Kann der „anderer Ort“ i.S.d. § 128a Abs. 1 ZPO auch im Ausland sein?

Können Parteien oder ihre Prozessbevollmächtigten sich während einer Teilnahme im Wege der Bild- und Tonübertragung (§ 128a ZPO) auch im Ausland aufhalten? Diese Frage stellt sich angesichts der gegenwärtigen Corona-Pandemie und der damit verbundenen Reisebeschränkungen immer wieder; sie wird aber voraussichtlich auch darüber hinaus relevant bleiben.

Stand der Diskussion

Nach der in der Literatur ganz herrschenden Ansicht ist die Möglichkeit einer Teilnahme im Wege der Bild- und Tonübertragung gem. § 128a Abs. 1 ZPO auf Beteiligte im Inland beschränkt (s. nur Stein/Jonas/Kern, § 128a Rn. 35; Schultzky, NJW 2003, 313, 314 f.; Duve/Schoch, AnwBl 2017, 240, jeweils unter Bezugnahme auf Schaumburg, ZRP 2002, 313, 315; Irskens, BJ 2020, 281, 282; Reuß, JZ 2020, 1135, 1136; offener Sturm/Schulz, ZRP 2019, 71, 74 und Majer, COVuR 2021, 11, 13). Soweit sich für diese Ansicht eine Begründung findet, so wird überwiegend darauf verwiesen, dass die Durchführung mündlicher Verhandlungen hoheitliches Handeln sei; nehme eine Partei oder ihr Prozessbevollmächtigter aus dem Ausland teil, werde damit hoheitliche Tätigkeit auf fremdem Territorium ausgeübt (so Schaumburg, ZRP 2002, 313, 315; Schultzky, NJW 2003, 313, 314 f.; Socha, FamRZ 2020, 731, 732). Teilweise wird auch darauf abgestellt, dass sich durch die Teilnahme aus dem Ausland inländische Hoheitsakte unzulässigerweise unmittelbar im Ausland auswirkten (so ausdrücklich Schultzky, NJW 2003, 313, 314 f.). Rechtsprechung zu dieser Frage fehlt. Die Arbeitsgruppe Modernisierung des Zivilprozesses schließt sich in ihrem Diskussionspapier dieser Ansicht aber an und fordert eine Regelung auf EU-Ebene, die eine Videokonferenzverhandlung mit Beteiligten im Ausland ermöglicht. Auch die Arbeitsgruppe führt zur Begründung aus, „die Videokonferenz mit einem sich im Ausland aufhaltenden Beteiligten berührt die territoriale Souveränität des ausländischen Staates. § 128a ZPO befasst sich dementsprechend nicht mit der internationalen Videoverhandlung. Er schafft keine Rechtsgrundlage für die Zuschaltung eines Prozessbeteiligten, der sich während der Verhandlung im Ausland befindet.“

