Verlust des Ablehnungsrechts durch rügelose Einlassung – Auch bei Sachverständigen?

Eine interessante Entscheidung zum Ablehnungsverfahren gegen Sachverständige ist der Beschluss des OLG Bamberg vom 02.05.2016 – 4 W 38/16.

Darin geht es um die Frage, ob die Regelung des § 43 ZPO auf die Ablehnung eines Sachverständigen entsprechend anwendbar ist und wann diese Regelung ggf. zum Verlust des Ablehnungsrechts führt.

Sachverhalt

Der Kläger begehrte von dem Beklagten Schadensersatz nach einer ärztlichen Behandlung mit der Begründung, der Beklagte habe eine Lendenwirbelfraktur übersehen. Das Landgericht holte ein schriftliches Sachverständigengutachten ein und hörte den Sachverständigen ergänzend an. Innerhalb der auf die Anhörung hin eingeräumten Frist zur Stellungnahme zum Ergebnis der Beweisaufnahme lehnte der Kläger den Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Dies begründete er damit, dass die Ausführungen des Sachverständigen gegen Denkgesetze verstießen und sich der Sachverständige mit seinen Ausführungen in der Anhörung in Widerspruch zu seinen schriftlichen Ausführungen gesetzt habe.

Das Landgericht wies das Ablehnungsgesuch als unzulässig zurück, da der Kläger in Kenntnis der Ablehnungsgründe einen Sachantrag gestellt habe, sein Ablehnungsgesuch sei daher entsprechend § 43 ZPO unzulässig.

Nicht nur Richter, sondern auch Sachverständige können gem. §§ 406 Abs. 1 Satz 1, 42 Abs. 1 und 2 ZPO wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden. Grund dafür ist, dass der Sachverständige „Gehilfe“ des Richters ist und als solcher ebenfalls unparteiisch sein muss.

Das Ablehnungsgesuch muss die Partei gem. § 406 Abs. 2 Ziff. 1 ZPO grundsätzlich binnen zwei Wochen nach Zustellung des Bestellungsbeschlusses anbringen. Danach ist eine Ablehnung nur noch möglich, wenn die Partei glaubhaft macht, von dem Ablehnungsgrund erst nachträglich erfahren zu haben und das Ablehnungsgesuch unverzüglich (§ 121 ZPO) nach Kenntnis „anbringt“.

Das Landgericht hatte das Ablehnungsgesuch hier unter Berufung auf § 43 ZPO für verspätet gehalten. Denn der Kläger hatte, nachdem der Sachverständige sein Gutachten erstattet hatte, zur Sache verhandelt. Und nach Ansicht des Landgerichts hatte der Kläger damit das Recht verloren. 

Entscheidung

Das OLG hält den Ablehnungsantrag für zulässig, das Gesuch sei insbesondere fristgerecht eingelegt worden:

„a) Gemäß § 406 Abs. 2 S. 1 ZPO ist ein Ablehnungsantrag spätestens binnen zwei Wochen nach Zustellung des Beschlusses über die Ernennung des Sachverständigen zu stellen.

Eine spätere Ablehnung ist gemäß § 406 Abs. 2 S. 2 ZPO nur dann zulässig, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass er ohne sein Verschulden gehindert war, den Ablehnungsgrund früher geltend zu machen. Nach einhelliger Auffassung ist in diesem Fall der Antrag entsprechend § 121 BGB unverzüglich nach Kenntnis von dem Ablehnungsgrund zu stellen […]. Der Ablehnungsantrag ist innerhalb einer den Umständen des Einzelfalles angepassten Überlegungsfrist anzubringen […].

Nach mittlerweile gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung ist bei der Prüfung, ob ein fristgerechtes Gesuch vorliegt, auch der Rechtsgedanke des § 43 ZPO zu berücksichtigen. Hieraus wird abgeleitet, dass eine Partei ihr Recht zur Ablehnung des Sachverständigen verliert, wenn sie nach Abschluss der Anhörung des Sachverständigen Sachanträge stellt, ohne die ihr zu diesem Zeitpunkt bereits bekannten Ablehnungsgründe geltend zu machen […]. Diese Auffassung hat in der Literatur überwiegend Zustimmung gefunden […], wobei zum Teil eine entsprechende Anwendung von § 43 ZPO nicht für erforderlich erachtet wird, um zu einem Verlust des Rügerechts zu gelangen […].

b) Der Senat schließt sich der Rechtsauffassung an, dass bei der Prüfung der Rechtzeitigkeit eines Ablehnungsgesuchs nach § 406 Abs. 2 S. 2 ZPO eine entsprechende Anwendung des § 43 ZPO geboten ist.

