Begriff des Verbrauchervertrags i.S.d. Art. 17 EuGVVO bei gemischt privat-beruflichen Verträgen

holger-motzkau-wikimedia-commons-cc-by-sa-3-0Die EuGVVO (oder Brüssel-Ia-VO) enthält in Artt. 17 ff. (Artt. 15 ff. EuGVVO a.F. – Brüssel-I-VO) Sonderregelungen für Verbraucherverträge, nach denen Verbraucher grundsätzlich nur vor den Gerichten ihres Heimatstaats verklagt werden können (Art. 18 Abs. 2 EuGVVO, Art. 16 Abs. 2 EuGVVO a.F.).

In einem aktuellen Beschluss vom 13.10.2016 – IX ZB 9/16 hatte sich der Bundesgerichtshof mit der Frage zu befassen, wann bei gemischt privat-beruflichen Verträgen ein Verbrauchervertrag vorliegt i.S.d. Art. 17 EuGVVO vorliegt und ob die Verbrauchereigenschaft einzelner Vertragsparteien auch anderen Vertragsparteien zuzurechnen ist.

Sachverhalt

Die in Rede stehende Rechtsfrage stellte sich im Rahmen eines Vollstreckbarerklärungsverfahrens nach Art. 38 EuGVVO a.F. (das in der neuen Fassung des EuGVVO entfällt, Art. 39 EuGVVO).

Der Antragsgegner und dessen Ehefrau hatten bei der Antragstellerin, einem finnischen Unternehmen, einen Bausatz für ein Holzhaus gekauft. Außerdem hatte die Antragstellerin mit dem Antragsgegner am selben Tage einen sog. Agenturvertrag geschlossen, aufgrund dessen der Antragsgegner als Verkaufsvertreter für die Antragstellerin tätig werden sollte. Aus dem Kaufvertragnahm die (Rechtsnachfolgerin der) Antragstellerin den Antragsgegner u.a. auf Zahlung der letzten Rate in Anspruch und hatte damit in Finnland in sämtlichen Instanzen obsiegt.

Nun begehrte sie in Deutschland die Vollstreckbarerklärung des Urteils. Dagegen wendete sich der Antragsgegner und wendete insbesondere ein, die finnischen Gerichte seien nicht zuständig gewesen, weil es sich um einen Verbrauchervertrag i.S.d. Art. 17 EuGVVO gehandelt habe.

Das Landgericht und das OLG hatten das finnische Urteil dennoch für vollstreckbar erklärt.

Ausländische Urteile können in Deutschland nicht ohne weiteres vollstreckt werden. Diese sind vielmehr grundsätzlich in einem gesonderten gerichtlichen Verfahren (sog. Exequaturverfahren) für vollstreckbar zu erklären. In diesem Verfahren wird – vereinfacht – geprüft, ob allgemeine rechtsstaatliche Verfahrensgrundregeln eingehalten wurden.

Für Urteile anderer Mitgliedsstaaten der europäischen Union ist dieses Exequaturverfahren inzwischen entfallen (vgl. Art. 39 EuGVVO). Der hier zu entscheidende Sachverhalt richtete sich aber noch nach der alten Fassung der EuGVVO, die in Art.  EuGVVO a.F. ein Vollstreckbarerklärungsverfahren vorsah.

Nach Art. 45 EuGVVO a.F. i.V.m. Art. 35 Abs. 1 EuGVVO a.F. stand es danach einer Vollstreckbarerklärung entgegen, wenn das Gericht seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hatte. Und diese internationale Zuständigkeit innerhalb der europäischen Union richtet sich ebenfalls nach der EuGVVO. Das finnische Unternehmen hatte den Beklagten hier in Finnland verklagt. Der Beklagte berief sich darauf, dass es sich um einen Verbrauchervertrag gehandelt habe, für den gem. Art. 18 Abs. 2 EuGVVO (Art. 16 Abs. 2 EuGVVO a.F.) die deutschen Gerichte ausschließlich zuständig seien.

Entscheidung
Der BGH hat ebenfalls angenommen, dass kein Verbrauchervertrag vorliege und die finnischen Gerichts zuständig gewesen seien:

„aa) Der Verbraucherbegriff des Art. 15 Abs. 1 lit. c) EuGVVO ist unter Beachtung der Systematik und der mit der Verordnung verfolgten Ziele autonom auszulegen. Die vom Europäischen Gerichtshof für die Vorgängerregelung des Art. 13 Abs. 1 EuGVÜ aufgestellten Auslegungsgrundsätze gelten auch für die Auslegung des Art. 15 EuGVVO […]. Danach betreffen beide Vorschriften den nicht berufs- oder gewerbebezogen handelnden privaten Endverbraucher. Erfasst sind deshalb nur Verträge, die eine Einzelperson zur Deckung ihres Eigenbedarfs beim privaten Verbrauch schließt und die keinen Bezug zu einer gegenwärtigen oder zukünftigen beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit dieser Person haben […].