Ein näherer Blick

Diese Ansicht und die dafür angeführten Begründungen überzeugen bei näherem Hinsehen allerdings nicht. Das gilt zunächst für die Begründung, es werde durch die Teilnahme aus dem Ausland hoheitliche Gewalt im Ausland ausgeübt. Das scheint mit dem Regelungskonzept des § 128a ZPO kaum zu vereinbaren, den allein durch die Bild- und Tonübertragung eines Beteiligten aus dem Ausland findet die Verhandlung nicht etwa im Ausland statt (anders selbstverständlich, wenn sich das Gericht selbst im Ausland aufhält). Auch wenn der missverständliche Wortlaut des § 128a Abs. 1 Satz 2 ZPO etwas Abweichendes nahelegen mag: Der „andere Ort“ wird durch die Bild- und Tonübertragung nicht zu einer Gerichtsstelle oder einem Terminsort i.S.d. § 219 Abs. 1 ZPO (s. jüngst LAG Düsseldorf, Beschluss vom 13.01.2021 – 12 Sa 453/20 Rn. 92 f., ebenso schon BeckOK-ZPO/Jaspersen, § 219 Rn. 2a; Bork, AnwBl. 2021, 30, 34). Die Gerichtsverhandlung findet vielmehr auch bei einer Teilnahme im Wege der Bild- und Tonübertragung allein im Gerichtssaal (im Inland) statt (s. nur Prütting/Gehrlein/Prütting, § 128a Rn. 3; Gehrlein, ZMR 2020, 257, 263), es wird lediglich die persönliche Anwesenheit im Gerichtssaal durch die Bild- und Tonübertragung in den Gerichtssaal ersetzt (so treffend Balke/Liebscher/Helwig, AnwBl. 2020, 366, 367; ähnlich auch LAG Düsseldorf, Beschluss vom 13.01.2021 – 12 Sa 453/20 Rn. 93). Die Teilnahme der Parteien und ihrer Prozessbevollmächtigten aus dem Ausland führt auch nicht zu unzulässigen völkerrechtlichen Auswirkungen im Ausland. Dass das innerstaatliche Handeln des Gerichts im Rahmen einer der Dispositionsmaxime unterliegenden (Zivil-)Verhandlung allein aufgrund der Bild- und Tonübertragung gem. § 128a ZPO unmittelbare hoheitlichen Wirkungen im Ausland zeitigt, ist nicht ersichtlich. Das muss jedenfalls dann gelten, wenn das Gericht darauf verzichtet, gegen die Partei Ordnungsmittel zu verhängen – was aber ohnehin kaum praktisch relevant sein dürfte. Soweit sich durch eine Teilnahme aus dem Ausland die deutsche (hoheitliche) Gerichtsgewalt mittelbar im Ausland auswirkt, ist allgemein anerkannt, dass das Handeln deutscher Gerichte solche mittelbare Auswirkungen im Ausland haben kann: So kann ein Gericht das persönliche Erscheinen einer im Ausland ansässigen Partei anordnen und den Verstoß jedenfalls durch prozessuale Nachteile ahnden (s. nur Wieczorek/Schütze/Ahrens, 4. Aufl. 2014, § 363 Rn 103) und es kann die Partei auch verurteilen, im Ausland eine Handlung vorzunehmen oder zu unterlassen und den Verstoß dagegen sanktionieren (vgl. BGH, Urteil vom 09.04.1986 – IVb ZR 27/85). Die darin liegende mittelbare Beeinträchtigung der territorialen Integrität anderer Staaten findet ihre Rechtfertigung in den Regelungen zur internationalen Zuständigkeit und der sich daraus ergebenden Gerichtsbarkeit über die Parteien (ausf. Bertele, Souveränität und Verfahrensrecht, 1998, S. 221). Die Interessen der Parteien (nicht aber von Zeugen oder Sachverständigen) sind bereits abstrakt im Rahmen der die internationale Zuständigkeit begründenden Regelungen hinreichend berücksichtigt. Soweit dann durch die Ausübung dieser Gerichtsgewalt mittelbar die territoriale Integrität des Aufenthaltsstaats beeinträchtigt wird, ist dies Ausfluss der dem deutschen Gericht zugewiesenen internationalen Zuständigkeit und der damit einhergehenden Gerichtsbarkeit über die Partei. In der Teilnahme im Wege der Bild- und Tonübertragung wird man dann keinen (zusätzlichen) Eingriff in die territoriale Integrität des Aufenthaltsstaats sehen können. Es wäre auch kaum zu erklären, warum ein deutsches Gericht eine ausländische Partei verurteilen kann, im Ausland eine Handlung vorzunehmen oder zu unterlassen, die Partei aber nicht aus demselben Ausland an der Verhandlung teilnehmen könnte, um auf diese Entscheidung Einfluss zu nehmen. Hinzu kommt, dass die Teilnahme im Wege der Bild- und Tonübertragung im Regelfall freiwillig ist und es der Partei und ihrem Prozessbevollmächtigten unbenommen bleibt, im Gerichtssaal zu erscheinen und dort zu verhandeln (statt vieler Mantz/Spoenle, MDR 2020, 637, 639). Die Rechte der Partei, der die Möglichkeit eingeräumt wird, aus dem Ausland teilzunehmen, werden dadurch also im Regelfall erweitert und nicht eingeschränkt. Entsprechendes gilt für die an einer Anreise gehinderte Partei, wenn man davon ausgeht, dass eine Verhinderung der Partei nicht stets einen erheblichen Grund i.S.d. § 227 Abs. 1 ZPO darstellt (s. nur Prütting/Gehrlein/Kazele, § 227 Rn. 5). Gerade innerhalb der EU spricht für dieses Ergebnis auch Art. 8 Abs. 1 EuGFVO, der für das europäische Bagatellverfahren bestimmt, dass eine Verhandlung im Regelfall per Videokonferenz stattfindet. Da das Verfahren nach der EuGFVO gem. Art. 2 Abs. 1 EuGFVO nur bei grenzüberschreitendem Bezug statthaft ist, setzt der europäische Gesetzgeber damit die Möglichkeit einer grenzüberschreitenden Verhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung offensichtlich voraus.

