Wiedereinsetzungsfrist nach PKH-Ablehnung: Zwei Wochen – und einige Tage Bedenkzeit

Stellt eine Partei innerhalb der Berufungsfrist einen mit vollständigen Unterlagen versehenen Prozesskostenhilfeantrag, versäumt sie i.d.R. ohne Verschulden die Berufungseinlegungsfrist. Wird ihr Prozesskostenhilfe bewilligt, ist ihr daher Wiedereinsetzung zu gewähren, wenn sie die Berufung innerhalb der Zweiwochenfrist des § 234 Abs. 1 ZPO einlegt. Wird der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurückgewiesen, kommen zu diesen zwei Wochen noch einige Tage Bedenkzeit hinzu, wie der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 30.05.2017 – VIII ZB 54/16 nochmals klargestellt hat.
Sachverhalt
Der Beklagte war vom Amtsgericht zur Räumung der von ihm bewohnten Wohnung verurteilt worden, das Urteil wurde ihm am 01.03.2016 zugestellt. Innerhalb der Berufungseinlegungsfrist reichte der Beklagte beim Berufungsgericht einen (vollständigen) Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts ein. Mit Beschluss vom 26.04.2016, der dem Beklagtenvertreter am 30.04.2016, einem Samstag, zugestellt wurde, wies das Landgericht den PKH-Antrag zurück. Mit beim Landgericht am 18.05.2016 eingegangenem Schriftsatz legte der Beklagte Berufung ein und beantragte, ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Das Landgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen, da dieser nicht in der Zweiwochenfrist des § 234 Abs. 1 ZPO eingelegt worden sei, und die Berufung deshalb als unzulässig verworfen. Dagegen wendet sich der Beklagte mit der Rechtsbeschwerde.

Der Beklagte hatte hier mit seiner am 18.05.2016 eingelegten Berufung die Berufungseinlegungsfrist (§ 517) offensichtlich versäumt, da er erst am 18.05.2016 Berufung eingelegt hatte, die Berufungseinlegungsfrist aber schon am 01.04.2016 abgelaufen war. Allerdings hatte er innerhalb der Berufungseinlegungsfrist einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) gestellt. Prozesskostenhilfe gem. §§ 114 ZPO ist eine besondere Form der Sozialhilfe, die auch armen Personen Zugang zu gerichtlichem Rechtsschutz eröffnen soll; wird dem PKH-Gesuch stattgegeben, werden keine Gerichtskosten erhoben und die Kosten eines beigeordneten Anwalts werden von der Landeskasse übernommen (§ 122 ZPO). Voraussetzung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist, dass die Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und die Rechtsverfolgung oder -verteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Hier hatte das Berufungsgericht das PKH-Gesuch zurückgewiesen, weil die Berufung seiner Ansicht nach keine Aussicht auf Erfolg hatte (§ 114 Abs. 1 ZPO). Nach der Rechtsprechung des BGH war deshalb davon auszugehen, dass der Beklagte bis zur Zurückweisung des PKH-Gesuchs ohne Verschulden daran gehindert war die Berufung einzulegen (denn für seine Mittellosigkeit kann der Beklagte ja nichts). Ihm wäre daher Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen gewesen, wenn er binnen zwei Wochen nach Zustellung Berufung eingelegt hätte (das kann er selbstverständlich auch ohne dass ihm dafür Prozesskostenhilfe bewilligt wurde, er muss dann aber die Kosten selber tragen, wenn er unterliegt). Hier waren aber seit der Zustellung des Beschlusses mehr als zwei Wochen vergangen, weshalb das Landgericht den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen hatte.
Entscheidung
Der BGH hat dem Beklagten Wiedereinsetzung in die Berufungseinlegungsfrist gewährt:

„a) Eine Partei, die – wie hier die Beklagte für die Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts – um Prozesskostenhilfe für ein beabsichtigtes Rechtsmittel nachsucht, ist bei noch laufendem Prozesskostenhilfeverfahren schuldlos verhindert, die Rechtsmittelfrist einzuhalten, wenn sie Anlass hat, auf die Bewilligung der Prozesskostenhilfe zu vertrauen. Dieses Hindernis entfällt mit der Entscheidung über das Gesuch.

