Wortprotokoll im Zivilprozess?

Warum gibt es in Zivilsachen eigentlich (in aller Regel) kein Wortprotokoll, gerade bei Beweisaufnahmen? Diese Frage ist nicht neu, sie wird aber vermutlich in nächster Zeit vermehrt gestellt werden. Der Gesetzgeber könnte hier mit einer geringen Änderung unter Umständen viel bewirken.

Der status quo

Protokolle über Beweisaufnahmen in Zivilsachen sind nicht selten von objektiv eher mäßiger Aussagekraft. Zwar finden sich im Protokoll – anders als in Protokollen in Strafsachen vor dem Landgericht – immerhin Angaben zum Inhalt der Aussage. Im Protokoll festgehalten ist jedoch nicht diese Aussage selbst, sondern was die Vorsitzende verstanden hat, für wichtig hält und als „Vorsitzendendiktat“ aufnimmt. Nicht nur, weil dies eine immense Konzentrationsleistung erfordert (fragen, zuhören, schreiben/merken, wiedergeben), wird die Aussage dabei fast immer zusammengefasst, paraphrasiert, teilweise sogar in indirekter Rede wiedergegeben oder in anderer Form (unabsichtlich) inhaltlich verändert. Der genaue Wortlaut der an die Beweisperson gerichteten Fragen wird ohnehin nur in den seltensten Fällen ins Protokoll aufgenommen. Diese Form der Protokollierung führt nicht nur immer wieder – und in vielen Fällen nachvollziehbar – zu Diskussionen über den Inhalt der Aussage. Sie ist auch der Wahrheitsfindung nur eingeschränkt dienlich (s. dazu ausführlich Natter/Mohn/Hablitzel, NJOZ 2013, 1041, 1043 f.). Denn eine Zeugenaussage ist nur dann ordnungsgemäß nach den Regeln der Aussageanalyse zu untersuchen, wenn sie tatsächlich in ihrem Wortlaut festgehalten ist und der Verlauf der Aussage, Veränderungen des Aussageinhalts und beispielsweide die genaue Formulierung von Fragen und die Reaktion der Beweisperson auf diese Fragen nachvollziehbar ist. Dass sich die Parteien heute teilweise damit behelfen (müssen), Stenografen mit in den Sitzungssaal zu bringen (so Diekmann, NJW 2021, 605 Rn. 12), trägt zum Ansehen der Justiz eher wenig bei. Ähnliches gilt im Übrigen für die Vernehmung von Sachverständigen: Die Aussage eines Sachverständigen wird oftmals von schon aufgrund eines berufsbedingt eingeschränkten technischen Verständnisses des Gerichts den Inhalt der Ausführungen des Sachverständigen nur eingeschränkt wiedergeben. Soweit sich die Praxis hier teilweise damit behilft, dem Sachverständigen das Diktiergerät zu übergeben, scheint dies jedenfalls keine ideale Lösung. Dabei steht die geltende Rechtslage einem Wortprotokoll nicht entgegen, ganz im Gegenteil: Die ZPO ermöglicht bereits seit den 1970er Jahren, die Aussage einer Beweisperson mitzuschneiden (und auf dieser Grundlage sodann ein Wortprotokoll zu erstellen). Dies wird in § 160a ZPO als „unmittelbare Aufzeichnung“ bezeichnet (s. dazu ausführlich Natter/Mohn/Hablitzel, NJOZ 2013, 1041, f.).

