Warum eine „simsende“ Richterin nicht allein deshalb befangen ist

Ich habe länger überlegt, ob ich zu dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 17.06.2015 – 2 StR 228/14 über eine in der (strafrechtlichen) Hauptverhandlung „simsenden“ Richterin etwas schreiben soll.

Aber die die Begründung enthält keine strafprozessualen Besonderheiten, sondern nimmt für sich in Anspruch, allgemeine verfahrensrechtliche Grundsätze aufzustellen. Und die dort aufgestellten Grundsätze halte ich für dogmatisch wenig überzeugend und die Entscheidung insgesamt für ziemlich lebensfremd.

Sachverhalt

Eine beisitzende Richterin einer Strafkammer war wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt worden, weil sie während der Vernehmung eines Zeugen „über einen Zeitraum von etwa zehn Minuten mehrfach“ ihr Mobiltelefon bedient habe. In ihrer dienstlichen Erklärung führte die Richterin aus, die Sitzung habe deutlich länger gedauert, als erwartet. Sie habe einen (stummen) Anruf von zu Hause mit einer vorgefertigten SMS des Inhalts „Bin in Sitzung“ beantwortet; eine weitere dringende SMS-Anfrage bezüglich der weiteren Betreuung der Kinder habe sie „binnen Sekunden“ beantwortet.

Das Landgericht wies den Ablehnungsantrag als unbegründet zurück.

Entscheidung

Auf die Revision der Angeklagten hin hob der 2. Strafsenat das Urteil auf und begründete seine Entscheidung wie folgt:

„Angesichts der Tatsache, dass es die beisitzende Richterin wegen der erwarteten Überschreitung der Sitzungszeit mit vorgefertigter SMS offensichtlich von vornherein darauf angelegt hat, aktiv in der Hauptverhandlung in privaten Angelegenheiten nach außen zu kommunizieren, kommt es entgegen der Auffassung im ablehnenden Beschluss des Landgerichts auch nicht darauf an, ob deswegen die Aufmerksamkeit der Richterin erheblich reduziert gewesen sei.

Denn die beisitzende Richterin hat sich während der Zeugenvernehmung durch eine mit der Sache nicht im Zusammenhang stehende private Tätigkeit nicht nur gezielt abgelenkt und dadurch ihre Fähigkeit beeinträchtigt, der Verhandlung in allen wesentlichen Teilen zuverlässig in sich aufzunehmen und zu würdigen; sie hat damit auch zu erkennen gegeben, dass sie bereit ist, in laufender Hauptverhandlung Telekommunikation im privaten Bereich zu betreiben und dieses über die ihr obliegenden dienstlichen Pflichten zu stellen.

Von kurzfristigen Abgelenktheiten, wie sie während einer länger andauernden Hauptverhandlung auftreten können, unterscheidet sich dieser Fall dadurch, dass eine von vornherein über den Verhandlungszusammenhang hinausreichende externe Telekommunikation unternommen wird; eine solche ist mit einer hinreichenden Zuwendung und Aufmerksamkeit für den Verhandlungsinhalt unvereinbar.“

Anmerkung

Das ist eine (für einen BGH-Senat) erstaunlich schwache Begründung. Die Richterin hatte sich erkennbar vorbereitet und sicherstellt, dass die Verhandlung auch dann möglichst ungestört stattfinden kann, wenn sie sich länger hinzieht, als zunächst absehbar. Genau diese Umsicht soll aber nach Ansicht des zweiten Strafsenats nun die Befürchtung begründen, die Richterin hätte sich „mangels uneingeschränkten Interesses an der dem Kernbereich richterlicher Tätigkeit unterfallender Beweisaufnahme auf ein bestimmtes Ergebnis festgelegt“. Das überzeugt mich nicht so wirklich.

Hinzu kommt, dass sich mir nicht erschließt, warum man sich durch kurzfristige Unaufmerksamkeit auf ein Ergebnis der Beweisaufnahme zu Lasten der Angeklagten festlegt. Warum nicht auf einen Freispruch?

Insgesamt drängt sich m.E. der Eindruck auf, man habe einer allgemeinen Empörung nach dem Motto „SMS aus der Hauptverhandlung – das geht gar nicht..." Ausdruck verleihen wollen. Dafür dürften - sofern erforderlich - die Mittel der Dienstaufsicht statthaft und geeigneter sein. Tatsächliches oder vermeintliches richterliches Fehlverhalten mit den Mitteln der Richterablehnung zu sanktionieren, erscheint mir weder juristisch überzeugend noch interessengerecht.

Und zuletzt: Ein wenig mehr Verständnis für die Lebenswirklichkeit junger RichterInnen, die Beruf und Kinder(-betreuung) organisieren müssen, hätte der Entscheidung – neben einer überzeugenden Begründung – vielleicht auch nicht geschadet.

Bild: Gilles Lambert | unsplash.com | CC0