(Keine) Vernehmung eines voraussichtlich unergiebigen Zeugen?
Entscheidung
Der V. Zivilsenat hat das Urteil – wenig überraschend – gem. § 544 Abs. 7 ZPO a.F. (jetzt § 544 Abs. 9 ZPO) aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.„1. Das Berufungsgericht hätte nicht davon absehen dürfen, den Zeugen S. über den Inhalt des von ihm erstellten Gutachtens zur Erforderlichkeit der Balkonsanierung zu vernehmen.
a) Ein Gericht verletzt das Verfahrensgrundrecht der Parteien aus Art. 103 Abs. 1 GG, wenn es ein erhebliches Beweisangebot nicht berücksichtigt und dies im Prozessrecht keine Stütze findet (…). Zwar kann ein erhebliches Beweisangebot außer Acht bleiben, wenn das Beweismittel ungeeignet ist, weil es im Einzelfall zur Beweisbehauptung erkennbar keine sachdienlichen Ergebnisse erbringen kann (…).
Bei der Zurückweisung eines Beweismittels als ungeeignet ist aber größte Zurückhaltung geboten; es muss jede Möglichkeit ausgeschlossen sein, dass der übergangene Beweisantrag Sachdienliches ergeben könnte (…). Insbesondere kommt eine Ablehnung eines Beweisantrags als ungeeignet nicht in Betracht, wenn dadurch ein noch nicht erhobener Beweis vorab gewürdigt wird, weil dies eine unzulässige Beweisantizipation darstellt (…).
b) Nach diesen Maßstäben durfte das Berufungsgericht von der Vernehmung des Zeugen S. nicht absehen. Die Klägerin hat diesen Zeugen zum Beweis dafür angeboten, dass er dringenden Sanierungsbedarf an den Balkonen festgestellt und eine „umfassende Betonsanierung nach DIN 18349“ für erforderlich gehalten hat. Selbst wenn der Zeuge S., wovon das Berufungsgericht ausgeht, in seiner E-Mail vom 7. November 2014 erklärt hätte, keine Angaben mehr zu dem Inhalt seines Gutachtens machen zu können, wäre er nicht als untaugliches Beweismittel anzusehen.
Von der Vernehmung eines Zeugen darf nicht deshalb abgesehen werden, weil dieser außergerichtlich erklärt hat, sich an den unter Beweis gestellten Vorgang nicht zu erinnern. Eine solche Erklärung lässt es nicht als ausgeschlossen erscheinen, dass die Beweiserhebung Sachdienliches ergeben kann. Die Erinnerung eines Zeugen kann im Rahmen seiner Vernehmung durch den Richter wiederkehren, insbesondere wenn der Zeuge sich selbst ausreichend vorbereitet (vgl. § 378 ZPO) und ihm zur Auffrischung seines Gedächtnisses Unterlagen aus der Zeit des Vorgangs, Lichtbilder u.ä. vorgelegt werden. Es widerspräche zudem den Grundgedanken der Regelungen über die Pflicht des Zeugen, vor Gericht zu erscheinen und auszusagen (vgl. §§ 380, 390 ZPO), wenn ein Zeuge damit rechnen könnte, dass die schlichte Erklärung - noch dazu per E-Mail -, sich nicht zu erinnern, dazu führt, dass das Gericht auf seine Ladung verzichtet.
c) Überdies hat der Zeuge, wie die Beschwerde zutreffend geltend macht, in seiner E-Mail vom 7. November 2014 nicht erklärt, keine Angaben mehr zu dem Inhalt seines Gutachtens machen zu können. Der Zeuge teilt zwar mit, dass er in Deutschland und im Ausland hunderte von Projekten betreut habe und sich nicht im Einzelnen bzw. an alle Einzelheiten erinnern könne. Weiter heißt es in der E-Mail aber, der Zeuge werde demnächst wieder für einige Monate in Deutschland sein und sich „das Projekt“ dann einmal ansehen. Gerne werde er dann alle Informationen, die er habe und an die er sich erinnere, mitteilen.
Der Zeuge hat also keineswegs von vornherein ausgeschlossen, sich an die Vorgänge aus dem Jahr 2000 bzw. 2001 zu erinnern, wenn seine Erinnerung durch Anschauung der Wohneigentumsanlage aufgefrischt wird.
2. Diese Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf rechtliches Gehör ist entscheidungserheblich.
a) Das Berufungsgericht durfte den Beweisantrag nicht als neues Angriffsmittel nach § 531 Abs. 2 ZPO zurückweisen, denn die Klägerin hat ihn bereits in erster Instanz gestellt. Dass die Klägerin in zweiter Instanz ergänzend mitgeteilt hat, Herr S. könne sich sehr wohl daran erinnern, dass eine komplette Betonsanierung des großen Wohnobjekts erforderlich gewesen sei, macht den Beweisantrag nicht zu einem neuen Angriffsmittel. Weder wird hiermit neuer Sachvortrag gehalten noch ein neuer bzw. anderer Beweisantrag gestellt als in erster Instanz. Die Klägerin hat mit diesen Ausführungen ersichtlich nur darauf reagiert, dass bereits das Amtsgericht (verfahrensfehlerhaft) von der Vernehmung des Zeugen unter Hinweis auf dessen E-Mail abgesehen hatte.“