Besonderheiten bei Parteianhörung gem. § 141 ZPO

Etwas anderes muss allerdings gelten, wenn das Gericht Parteien gem. § 141 ZPO im Wege der Bild- und Tonübertragung persönlich anhören will, um auf den Inhalt dieser Anhörung jedenfalls teilweise seine Überzeugung zu stützen (vgl. auch Art. 8 Abs. 1 Satz 2 EuGFVO). Denn die beabsichtigte Anhörung ist eine justizielle Informationsbeschaffungsmaßnahme und entfaltet als solche unmittelbare Auswirkungen im Aufenthaltsstaat. Sie fällt daher nach herrschender Ansicht unter den Begriff der Beweisaufnahme im Sinne der EuBVO und HBÜ und ist nur unter deren Voraussetzungen zulässig (s. nur Geimer/Schütze/Knöfel, Art. 1 EuBVO Rn. 38, Art. 1 HBÜ Rn. 26; Coester-Waltjen, ZZP 1+13 (2000) 284; Frank, FuR 2020, 331, 333). Praktische Probleme kann hier allerdings die Abgrenzung zwischen bloßer Teilnahme und Anhörung bereiten: Was ist beispielsweise, wenn eine Partei sich gem. § 137 Abs. 4 ZPO zu Wort meldet? Dann wird es auch zulässig sein, wenn das Gericht Nachfragen stellt. Maßgeblich für die Abgrenzung muss das Gesamtgepräge der Verfahrensgestaltung sein: Nur wenn das Gericht von Beginn an auf eine Informationsgewinnung abzielt, sind die jeweiligen völkerrechtlichen Regelungen zu beachten. Aus der Zulässigkeit der Parteianhörung im Ausland unter Einhaltung der völkerrechtlichen Regelungen ergibt sich im Übrigen ein weiteres Argument für die Zulässigkeit einer bloßen Teilnahme aus dem Ausland: Kann das Gericht die Parteien auch im Ausland anhören, dann wäre es geradezu absurd, wenn die Partei lediglich im Rahmen ihrer Anhörung „zugeschaltet“ werden, der Verhandlung im Übrigen aber nicht beiwohnen dürfte.

Fazit

Entgegen der in der Literatur fast einhellig vertretenen Ansicht kann das Prozessgericht den Parteien und ihren Prozessbevollmächtigten gem. § 128a Abs. 1 ZPO auch gestatten, aus dem Ausland an einer Verhandlung eines deutschen Gerichts im Wege der Bild- und Tonübertragung teilzunehmen. Etwas anderes gilt lediglich dann, wenn das Gericht die im Ausland aufhältige Partei gem. § 141 ZPO anhören will. Dies ist nur im Rahmen der jeweiligen völkerrechtlichen Regelungen zulässig. S. dazu Windau, jM 2021, 178 ff.


Der Beitrag basiert auf einem ausführlicheren Aufsatz der in der Maiausgabe der juristischen Monatsschrift erschienen ist (jM 2021, 178 ff.). Darin geht es auch im die Frage, wann eine grenzüberschreitende Beweisaufnahme im Wege der Bild- und Tonübertragung zulässig ist und wie eine solche umgesetzt werden kann.


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