anberaumten Gütetermins gem. § 114 Abs. 3 Satz 1 ArbGG zu gestatten, sich in den Kanzleiräumen ihrer Prozessbevollmächtigten in Hamburg aufzuhalten. Dazu verwies sie auf die zu diesem Zeitpunkt sehr hohe Zahl an Covid19-Neuinfektionen in den nahe gelegenen Kreisen Gütersloh und Warendorf. Das Arbeitsgericht wies den Antrag zurück und verwies auf die vorhandenen Schutzmaßnahmen sowie darauf, dass die dafür erforderliche Technik nicht zur Verfügung stehe. Dagegen wendet sich die Klägerin mit der sofortigen Beschwerde.

Für § 128a ZPO ist in dessen Abs. 3 Satz 2 ausdrücklich klargestellt, dass Entscheidungen darüber, einem Beteiligten die Teilnahme im Wege der Bild- und Tonübertragung zu gestatten oder nicht zu gestatten unanfechtbar sind. § 128a ZPO entsprechende und teilweise weiter gehende Regelung finden sich in §§ 114 ArbGG und in § 211 SGG. Dort ist nicht ausdrücklich geregelt, ob die Entscheidungen anfechtbar sind. Hier hatte das Arbeitsgerichts Düsseldorf einen solchen Antrag gem. § 114 Abs. 3 Satz 1 ArbGG zurückgewiesen. Im Rahmen der dagegen gerichteten Sofortigen Beschwerde war daher darüber zu entscheiden, ob die sofortige Beschwerde gem. § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthaft oder entsprechend § 128a Abs. 3 Satz 2 ZPO unstatthaft war.

Entscheidung

Das LAG hat die sofortige Beschwerde für unzulässig gehalten und verworfen:

„Gegen die angegriffene Entscheidung des Arbeitsgerichts ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.

Gemäß § 567 Abs. 1 ZPO findet die sofortige Beschwerde statt, wenn dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist (Nr. 1) oder es sich um solche, eine mündliche Verhandlung nicht erfordernde Entscheidungen handelt, durch die ein das Verfahren betreffendes Gesuch zurückgewiesen worden ist (Nr. 2).

a. Eine ausdrückliche Bestimmung gemäß § 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO liegt nicht vor. Sie fand sich lediglich in § 114 Abs. 2 Satz 3 eines Referenten-Entwurfs des Bundesarbeitsministeriums zum Covid-19 ArbGG/SGG-AnpassungsG (…) und hat in die Gesetzesfassung keinen Eingang gefunden.

b. Die sofortige Beschwerde ist aber grundsätzlich gemäß § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthaft, da die Entscheidung des Arbeitsgerichts gemäß § 114 Abs. 3 ArbGG eine mündliche Verhandlung nicht erforderte und ein das Verfahren betreffendes Gesuch, nämlich auf Gestattung der Wahrnehmung des Termins an einem anderen Ort bei zeitgleicher Bild- und Tonübertragung, zurückgewiesen hat.

Gleichwohl ist die sofortige Beschwerde unstatthaft. Denn sie ist abweichend von der allgemeinen Regelung in § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO gemäß § 128a Abs. 3 Satz 2 ZPO ausdrücklich ausgeschlossen.

aa. (...) Die Unanfechtbarkeit der Entscheidungen gemäß § 128a Abs. 3 Satz 2 ArbGG und § 110a Abs. 3 Satz 2 SGG umfasst sowohl die stattgebende als auch die abweisende Entscheidung, wie in den Gesetzesmaterialien ausdrücklich vermerkt ist (…). Etwaige aus einer fehlerhaften Ermessensausübung des Prozessgerichts folgende Verletzungen von Verfahrensrechten können nach herrschender Auffassung mit dem Rechtsmittel in der Hauptsache geltend gemacht werden (…).

bb. Der Ausschluss des Rechtsmittels gilt auch für die Pandemie-Sonderregelungen in § 114 Abs. 3 ArbGG und § 211 Abs. 3 SGG.