Für den – hier gegebenen – Fall, dass die beantragte Prozesskostenhilfe nach dem Ablauf der Rechtsmittelfrist verweigert wird, bleibt der Partei nach der Bekanntgabe der Entscheidung noch eine kurze Frist von (höchstens) drei bis vier Tagen für die Überlegung, ob sie das Rechtsmittel auf eigene Kosten durchführen will. Erst dann beginnt die zweiwöchige Frist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO für das Wiedereinsetzungsgesuch und die damit zu verbindende Einlegung des Rechtsmittels […].

b) Mit dem Lauf der genannten Überlegungsfrist hat sich das Berufungsgericht rechtsfehlerhaft nicht in der durch die vorliegende Fallgestaltung gebotenen Weise befasst. Vor allem lässt seine Entscheidung nicht, zumindest nicht hinreichend sicher erkennen, ob es […] überhaupt von der Anwendbarkeit einer zusätzlichen Überlegungsfrist ausgehen wollte, oder ob es für den von ihm mit dem 17. Mai 2016 angenommenen Fristablauf allein auf die zweiwöchige Frist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO abgestellt hat, die gemäß § 222 Abs. 1, 2 ZPO, § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB an diesem Tage geendet hätte. […]

c) Der Lauf der der zweiwöchigen Wiedereinsetzungsfrist vorgeschalteten Überlegungsfrist hat zwar, da § 193 BGB und § 222 Abs. 2 ZPO auf den Fristbeginn keine Anwendung finden […], bereits am 1. Mai 2016 begonnen.

Allerdings ist es im Streitfall wegen der besonderen Umstände, die neben einer Zustellung des die Prozesskostenhilfe versagenden Beschlusses am Wochenende durch eine außergewöhnliche Häufung von Feier- und Brückentagen und die damit typischerweise verbundenen Erschwernisse hinsichtlich einer effektiven Einholung von Rat zur weiteren Vorgehensweise geprägt sind, geboten, der Beklagten zur Wahrung einer ihren Interessen gerecht werdenden Überlegungsmöglichkeit eine viertägige Frist zuzubilligen.

Dementsprechend hat der Lauf der Wiedereinsetzungsfrist gemäß § 222 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 2 BGB erst am 5. Mai 2016, dem Himmelfahrtstag, begonnen und gemäß § 222 Abs. 1 ZPO, § 188 Abs. 2 Alt. 2 BGB mit Ablauf des 18. Mai 2016 geendet, so dass die an diesem Tage zusammen mit dem Wiedereinsetzungsantrag eingegangene Berufungsschrift der Klägerin die nach § 234 Abs. 1 Satz 1, § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO vorgeschriebenen Fristen gewahrt hat.“

Anmerkung
Dass dem Rechtsmittelführer nach der Zurückweisung des PKH-Gesuchs eine Bedenkzeit von drei bis vier Tagen zuzubilligen ist, entspricht übrigens der ständigen Rechtsprechung des BGH und anderer oberster Bundesgerichte (s. nur BGH, Beschluss vom 20. 1. 2009 – VIII ZA 21/08; BAG, Beschluss vom 3.7.2013, 2 AZN 250/13). Warum der Senat das trotzdem so ausführlich begründet – ja sich geradezu rechtfertigt! – erschließt sich mir nicht. Für die Praxis ist in diesem Zusammenhang sehr wichtig, dass Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur zu gewähren ist, wenn die Partei „vernünftigerweise nicht mit der Verweigerung der Prozesskostenhilfe wegen nicht hinreichend nachgewiesener Bedürftigkeit rechnen musste“ (s. nur jüngst BGH, Beschluss vom 18.08.2015 - VI ZA 13/15). Das setzt insbesondere voraus, dass das PKH-Gesuch vollständig ist (vollständige Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse einschließlich der erforderlichen Belege), was in der Praxis eher die Ausnahme als die Regel ist. So scheint beispielsweise der weit verbreitete Irrtum nicht auszurotten zu sein, dass ein Leistungsbescheid SGB II die Bedürftigkeit ausreichend belegt (das ist gem. § 2 Abs. 2 PKHFV nur bei Bescheiden nach dem SGB XII der Fall). Ach ja: Und ob man tatsächlich vertrauen sollte, dass man eine viertägige Bedenkzeit zugestanden bekommt, erscheint mir fraglich. tl;dr: Wird ein innerhalb der Rechtsmittelfrist gestelltes PKH-Gesuch zurückgewiesen, beginnt die zweiwöchige Frist des § 234 Abs. 1 ZPO erst nach Ablauf einer Überlegungszeit von höchstens drei bis vier Tagen. Anmerkung/Besprechung, BGH, Beschluss vom 30.05.2017 – VIII ZB 54/16. Foto: TSteg | German Wikipedia | Karlsruhe Erbgroßherzogliches PalaisCC BY 2.0