BGH zur Zulässigkeit einer Schadensfeststellungsklage

Der „Dieselskandal“ oder „Abgasskandal“ bringt immer wieder interessante und lehrreiche Entscheidungen auch zum  Prozessrecht hervor. So konnte der Bundesgerichtshof beispielsweise Urteil vom 05.10.2021 – VI ZR 136/20  geradezu lehrbuchartig zur Zulässigkeit einer Schadensfeststellungsklage Stellung nehmen – ein Thema, das praktisch immer wieder Schwierigkeiten bereitet.

Sachverhalt

Mit dem Hauptantrag seiner Klage begehrte der Kläger die Feststellung, dass ihm gegen die VW AG Schadensersatzansprüche wegen des Inverkehrbringens eines VW Touran mit einem Motor des Typs EA 189 zustehen, der über die bekannte Abschalteinrichtung („Umschaltlogik“) verfügt. Dass er (mit dem Hauptantrag) keinen Leistungs-, sondern einen Feststellungsantrag stellte, begründete der Kläger u.a. wie folgt:
  • er wolle sich offenhalten, ob er später großen oder kleinen Schadensersatz fordern wolle,
  • eine Bezifferung des Schadens sei ihm nicht zumutbar, da er im Fall des kleinen Schadensersatzes zur Ermittlung des Minderwerts ein Gutachten in Auftrag geben müsse,
  • es sei zu erwarten, dass die Beklagte auf ein Feststellungsurteil hin leisten werde und eine Vollstreckung nicht erforderlich sein werde und
  • die Schadensentwicklung sei noch nicht abgeschlossen, es drohten z.B. über Jahre hinweg Steuernachforderungen.
Das Oberlandesgericht hat die Beklagte verurteilt. Dagegen richtet sich die zugelassene Revision der Beklagten, mit der sie u.a. die Zulässigkeit des Feststellungsantrags rügt.

Neben der (bei weitem häufigsten) Leistungsklage kennt die ZPO die Gestaltungsklage und die Feststellungsklage (§ 256 ZPO). Eine Feststellungsklage setzt aber gem. § 256 Abs. 1 ZPO voraus, dass der klagenden Partei ein Feststellungsinteresse zusteht (etwas Anderes gilt nur im Fall des § 256 Abs. 2 ZPO). Geht es um die Feststellung eines Zahlungsanspruchs, ist ein solches im Grundsatz zu verneinen. Denn selbst wenn die klagende Partei obsiegte und festgestellt würde, dass der Anspruch besteht, könnte sie aus dem Feststellungsurteil nicht vollstrecken. Es wäre dann ein zweiter Prozess erforderlich, der vermieden werden soll. Von dieser Regel sind in der Rechtsprechung aber insbesondere aus Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten viele Ausnahmen anerkannt, auf die sich die klagende Partei hier gestützt hatte, um damit die Zulässigkeit des Feststellungsantrags zu begründen.

Entscheidung

Der BGH hat das Urteil des OLG aufgehoben und die Klage mit dem Hauptantrag als unzulässig abgewiesen.

„Nach § 256 Abs. 1 ZPO kann auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses Klage erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis alsbald festgestellt werde. Ein solches Interesse ist gegeben, wenn dem konkreten vom Feststellungsantrag betroffenen Recht des Klägers eine gegenwärtige Gefahr der Unsicherheit droht und der erstrebte Feststellungausspruch geeignet ist, diese Gefahr zu beseitigen (…).

Allerdings fehlt grundsätzlich das Feststellungsinteresse, wenn der Kläger dasselbe Ziel mit einer Klage auf Leistung erreichen kann (Vorrang der Leistungsklage; …). Ist dem Kläger eine Klage auf Leistung möglich und zumutbar und erschöpft sie das Rechtsschutzziel, fehlt ihm das Feststellungsinteresse, weil er im Sinne einer besseren Rechtsschutzmöglichkeit den Streitstoff in einem Prozess klären kann (…).

