ZPO-Überblick: Akteneinsicht im Zivilprozess

Wer wem unter welchen Voraussetzungen Einsicht in die Akten eines Zivilprozesses gewähren kann oder muss, ist häufig erstaunlich unbekannt und wird nicht selten auch praktisch falsch gehandhabt. Der folgende ZPO-Überblick stellt daher überblicksartig die verschiedenen Modalitäten der Akteneinsichtsgewährung im Zivilprozess dar.

Gegenstand der Akteneinsicht

Die Akteneinsicht bezieht sich zunächst auf die Akten. i.S.d. § 299 ZPO. Was zu diesen gehört, bestimmen die Aktenordnungen der Länder. Gegenstand des Akteneinsichtsrechts sind neben diesen Akten z.B. auch von den Parteien eingereichte Beweisurkunden oder Unterlagen und im Grundsatz auch Beiakten, soweit das Gericht seine Entscheidung auf den Inhalt dieser Akten stützen will (s. dazu ausführlich diesen Beitrag). Ebenso gehören zu den Akten vorläufige Protokollaufzeichnungen gem. § 160a ZPO. Von der Akteneinsicht ausgenommen sind die im PKH-Prüfungsverfahren eingereichten Unterlagen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen, die deshalb in einem gesonderten Aktenband (PKH-Heft) geführt werden (s. § 117 Abs. 2 Satz 2 ZPO). Nicht der Akteneinsicht unterliegen auch die in § 299 Abs. 4 ZPO genannten Gerichtsinterna.

Akteneinsichtsrecht der Parteien, § 299 Abs. 1 ZPO

Den Parteien (und Streithelfern/Nebenintervenienten) als unmittelbar am Prozess Beteiligten steht als Ausfluss des Anspruchs auf rechtliches Gehör das Recht zu, die Prozessakten einzusehen. Das Akteneinsichtsrecht ist dabei nicht an weitere Bedingungen geknüpft, endet aber mit rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens (BGH, Beschluss vom 29.04.2015 – XII ZB 214/14). Zuständig für die Entscheidung über die Akteneinsicht in den Räumen des Gerichts ist die Geschäftsstelle, gegen deren ablehnende Entscheidung die Erinnerung gem. § 573 Abs. 1 ZPO statthaft ist. Über die Versendung der Akten (s. unten) entscheidet der oder die jeweilige Vorsitzende durch Verfügung; eine ablehnende Entscheidung ist nach h.M. mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar.

Akteneinsichtsrecht Dritter, § 299 Abs. 2

Dritte i.S.d. § 299 Abs. 2 ZPO sind insbesondere auch:

  • die Parteien selbst nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens (BGH, Beschluss vom 29.04.2015 – XII ZB 214/14)
  • andere Behörden wie z.B. andere Gerichte, Staatsanwaltschaften und Sozialversicherungsträger (s. BVerfG Beschluss vom 02.12.2014 – 1 BvR 3106/09 Rn. 31, anders teilweise die Kommentarliteratur).

Diese Dritten i.S.d. § 299 Abs. 2 ZPO benötigen die Akteneinsicht nicht zur Prozessführung, so dass das Akteneinsichtsrecht nicht unmittelbarer Ausfluss des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist. Deshalb verlangt § 299 Abs. 2 ZPO dafür eine Einwilligung der Parteien. Fehlt es daran, ist ein rechtliches Interesse glaubhaft zu machen. Mangels Zusammenhang mit der Prozessführung handelt es sich bei der Gewährung von Akteneinsicht an Dritte um Justizverwaltungshandeln. Deshalb entscheiden über den Antrag grundsätzlich nicht die Vorsitzenden, sondern der „Gerichtsvorstand“, also Direktor:innen bzw. Präsident:innen. Praktisch ist diese Befugnis jedoch (durch Geschäftsverteilungsplan oder Hausverfügung) oft auf die Richter:innen oder die Vorsitzenden übertragen. Um die Einwilligung einzuholen oder die widerstreitenden Interessen abwägen zu können, ist den Parteien rechtliches Gehör zum Akteneinsichtsgesuch zu gewähren. Stimmen nicht sämtliche Parteien dem Akteneinsichtsgesuch zu, muss das Gericht das Informationsinteresse des oder der Dritten mit dem Geheimhaltungsinteresse der Parteien abwägen um dann eine Ermessensentscheidung zu treffen. Die Entscheidung nach § 299 Abs. 2 ZPO ergeht wiederum als Verfügung (da es sich nicht um eine Entscheidung in einer Rechtssache handelt). Gegen diese Entscheidung ist der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gem. § 23 EGGVG statthaft. Bewilligt das Gericht die begehrte Akteneinsicht ohne Einwilligung der Parteien, ist die Entscheidung den Parteien mitzuteilen und ihnen Gelegenheit geben, einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gem. § 23 EGGVG zu stellen, bevor die Akteneinsicht tatsächlich stattfindet.

Durchführung bei Papierakten

Werden die Akten auf Papier geführt, können die Parteien diese auf der Geschäftsstelle oder an einem dafür bestimmten Ort im Gericht einsehen. Die Modalitäten (z.B. Aufsicht durch Wachtmeister) bestimmt die Akteneinsicht gewährende Stelle. Den Parteien (Abs. 1) sind außerdem ohne weitere Voraussetzungen (kostenpflichtige) Kopien aus den Akten und ggf. Beiakten zu erteilen. Ob bevollmächtigten Rechtsanwält:innen Akteneinsicht durch Übersendung der Akten in die Kanzleiräume gewährt wird, steht zwar grundsätzlich im Ermessen der Akteneinsicht bewilligenden Stelle; einem solchen Gesuch wird betreffend die Akten (s. oben) aber in der Regel stattzugeben sein. Besteht bei von den Parteien eingereichten Unterlagen (z.B. Behandlungsdokumentationen) ein Verlustrisiko, ist Akteneinsicht ggf. durch Übersendung von Kopien zu gewähren. Rechtsanwält:innen können nicht darauf verwiesen werden, die Akten lediglich auf der Geschäftsstelle einzusehen (s. dazu jüngst OLG Dresden, Beschluss v. 28.06.2021 – 4 W 386/21). Bei Akteneinsichtsgesuchen Dritter kann zu prüfen sein, ob dem Informationsinteresse auch durch eine nur teilweise Einsicht entsprochen werden kann, z.B. durch Übersendung einer Abschrift der Entscheidung.

Durchführung bei elektronischen Akten

Werden die Akten elektronisch geführt, sieht § 299 Abs. 3 ZPO ein „digital first“-Konzept vor: Grundsätzlich wird die Akteneinsicht gem. Satz 1 über ein Akteneinsichtsportal oder durch Übersendung auf einem sicheren Übermittlungsweg (§ 130a Abs. 4 ZPO) gewährt. Nur auf besonderen Antrag (Satz 2) wird Akteneinsicht in den Räumen des Gerichts oder – bei einem berechtigten Interesse – durch Übersendung von Ausdrucken oder Datenträgern (Satz 3) gewährt. Über die Form der Akteneinsicht entscheidet die Geschäftsstelle, gegen deren Entscheidung wiederum die Erinnerung gem. § 573 Abs. 1 ZPO statthaft ist.