Bereits überwundene Hindernisse

Eine solche unmittelbare Aufzeichnung ist in der Vergangenheit in den meisten Fällen allerdings daran gescheitert, dass es in den Sitzungssälen an der für eine solche Aufzeichnung erforderlichen Technik fehlte: Soll der Inhalt einer Beweisaufnahme tatsächlich unmittelbar aufgezeichnet werden, erfordert dies ein oder mehrere Mikrofone, die in der Lage sind, sowohl die Fragen des Gerichts und der Parteien als auch die Antworten der Beweisperson in ausreichend guter Qualität auf ein Speichermedium aufzunehmen. Diese Ausstattung war in der Vergangenheit in den wenigsten Sitzungssälen vorhanden, sie fehlt nach wie vor oft. Mit der zunehmenden Verbreitung der Verhandlung und Vernehmung im Wege der Bild-und Tonübertragung (§ 128a ZPO), dürfte sich dies aber ändern. Nehmen – wie es heute oft aus technischen Gründen der Regelfall ist – an einer solchen Verhandlung sämtliche Beteiligte (mit Ausnahme des Gerichts) von einem anderen Ort aus teil, ist es technisch unproblematisch möglich, den Inhalt der Vernehmung unmittelbar aufzuzeichnen i.S.d. § 160a ZPO (Spoenle, RDi 2021, 231 Rn. 13 ff.). Die Regelung in § 128a Abs. 3 Satz 1 ZPO steht eine Aufzeichnung der Tonübertragung nicht entgegen. Im Zuge der immer weiteren Verbreitung von Verhandlungen im Wege der Bild und Tonübertragung ist jedoch auch festzustellen, dass – von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich – immer mehr Sitzungssälen auch für hybride Verhandlungslösung ausgestattet werden. Dazu werden die Sitzungssäle mit Mikrofonen ausgestattet, die eine Übertragung der Verhandlung im Saal an den anderen Ort ermöglichen und auf diese Weise gleichzeitig auch ausreichen werden, um eine unmittelbare Aufzeichnung zu erstellen.

Verbleibende Hindernisse

Trotzdem wird ein Wortprotokoll auf Grundlage der geltenden gesetzlichen Regelungen vermutlich dauerhaft an der Ausstattung der Gerichte scheitern. Allerdings nicht mehr im Wesentlichen an der technischen Ausstattung, sondern vor allem an der personellen Ausstattung. Denn § 160a Abs. 2 Satz 3 ZPO regelt, dass der Inhalt einer Zeugen-oder Sachverständigenvernehmung zwar nicht in jedem Fall in das schriftliche Protokoll aufzunehmen ist. Dies wird aber erforderlich, wenn entweder eine Partei oder aber das Rechtsmittelgericht dies verlangt. Den Gerichten werden jedoch kaum jemals genügend Schreibkräfte zur Verfügung stehen, um solche in der Regel äußerst umfangreichen Protokolle zu transkribieren. Auch die inzwischen in den meisten Gerichten vorhandene Spracherkennungs – bzw. Diktiersoftware hilft insoweit nur eingeschränkt. Sie lässt de lege lata nicht das Erfordernis entfallen, dass der Urkundsbeamter der Geschäftsstelle und die Vorsitzende Gewähr für die Richtigkeit der Transkription übernehmen (vgl. § 163 Abs. 1 ZPO). Das macht stets eine besonders sorgfältige Lektüre des Protokolls erforderlich, die erfahrungsgemäß bei Wortprotokollen besonders mühsam und zeitaufwendig ist und bei Transkriptionen durch eine Diktiersoftware oft besondere Aufmerksamkeit erfordert, um versteckte Fehler zu erkennen. Problematisch ist damit im Ergebnis nach wie vor das Erfordernis, die Tonaufzeichnung in ein schriftliches Protokoll zu überführen, weil die Gerichte den dafür erforderlichen Aufwand nicht leisten können und deshalb vertretbar von einem Wortprotokoll absehen werden (ebenso Diekmann, NJW 2021, 605 Rn. 12).