Es besteht jedoch keine allgemeine Subsidiarität der Feststellungsklage gegenüber der Leistungsklage. Vielmehr ist eine Feststellungsklage trotz der Möglichkeit, Leistungsklage zu erheben, zulässig, wenn die Durchführung des Feststellungsverfahrens unter dem Gesichtspunkt der Prozesswirtschaftlichkeit zu einer sinnvollen und sachgemäßen Erledigung der aufgetretenen Streitpunkte führt (…).“

Zunächst thematisiert der Senat, ob sich das Feststellungsinteresse schon daraus ergibt, später zwischen kleinem und großem Schadensersatz wählen zu können:

„Der Kläger konnte bei Klageerhebung entscheiden, welchen Schadensersatz er geltend machen möchte. Diese Entscheidung war ihm zumutbar. Der Umstand, dass der Kläger die möglichen Auswirkungen des Software-Updates nicht sicher prognostizieren und daher nicht abschätzen konnte, ob es für ihn wirtschaftlicher wäre, das Fahrzeug zu behalten und Ersatz des Minderwerts zu verlangen oder es der Beklagten zu überlassen und den Kaufpreis unter Anrechnung der Nutzungsvorteile ersetzt zu verlangen, steht dem nicht entgegen. Diese Entscheidung war auch im Interesse der Prozesswirtschaftlichkeit geboten, weil der Kläger im Sinne einer besseren Rechtsschutzmöglichkeit den Streitstoff in einem Prozess klären kann.

Demgegenüber wäre nicht gewährleistet, dass die Durchführung des Feststellungsverfahrens zu einer sinnvollen und sachgemäßen Erledigung der aufgetretenen Streitpunkte führt. Vorliegend erstreckt sich der Streitgegenstand der erhobenen Feststellungsklage allgemein auf die Verpflichtung der Beklagten, Schadensersatz zu zahlen für Schäden, die aus einer bestimmten Handlung resultieren, mithin auf die Haftung der Beklagten dem Grunde nach. Der Umfang des begehrten Schadensersatzes und - damit zusammenhängend - die Frage, ob großer oder kleiner Schadensersatz gezahlt werden soll, ergibt sich weder aus dem Feststellungsantrag noch aus dem zu seiner Begründung vorgetragenen Lebenssachverhalt; der Kläger möchte diese Entscheidung vielmehr, wie ausdrücklich zur Begründung des Feststellungsinteresses ausgeführt, erst später treffen. Mit einem einschränkungslos stattgebenden Urteil wäre die Frage dann nicht entschieden, die Entscheidung darüber ebenso wie über die Höhe des Schadensersatzes vielmehr erst in einem zweiten Prozess – dem anschließenden Leistungsprozess – zu treffen.

Das Interesse des Klägers, dass dies geschieht, ist kein berechtigtes im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO.“

Der Senat wendet sich dann der Frage zu, ob sich ein Feststellungsinteresse daraus ergibt, dass eine Bezifferung des Schadens unmöglich oder unzumutbar ist:

„aa) Sollte sich der Kläger für die Geltendmachung des kleinen Schadensersatzes entscheiden, könnte dahinstehen, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen mit der Notwendigkeit, vor Klageerhebung ein Privatgutachten zur Schadenshöhe einzuholen, die Unzumutbarkeit einer Leistungsklage begründet werden könnte (…). Denn der Kläger kann hier den Minderwert auch ohne vorherige Einholung eines Privatgutachtens selbst – etwa auf einen Prozentsatz vom Kaufpreis – schätzen. Im Hinblick auf die dem Gericht bei der Bemessung der Schadenshöhe gemäß § 287 Abs. 1 ZPO zustehenden Freiheiten genügt es im Übrigen den Anforderungen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, wenn die Höhe des geforderten Minderwerts in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, zugleich aber ein Mindestbetrag sowie die tatsächlichen Grundlagen für die Schadensschätzung angegeben werden (...).

bb) Sollte sich der Kläger für die Geltendmachung des großen Schadensersatzes entscheiden und die Erstattung des gezahlten Kaufpreises verlangen, könnte er diesen ohne Weiteres (…) beziffern. Der Kläger müsste sich dann im Rahmen des Vorteilsausgleichs die gezogenen Nutzungsvorteile von dem zu ersetzenden Kaufpreis abziehen lassen (...). Das Gericht darf diese gemäß § 287 Abs. 1 ZPO schätzen (...). Für die Bestimmtheit des Klageantrags im Sinne von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO genügt es auch hier, wenn der Kläger, falls er die Nutzungsvorteile nicht selbst schätzen oder zumindest einen Höchstbetrag für den Abzug angeben will, die Bewertung der vom bezifferten Kaufpreis abzuziehenden Nutzungsvorteile in das Ermessen des Gerichts stellt und lediglich die tatsächlichen Grundlagen für dessen Ermessensausübung angibt.“

