Verblassende Erinnerung als drohender Beweismittelverlust i.S.d. § 485 ZPO?
Entscheidung
Das OLG hat den Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens sowie die dagegen gerichtete Gegenvorstellung zurückgewiesen:„Die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts folgt im Hinblick auf das unter gleichem Aktenzeichen anhängige Hauptsacheverfahren aus § 486 Abs. 1 ZPO.
Der Antrag (…) auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens war jedoch als unzulässig zurückzuweisen, da die Voraussetzungen des § 485 ZPO nicht vorliegen.
Da vorliegend ein Hauptsacheverfahren bereits anhängig ist, bemisst sich die Zulässigkeit des Beweissicherungsverfahrens nicht nach § 485 Abs. 2 ZPO, sondern nach § 485 Abs. 1 ZPO. Danach kann während oder außerhalb eines Streitverfahrens auf Antrag einer Partei die Einnahme des Augenscheins, die Vernehmung von Zeugen oder die Begutachtung durch einen Sachverständigen angeordnet werden, wenn der Gegner zustimmt oder zu besorgen ist, dass das Beweismittel verloren geht oder seine Benutzung erschwert wird.
Die Beklagte hat der Durchführung des Beweissicherungsverfahrens nicht zugestimmt, sondern dieser (…) sogar ausdrücklich widersprochen.
Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass die Besorgnis des Verlusts eines Beweismittels besteht oder seine Benutzung erschwert werden könnte. (…)
Soweit der Kläger geltend macht, die für die Behandlungsdokumentationen geltenden Aufbewahrungsfristen nach § 630f Abs. 3 BGB stünden vor ihrem Ablauf, ergibt sich hieraus entsprechendes nicht. Denn dem Kläger ist es – wie dieser selbst erkannt hat – ohne weiteres möglich, in Ausübung der ihm zustehenden Rechte nach § 630g BGB vor Ablauf der Aufbewahrungsfristen – sofern diese nicht bereits abgelaufen sind – Einsicht in die Behandlungsdokumentationen zu nehmen und – sofern eine Aushändigung nicht möglich ist – Abschriften zu verlangen.
Eine im Rahmen von § 485 Abs. 1 ZPO relevante Beeinträchtigung des Erinnerungsvermögens des Zeugen P. ist ebenfalls nicht zu besorgen. Das Erinnerungsvermögen von Zeugen mag regelmäßig abnehmen, je weiter das den Gegenstand der Befragung ausmachende Geschehen zurückliegt. Dieser Umstand liegt aber in der Natur einer jeden Zeugenbefragung und ist nicht geeignet, die besonderen Voraussetzungen für die Durchführung eines Beweissicherungsverfahrens zu begründen. Vorliegend gilt dies umso mehr, als es dem Zeugen unbenommen wäre, eine etwa verblassende Erinnerung durch Einblick in die Behandlungsdokumentation aufzufrischen.“
„Die von dem Kläger (…) in Bezug genommene Behandlungsdokumentation mag im Übrigen zwar knapp gehalten sein, erscheint zur Auffrischung der Erinnerung des Zeugen aber keineswegs ungeeignet. Selbst wenn der Zeuge in absehbarer Zeit in den Ruhestand treten sollte, führt dies nicht zur Beeinträchtigung der Möglichkeit, diesen – sofern die rechtlichen Voraussetzungen vorliegen – als Zeugen zu vernehmen.“