(1) Die bis zu 31.12.2020 befristet geltenden Pandemie-Sonderregelungen für die Arbeitsgerichtsbarkeit (§ 114 ArbGG) und die Sozialgerichtsbarkeit (§ 211 SGG) knüpfen an die vorgenannten Bestimmungen zur Verhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung an. In den Absätzen 1 und 2 werden ausdrücklich „von § 128a ZPO abweichende“ Regelungen für ehrenamtliche Richter (Abs. 1) sowie für die Abstimmung und Entscheidung eines Spruchkörpers (Abs. 2) getroffen. Dagegen regelt § 114 Abs. 3 ArbGG einen Sonderfall des § 128a Abs. 1 ZPO und schränkt insoweit das Ermessen des Gerichts ein. Danach „soll“ das Gericht den Parteien ihren Bevollmächtigten und Beiständen bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach § 5 Abs. 1 S. 1 Infektionsschutzgesetzes „im Falle des § 128 a der Zivilprozessordnung“ von Amts wegen gestatten, sich während einer mündlichen Verhandlung an einem anderen Ort aufzuhalten und von dort im Wege der zeitgleichen Bild- und Tonübertragung Verfahrenshandlungen vorzunehmen. Der Wortlaut fügt die Pandemie-Sonderregelung mit den Worten „im Falle des § 128a der Zivilprozessordnung“ als besonders geregelten Fall ausdrücklich in die dortige allgemeine Regelung ein. Dies gilt in gleicher Weise für § 211 Abs. 3 SGG, der auf § 110a SGG verweist („im Falle des § 110a“).

(2)Während somit in § 114 ArbGG und § 211 SGG jeweils in Abs. 1 und 2 „Abweichendes“ zu § 128a ZPO bzw. § 110a SGG geregelt wird, fügen sich die jeweiligen Regelungen in Abs. 3 ausdrücklich in die allgemeinen Regelungen von § 128a ZPO und § 110a SGG ein. Damit gelten diese auch für die Pandemie-Sonderregelung, soweit dort nicht Besonderes geregelt ist. Aus diesem Grund gilt für die in § 114 Abs. 3 ArbGG und § 211 Abs. 3 SGG geregelte pandemiebedingte Wahrnehmung der Verhandlung von einem anderen Ort aus im Wege der zeitgleichen Bild- und Tonübertragung auch die gesetzliche Anordnung aus § 128a Abs. 3 ZPO und § 110a Abs. 3 SGG, dass die Übertragung nicht aufgezeichnet wird (Satz 1) und Entscheidungen über die Gestattung unanfechtbar sind (Satz 2). Die etwas unübersichtliche Regelungstechnik des Gesetzes führt insoweit zu einer beschränkten Rechtsfolgenverweisung.

(3) Für diese Auslegung spricht ferner der sehr ähnliche Regelungsgegenstand der Normen. Gründe für eine unterschiedliche Gestaltung der Rechtmittelgewährung sind nicht ersichtlich. In Anbetracht der klaren Regelung zu § 128a Abs. 3 ZPO und § 110a Abs. 3 SGG hätte zudem ein abweichender Wille des Gesetzgebers im Pandemie-Sondergesetz oder zumindest im Gesetzgebungsverfahren Niederschlag finden müssen.

Die Auslegung ist auch deshalb zwingend, weil sonst kein Aufzeichnungsverbot für die Übertragung der Verhandlung zu den Parteien und ihren Bevollmächtigten und Beständen bestünde. In § 114 Abs. 1 Satz 3 ArbGG und § 211 Abs. 1 Satz 3 SGG ist ein solches nur für die Bild- und Tonübertragung an ehrenamtlichen Richter statuiert und in den jeweiligen Absätzen 2 für die Beratung und Entscheidung der Spruchkörper. Ein Aufzeichnungsverbot ist indessen auch für die Verhandlung aus datenschutzrechtlichen Gründen unabweisbar geboten.“