Dann geht es um die Frage, ob sich das Feststellungsinteresse daraus ergibt, dass die Beklagte ggf. auf ein Feststellungsurteil hin leisten wird:

„Dem Vorrang der Leistungsklage steht weiter nicht entgegen, dass – wie der Kläger vorgetragen hat – die Beklagte auf ein Feststellungsurteil hin leisten werde. Dabei kann offenbleiben, ob grundsätzlich davon auszugehen ist, dass die Beklagte bereits auf ein rechtskräftiges Feststellungsurteil hin ihren rechtlichen Verpflichtungen nachkommen wird (…). Denn dies würde neben der grundsätzlichen Leistungsbereitschaft voraussetzen, dass ein dem Feststellungsantrag entsprechendes Urteil voraussichtlich zu einer endgültigen Erledigung führen wird (…). Davon ist im vorliegenden Fall nicht auszugehen, da lediglich die Haftung dem Grunde nach festgestellt wäre und die Schadenshöhe jedenfalls nicht auf der Hand läge (siehe oben …). Die unbestimmte Erwartung aber, ein Feststellungsurteil könnte einen Vergleich über die Schadenshöhe erleichtern, reicht zur Begründung des Feststellungsinteresses nicht aus (…).“

Und zuletzt geht es um die Frage, ob sich das Feststellungsinteresse daraus ergibt, dass die Schadensentwicklung noch nicht abgeschlossen ist:

„aa) Wenn eine Schadensentwicklung noch nicht abgeschlossen, ein Teil des Schadens bei Klageerhebung also schon entstanden, die Entstehung weiterer Schäden aber noch zu erwarten ist, kann der Kläger in vollem Umfange Feststellung der Ersatzpflicht begehren. Der Kläger kann in einem solchen Falle nicht hinsichtlich des bereits entstandenen Schadens auf eine Leistungsklage verwiesen werden. Er ist also nicht gehalten, sein Klagebegehren in einen Leistungs- und einen Feststellungsantrag aufzuspalten (…). Der Kläger muss dann auch nicht nachträglich seinen Feststellungsantrag in einen Leistungsantrag abändern, wenn dies aufgrund der Schadensentwicklung im Laufe des Rechtsstreits möglich würde, weil sich der Anspruch beziffern ließe (…).

bb) Darauf kann der Kläger sein Feststellungsinteresse im Streitfall nicht stützen.

(1) Eine Schadensentwicklung ist hier allerdings nicht deshalb zu verneinen, weil die nach dem Vorbringen des Klägers zu erwartenden weiteren Schäden nicht wahrscheinlich sind. Ist nämlich – wie vorliegend – ein (Teil-) Schaden bereits entstanden, hängt die Zulässigkeit der Feststellungsklage – entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts – nicht von der Wahrscheinlichkeit des Eintritts weiterer Schäden ab.

(a) In Fällen, in denen es um erst künftig erwachsende reine Vermögensschäden geht, hängt die Zulässigkeit der Feststellungsklage grundsätzlich von der Wahrscheinlichkeit eines auf die Verletzungshandlung zurückzuführenden Schadenseintritts ab (…). Grund dafür ist der Schutz des möglichen Schädigers, dem nicht ein Rechtsstreit über gedachte Fragen aufgezwungen werden soll, von denen ungewiss ist, ob sie jemals praktische Bedeutung erlangen könnten (…).

Dies betrifft indes Fälle, in denen es ausschließlich um befürchtete künftige Vermögensschäden geht, eine Leistungsklage also noch gar nicht in Betracht kommt. Sie betrifft nicht Fälle, in denen ein Vermögens(teil)schaden bereits entstanden ist und der Eintritt weiterer Vermögensschäden im Rahmen der noch nicht abgeschlossenen Schadensentwicklung erwartet wird. In diesen Fällen genügt die Möglichkeit eines künftigen weiteren Schadenseintritts für die Zulässigkeit der Feststellungsklage (…).