Lösungsansätze

Eine mögliche Lösung dieses Problems ist allerdings im Gesetz bereits angelegt: § 160a Abs. 2 Satz 4 ZPO bestimmt, dass eine Transkription der Aufzeichnung nicht erforderlich ist, wenn zugleich das „wesentliche Ergebnis der Aussagen“ vorläufig aufgezeichnet wurde (praktisch also das wesentliche Ergebnis der Aussage ins Vorsitzendendiktat aufgenommen wurde). Das scheint allerdings nur wenig praktikabel, wird doch über dieses „wesentliche Ergebnis der Aussagen“ häufig erbittert gestritten werden, wenn die Parteien – was oft genug in der Natur der Sache liegt – die Aussage der Beweisperson unterschiedlich verstanden haben. Der hinter dieser Regelung stehen der Gedanke ist jedoch richtig: Es soll nicht auf den Inhalt des schriftlichen Protokolls, sondern auf den Inhalt der Aufzeichnung ankommen. Führt man diesen Gedanken fort, liegt es nahe, auch auf das „wesentliche Ergebnis der Aussage“ im Vorsitzendendiktat zu verzichten. Stattdessen sollte allein die Aufzeichnung der Aussage in Dateiform ausreichen, die dazu den Parteien zur Verfügung gestellt wird, und auf die das schriftliche Protokoll Bezug nimmt. Steht den Parteien diese Aufzeichnung zur Verfügung, arbeiten alle Beteiligte des Rechtsstreits im Ergebnis mit dieser Aufzeichnung, anhand derer auch bestimmte Teile der Aussage unproblematisch aufzufinden sind. Dem Gericht und den Parteien ist es unbenommen, hiervon mit einer Diktiersoftware eine „Arbeitstranskription“ zu erstellen, sollte dies die Arbeit erleichtern. Eine solche Lösung gibt die geltende Rechtslage allerdings noch nicht her. Zwar können die Parteien wirksam auf eine Transkription verzichten, diese bleibt jedoch erforderlich, wenn das Rechtsmittelgericht sie anfordert. Der Gesetzgeber müsste deshalb die Regelung in § 160 Abs. 2 Satz 4 ZPO dahingehend ändern, dass eine Ergänzung des Protokolls auch dann nicht erforderlich ist, wenn den Parteien eine Aufzeichnung der Aussage in digitaler Form zugänglich gemacht wird. Und der Gesetzgeber müsste vermutlich noch an einer weiteren Stelle tätig werden. Denn nach der bislang ganz herrschenden Ansicht soll es aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes der Beweisperson unzulässig sein, die Aufzeichnung (jedenfalls ohne Zustimmung der Beteiligten) zu vervielfältigen, um diese den Parteien zugänglich zu machen. Diese sollen vielmehr darauf verwiesen sein, die Aufzeichnung auf der Geschäftsstelle anzuhören (vgl. zuletzt OLG Stuttgart, Beschluss vom 8.4.2021, 19 W 11/21, ebenso MünchKommZPO/Fritsche, § 160a Rn. 9 ff.; Zöller/Schultzky, § 160a Rn. 10, ähnlich Natter/Mohn/Hablitzel, NJOZ 2013, 1041, 1045). Da dies wenig praktikabel und zeitgemäß erscheint, müsste der Gesetzgeber klarstellen, dass den Parteien im Rahmen ihres Akteneinsichtsrechts auch die unmittelbare Aufzeichnung einer Beweisaufnahme in Dateiform zugänglich zu machen ist. Sofern der Gesetzgeber hier einen Missbrauch befürchtet, liegt es nahe, eine unbefugte Zugänglichmachung, Verbreitung oder Veröffentlichung unter Strafe zu stellen.

Ergänzender Reformbedarf

Sollte der Gesetzgeber die Nutzung der im vorherigen Abschnitt vorgeschlagenen Möglichkeiten forcieren wollen, läge es außerdem nahe, hier die Position der Parteien zu stärken. So wäre es beispielsweise denkbar, dass das Gericht auf Antrag einer Partei Aussage der Beweisperson unmittelbar aufzeichnen soll und auf einen übereinstimmenden Antrag der Parteien eine solche Aussage unmittelbar aufzeichnen muss. Der Wahrheitsfindung dienlich wäre es außerdem vermutlich, würde in diesem Zusammenhang die Regelung in § 128a Abs. 3 Satz 1 ZPO aufgehoben und stattdessen klargestellt, dass bzw. wann das Gericht die Aussage einer Beweisperson auch in Videoform aufzeichnen darf. Das wäre nicht nur für die Würdigung von Zeugenaussagen hilfreich, sondern auch bei technisch komplexen Sachverständigengutachten, wenn dessen Visualisierung ebenfalls später nachvollziehbar wären (s. ausf. Spoenle, RDi 2021, 231 Rn. 21 ff.) Eine solche Änderung des Prozessrechts könnte auf Seiten der Länder außerdem ein Anlass sein, die Akteneinsichtsportale zu einem „JustizDrive“ auszubauen, über den nicht nur Parteien und Sachverständigen Einsicht in die elektronische Akte und Aufzeichnungen von Beweisaufnahme gewährt werden kann, sondern über den die Parteien beispielsweise auch Dateien in dem Gericht und den weiteren Beteiligten zugänglich machen könnten, sei es für Beweiszwecke oder sei es zur Konkretisierung eines Antrages (s. dazu Mantz, RDi 2021, 284).


Der Beitrag beruht auf einem Vortrag für den Hamburg Litigation Stammtisch am 01.07.2021.


Foto: Bundesarchiv, Bild 183-2005-0731-504 / CC-BY-SA 3.0, Bundesarchiv Bild 183-2005-0731-504, Westzonen, Diktiergerät "Dimafon", CC BY-SA 3.0 DE