Anmerkung

Die Entscheidung ist – soweit ersichtlich – die erste obergerichtliche Entscheidung zu der Neuregelung in § 114 ArbGG (und mittelbar damit auch zu § 211 SGG) und gleich aus mehreren Gründen interessant. Schon die zugrunde liegende Entscheidung des ArbG Düsseldorf (Beschluss vom 25.06.20209 Ca 3273/20) erscheint alles andere als zweifelsfrei, soweit das Gericht seine Entscheidung im Wesentlichen auf die fehlende technische Ausstattung stützt. Gerade im Anwendungsbereich der im Zuge der Corona-Pandemie neu gefassten bzw. eingefügten §§ 114 ArbGG, 211 SGG scheint es nämlich sehr zweifelhaft, dass der Zustand der technischen Ausstattung tatsächlich für die Ermessensausübung maßgeblich sein kann. Denn ausweislich der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 19/18966, passim und insbesondere S. 30-32) ging es dem Gesetzgeber darum, aus Gründen des Gesundheitsschutzes die Nutzung von Videokonferenztechnik im Anwendungsbereich des ArbGG und SGG zu fördern. Mit dieser Zielsetzung scheint es jedoch kaum zu vereinbaren, könnten die Gerichtsverwaltungen diese eindeutige gesetzgeberische Wertentscheidung unterlaufen, indem sie die dafür notwendige und längst überfällige (und mit überschaubarem finanziellem Aufwand zu beschaffende) Ausstattung unterließen. (Der Gesetzgeber unterlag außerdem wohl einem Irrtum, was die erforderliche Ausstattung der Gerichte und deren tatsächlichen Zustand angeht , wie sich aus BT-Drucks. 19/18966 S. 28 ergibt). Jedenfalls im Bereich der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit spricht daher sehr viel für eine Pflicht der Gerichtsverwaltungen, die technischen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die eindeutige gesetzgeberische Wertung in §§ 114 ArbGG, 211 SGG auch umgesetzt werden kann. Besteht aber eine solche Ausstattungspflicht (s. zu § 128a ZPO auch BeckOK-ZPO/von Selle, 38. Ed. 09/20, § 128a Rn. 2.2), kann die tatsächliche Ausstattung für die Ermessensauübung kaum relevant sein (s. dazu Windau, NJW 2020, 2753, Rn. 19, ebenso BeckOK-ZPO/von Selle, § 128a Rn. 5). Außerdem scheint mir – trotz der sehr sorgfältigen Begründung der Entscheidung – auch nicht zweifelsfrei, dass ein (ablehnender) Beschluss gem. § 114 ArbGG (bzw. § 211 SGG) tatsächlich nicht der Anfechtung unterliegt. Gerade die Umkehrung des Regel-/Ausnahme-Verhältnisses und der erklärte Zweck des Gesetzgebers, die Nutzung von Videokonferenztechnik zu fördern, scheinen eher ein beredtes Schweigen des Gesetzgebers nahe zu legen. Und das Argument der fehlenden Verweisung auf § 128a Abs. 3 Satz 1 ZPO und des ansonsten fehlenden Verbots einer Aufzeichnung ist kaum überzeugend. Denn einerseits hat der Gesetzgeber dies – nicht aber die (Un-)Anfechtbarkeit – ausdrücklich im Rahmen der Begründung klarstellt (BT-Drucks. 19/18966 S. 30). Und andererseits hat er es in § 211 Abs. 3 Satz 3 SGG ausdrücklich geregelt (was das LAG wohl übersieht). Dass die Frage der Anfechtbarkeit für das ArbGG und das SGG unterschiedlich regeln wollte, wird man kaum annehmen können. Und zuletzt: Selbst wenn man davon ausgeht, dass Entscheidungen nach §§ 114 ArbGG, 211 SGG ebenso wie gem. § 128a ZPO unanfechtbar sind, heißt dies nach h.M. nicht, dass die entsprechende Entscheidungen jeder gerichtlichen Kontrolle entzogen wären, denn sie sind zusammen mit der Endentscheidung zu überprüfen, soweit sie sich darauf ausgewirkt haben (s. z.B. MünchKommZPO/Fritsche, 6. Aufl. 2020, § 128a Rn. 17; Musielak/Voit/Stadler, ZPO, 17. Aufl. 2020, § 128a Rn. 9; BeckOGK/Leopold, Stand 1.9.2019, SGG § 110a Rn. 38, MKLS/B. Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 110a Rn. 16, anders aber BeckOK-ZPO/von Selle, § 128a Rn. 15). Ergeht z.B. gegen eine Partei ein zweites Versäumnisurteil (§§ 345 ZPO, 59 Satz 2 ArbGG), kann eine Partei sich zur Begründung des fehlenden Verschuldens (§ 514 Abs. 2 Satz 1, § 64 Abs. 2 lit. d) ArbGG) darauf berufen, ihrem Antrag auf Teilnahme im Wege der Bild- und Tonübertragung hätte stattgegeben werden müssen. Entsprechendes muss gelten, wenn gegen eine Sachverständige oder einen Zeugen ein Ordnungsmittelbeschluss gem. § 380 ZPO ergeht, obwohl diesen bei zutreffender Ermessensausübung zu gestatten gewesen wäre, im Wege der Bild- und Tonübertragung teilzunehmen. tl;dr: Die gerichtliche Anordnung oder Versagung einer Verhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung im Falle einer Pandemie gem. § 114 ArbGG (ebenso § 211 SGG) ist nicht anfechtbar. (Leitsatz des Gerichts) Anmerkung/Besprechung, LAG Düsseldorf, Beschluss vom 02.07.2020 – 4 Ta 200/20. Foto: Balthasar Schmitt artist QS:P170,Q805651 User:WaugsbergJustitia Justizpalast MuenchenCC BY-SA 3.0