Dies führt allerdings nicht dazu, dass Ablehnungsgesuche nach rügelosem Verhandeln zur Sache schematisch als unzulässig zurückgewiesen werden dürfen. Denn umfasst von einem Verlust des Ablehnungsrechts sind lediglich die der Partei bekannten Ablehnungsgründe. Solche können gegeben sein, wenn sie sich auf das Verhalten des Gutachters beziehen (etwa abfällige Äußerungen über Einwendungen der Partei oder über andere Gutachter, vgl. OLG Köln, Beschluss vom 21.12.2008, 5 W 58/08 - Bezeichnung von Parteivortrag als „frech“) oder wenn Umstände über die Nähe des Sachverständigen zu einem Prozessbeteiligten bekannt werden.

Davon zu unterscheiden sind jedoch die Fälle, in denen ein Ablehnungsgrund erst nach sorgfältiger Prüfung der Ausführungen des Sachverständigen zu erkennen ist. Dies betrifft etwa Fälle, in denen ein Sachverständiger sich zu Fragen außerhalb seines Fachgebiets äußert. Hier kann von einer Partei nicht erwartet werden, unmittelbar nach der Anhörung eine Entscheidung über eine Ablehnung des Sachverständigen zu treffen.

Es ist daher für jeden einzelnen Ablehnungsgrund zu prüfen, ob die Partei ihr Ablehnungsrecht dadurch verloren hat, dass sie sich nach der Anhörung des Sachverständigen rügelos zur Sache eingelassen hat. Ein Verlust des Rechts wird nur dann nicht gegeben sein, wenn die Partei Gründe geltend macht, die eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Gutachten erfordern.

c) Im vorliegenden Fall hat der Kläger sein Ablehnungsgesuch auf den Inhalt der Ausführungen des Sachverständigen gestützt. […] Es kann an dieser Stelle dahinstehen, ob diese Rügen überhaupt grundsätzlich geeignet sind, eine Besorgnis der Befangenheit zu begründen. Gleichwohl erfordert ihr Erkennen eine Auseinandersetzung mit dem Inhalt der mündlichen Äußerungen, dem schriftlichen Gutachten und dem vorliegenden Prozessstoff, die nicht in wenigen Minuten im Rahmen einer mündlichen Verhandlung bewerkstelligt werden kann. […]

Nachdem im vorliegenden Fall eine Frist zur Stellungnahme zum Ergebnis der Beweisaufnahme bis 05.04.2016 gesetzt worden war und das Ablehnungsgesuch bereits am 24.03.2016, also noch innerhalb von zwei Wochen nach der Anhörung des Sachverständigen, einging, kann von einer schuldhaften Verzögerung durch den Kläger nicht ausgegangen werden.“

Dem Kläger nutzte das allerdings wenig, weil das OLG das Ablehnungsgesuch für unbegründet hält. Denn:

„Inhaltliche Mängel des Gutachtens oder mangelnde Sorgfalt begründen die Besorgnis der Befangenheit jedoch nicht, weil beides nicht die Unparteilichkeit des Sachverständigen betrifft […]. Der mangelnden Sorgfalt oder Sachkunde sehen sich beide Parteien ausgesetzt […]. Anhaltspunkte für eine auffällige Häufung von Fehlern zum Nachteil des Klägers bestehen nicht.“

Anmerkung

Ob es für das Ergebnis (Differenzierung nach bekannten und (zunächst) unbekannten Ablehnungsgründen) eine entsprechende Anwendung von § 43 ZPO tatsächlich braucht, erscheint mir zweifelhaft. Denn wenn der Ablehnungsgrund der Partei bekannt ist (beispielsweise eine abfällige Äußerung in der mündlichen Verhandlung) und die Partei trotzdem zur Sache verhandelt, dürfte die Ablehnung nicht unverzüglich i.S.d. § 121 BGB und damit ohnehin verspätet sein (ähnlich auch OLG Hamm, Beschluss vom 28.07.2015 - 9 U 160/13). Der genannten Entscheidung des OLG Hamm lässt sich übrigens auch entnehmen, wie man als Anwalt zweckmäßigerweise vorgehen kann, um eine Verspätung des Ablehnungsgesuchs zu vermeiden: Indem man die Gewährung einer Schriftsatzfrist beantragt.

Entgegen teilweise vertretener Ansicht (s. z.B. hier) gilt § 43 ZPO übrigens bei der Ablehnung von Richtern nicht, wenn die ablehnende Partei weiter verhandelt, nachdem sie das Ablehnungsgesuch angebracht hat. Das ergibt sich eindeutig aus der gesetzlichen Regelung in § 47 Abs. 2 ZPO (richtig deshalb hier).

tl;dr: Die Ablehnung eines Sachverständigen ist unzulässig, wenn die Partei zur Sache verhandelt oder Anträge stellt, ohne einen ihr bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen.

Anmerkung/Besprechung, OLG Bamberg, Beschluss vom 02.05.2016 – 4 W 38/16. Foto:  Tilman2007, Bamberg, Wilhelmsplatz 1 von Südwesten, 20150925-002, CC BY-SA 3.0