Dies gilt unabhängig davon, ob diese isoliert für alle Schäden oder neben einer Leistungsklage nur für künftige, noch nicht bezifferbare Schäden erhoben wird. Dem Beklagten wird dann nicht ein Rechtsstreit über nur theoretische Fragen aufgezwungen, vielmehr hat die Frage einer Schadensersatzpflicht durch den Eintritt eines Teilschadens bereits praktische Bedeutung erlangt. Auf der anderen Seite kann im Hinblick auf den Grundsatz der Schadenseinheit schon mit Eintritt einer ersten Vermögenseinbuße die Verjährung von Ansprüchen wegen späterer Schadensfolgen zu laufen beginnen (…). Daher dürfen zum Schutz des Geschädigten die Hürden für die Erhebung einer Feststellungsklage zwar nicht zu hoch angesetzt werden.

An der Möglichkeit weiterer Schäden fehlt es allerdings, wenn aus Sicht des Klägers bei verständiger Würdigung kein Grund besteht, mit dem Eintritt eines weiteren Schadens wenigstens zu rechnen (…). Dann ist der Kläger wegen des bereits eingetretenen Schadens auf die vorrangige Leistungsklage beschränkt. Welche weiteren Schäden zu befürchten sind, hat der Kläger darzulegen (…)

(b) Künftig entstehende Aufwendungen, die zu den gewöhnlichen Unterhaltungskosten für das Fahrzeug zählen (Verbrauchsmaterialien, Kraftstoff, Inspektions- und Wartungskosten, Reparaturen), wären nicht ersatzfähig (…).

(c) Die weiter angeführten Aufwendungen (Steuernachforderungen, Stilllegungskosten, Kosten im Zusammenhang mit etwaigen schädlichen Auswirkungen des Updates, falls dieses noch aufgespielt würde) könnte der Kläger (…) jedenfalls nicht als Schaden ersetzt verlangen, wenn er den sogenannten kleinen Schadensersatz (Ersatz des Minderwerts) geltend machen sollte (…). Eine Schadensentwicklung, die ein Feststellungsinteresse begründen könnte, wäre dann ausgeschlossen. Ob und inwieweit die genannten Aufwendungen im Rahmen des großen Schadensersatzes ersatzfähig wären, sie insbesondere dem sogenannten negativen Interesse zuzuordnen wären, bedarf im vorliegenden Zusammenhang keiner Entscheidung. Denn auf eine diesbezügliche Schadensentwicklung könnte der Kläger sein Feststellungsinteresse schon deshalb nicht stützen, weil er sich nicht für die Geltendmachung des großen Schadensersatzes entschieden hat, obwohl ihm diese Entscheidung bereits jetzt möglich und zumutbar ist (siehe oben …).

Die drohende Gefahr der Unsicherheit (siehe oben ...) rührt demnach entscheidend daher, dass sich der Kläger bewusst nicht entschieden hat, und ist von diesem selbst zu verantworten. Eine solche Unsicherheit vermag das Feststellungsinteresse nicht zu begründen.“

Anmerkung

Und das ist wenig Neues, aber ein hervorragendes „Repetitorium“ zum Feststellungsinteresse und zu Fragen, die nicht nur praktisch immer wieder vorkommen, sondern auch ohne Weiteres Gegenstand einer Klausur oder eines Aktenvortrages im zweiten Staatsexamens sein können. Praktisch wichtig scheinen mir insbesondere die Klarstellung im letzten Abschnitt. Für die Zulässigkeit einer Schadensfeststellungsklage reicht danach die bloße Möglichkeit weiterer Schäden aus, wenn
  • entweder ein absolutes Rechtsgut verletzt ist (s. nur BGH, Urteil vom 24.01.2006 – XI ZR 384/03 Rn. 27 „Kirch/Deutsche Bank AG und Breuer“) oder
  • es lediglich um Vermögensschäden geht, diese aber schon teilweise eingetreten sind.
tl;dr: Auf mögliche künftige Belastungen mit Aufwendungen, die nur im Rahmen des großen Schadensersatzes ersatzfähig wären, kann der Kläger sein Feststellungsinteresse nicht stützen, wenn er sich nicht für die Geltendmachung des großen Schadensersatzes entschieden hat, obwohl ihm diese Entscheidung möglich und zumutbar ist. (Leitsatz des BGH)  Anmerkung/Besprechung, BGH, Urteil vom 05.10.2021 – VI ZR 136/20. Foto: © Ehssan Khazaeli