Die Einordnung des Vertrages obliegt dem angerufenen Gericht und ist aufgrund einer Gesamtbewertung vorzunehmen, in die Inhalt, Art und Zweck des Vertrages sowie die objektiven Umstände bei Vertragsschluss einzubeziehen sind […].

Ist der Gegenstand des Vertrages für einen Zweck bestimmt, der sich teilweise der beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit der betreffenden Person zurechnen lässt, greift der besondere Schutz der Art. 15 ff EuGVVO unabhängig von der Gewichtung zwischen privatem und beruflich-gewerblichem Zweck nicht ein, solange der beruflich-gewerbliche Zweck nicht derart nebensächlich ist, dass er im Gesamtzusammenhang des betreffenden Geschäfts nur eine ganz untergeordnete Rolle spielt […].

bb) Das Beschwerdegericht hat in Anwendung dieser Grundsätze vor allem die beabsichtigte Nutzung des mit dem Vertrag erworbenen Holzhauses als Musterhaus im Rahmen der künftigen Vertretertätigkeit des Antragsgegners, die vorgesehene Nutzung eines Raumes für diese Tätigkeit sowie die zeitgleiche Verhandlung und Unterzeichnung beider Verträge als ausschlaggebend dafür angesehen, dass der Antragsgegner mit dem Erwerb auch eine beruflich-gewerbliche Zweckrichtung verfolgte, die mehr als nur untergeordnete Bedeutung hat. Dies ist zulassungsrechtlich nicht zu beanstanden. […]

dd) Der vom Beschwerdegericht […] nicht berücksichtigte weitere Umstand, dass auch die Ehefrau des Antragsgegners Partei des Vertrages über das Holzhaus ist, führt nicht dazu, dass der Vertrag in dem Rechtsstreit zwischen dem Antragsgegner und dem Unternehmer als Verbrauchervertrag im Sinne der Art. 15 ff EuGVVO einzuordnen wäre.

(1) Die besondere – ausschließliche – Zuständigkeitsregelung des Art. 16 EuGVVO in Verbrauchersachen soll nach ihrer Zielrichtung dem Verbraucher einen besonderen Schutz verschaffen, indem sie ihm die Führung des Rechtsstreits mit dem Unternehmer vor den Gerichten seines Wohnsitzortes ermöglicht (Art. 16 Abs. 1 EuGVVO) und sichert […]. Diese Ausnahmeregelung wird mit der Erwägung gerechtfertigt, dass der Verbraucher gegenüber dem beruflich oder gewerblich handelnden Vertragspartner als wirtschaftlich schwächer und rechtlich weniger erfahren anzusehen ist […].

Zugleich hat der Europäische Gerichtshof stets betont, dass der Verbraucherbegriff wegen des Ausnahmecharakters der besonderen Schutzregelung eng auszulegen ist und nicht auf Personen ausgedehnt werden darf, die dieses Schutzes nicht bedürfen […]. Deshalb ist es nicht gerechtfertigt, einem Beklagten, der von einem Unternehmer aus einem auch beruflich-gewerblichen Zwecken dienenden Vertrag gerichtlich in Anspruch genommen wird und der insoweit nach der Rechtsprechung als auf gleicher Stufe mit dem Unternehmer stehend zu gelten hat […], die Berufung auf die Zuständigkeitsregelung in Verbrauchersachen nur deshalb zu ermöglichen, weil aus dem Vertrag auch eine nicht am Prozess beteiligte weitere Person als Vertragspartner verpflichtet und berechtigt ist, die bei Vertragsschluss ihrerseits nicht berufs- oder gewerbebezogen gehandelt hat.

Die Einbindung eines Verbrauchers in den Vertrag macht den auch beruflich-gewerblich handelnden Vertragspartner des Unternehmers im Hinblick auf seine gerichtliche Inanspruchnahme nicht schutzbedürftig. Eine zu seinen Gunsten wirkende Zurechnung der Verbrauchereigenschaft des nicht am Prozess beteiligten Mitverpflichteten ist nicht gerechtfertigt.“

Anmerkung

Von einer Vorlage an den EuGH hat der Bundesgerichtshof unter Berufung auf die „acte-clair-Doktrin“ abgesehen, was angesichts der insoweit relativ eindeutigen Entscheidung des EuGH vom 20.01.2015 – C-464/01 überzeugend sein dürfte.

Einen guten Überblick über die Neufassung der EuGVVO und insbesondere die Abschaffung des Exequaturverfahrens von RA Dr. Thomas Gädtke findet sich übrigens im disputeresolution-magazin.

tl;dr: Art. 17 EuGVVO erfasst gemischte privat-berufliche Verträge nur, wenn der berufliche Zwecke eine ganz untergeordnete Rolle spielt. Die Verbrauchereigenschaft ist für jeden Beteiligten gesondert zu bestimmen und kann nicht weiteren Beteiligten zugerechnet werden.

Anmerkung/Besprechung, BGH, Beschluss vom 13.10.2016 – IX ZB 9/16. Foto: Holger Motzkau | Wikimedia Commons | CC BY-SA 3.0