Entscheidung
Der Bundesgerichtshof hat das Urteil aufgehoben und an das Berufungsgericht zurückverwiesen, weil dieses den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt habe:
„a) Dem Inhalt des Verfahrensgrundrechts entnimmt der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung, dass eine in erster Instanz siegreiche Partei darauf vertrauen darf, von dem Berufungsgericht rechtzeitig einen Hinweis zu erhalten, wenn dieses in einem entscheidungserheblichen Punkt der Beurteilung der Vorinstanz nicht folgen will und auf Grund seiner abweichenden Ansicht eine Ergänzung des Vorbringens oder einen Beweisantritt für erforderlich hält […].
Der Berufungsbeklagte darf darauf vertrauen, dass ihn das Berufungsgericht, wenn es in der tatsächlichen oder rechtlichen Würdigung dem Erstrichter nicht folgen will, auf seine von dem erstinstanzlichen Gericht abweichende Beurteilung hinweist und zwar so, dass noch rechtzeitig vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung reagiert werden kann […]. Die Parteien müssen Einfluss auf das Verfahren und sein Ergebnis nehmen können; sie dürfen nicht gehindert sein, ihren Sachvortrag zu ergänzen […].
b) Das Berufungsgericht hat diese Hinweispflicht verletzt. Es hat den Rechtsstreit anders als das erstinstanzliche Gericht entschieden, weil es – rechtlich zutreffend – davon ausgeht, dass für die Klägerin, die als (erste) Kreditgeberin nach § 930 BGB das Eigentum und den mittelbaren Besitz erlangt hatte, die Eigentumsvermutung nach § 1006 Abs. 2 u. 3 BGB streitet. Diese Vermutung wirkt über den späteren Besitzverlust hinaus solange fort, bis sie widerlegt ist […]
Auf seine – der Entscheidung des Landgerichts entgegengesetzte – Auffassung zur Darlegungs- und Beweislast hätte das Berufungsgericht die Beklagte und ihre Streithelferin jedoch hinweisen müssen. Ihnen ist im Berufungsverfahren Gelegenheit zu geben, die den Besitz betreffenden Voraussetzungen für einen gutgläubigen Erwerb des Eigentums an dem von KALA mehrfach veräußerten und „zurückgeleasten" Kran durch die Zwischenerwerber […]darzulegen und zu beweisen. Das ist jedoch, wie die Nichtzulassungsbeschwerde zu Recht beanstandet, nicht geschehen. Da ein solcher Hinweis in den Gerichtsakten nicht dokumentiert ist, gilt er als nicht erteilt (§ 139 Abs. 4 Satz 2 ZPO; […]).
c) Ein Hinweis durch das Berufungsgericht war nicht ausnahmsweise deshalb entbehrlich, weil die Frage, ob die Klägerin ihr Eigentum an dem Kran durch einen nachfolgenden gutgläubigen Erwerb verloren hat, der zentrale Streitpunkt des Rechtsstreits ist.
Allerdings bedarf es regelmäßig keines richterlichen Hinweises, wenn die Auffassung des erstinstanzlichen Gerichts als zentraler Streitpunkt im Berufungsrechtszug zur Überprüfung gestellt wird und das Berufungsgericht sich sodann der Auffassung des Berufungsklägers anschließt. Denn in diesem Fall muss die in erster Instanz erfolgreiche Partei von vornherein damit rechnen, dass das Berufungsgericht anderer Auffassung ist. Seine dementsprechende Entscheidung kann im Grundsatz nicht überraschend sein […].
So verhält es sich hier aber nicht, weil das Berufungsgericht sich nicht der Rechtsauffassung der Klägerin angeschlossen, sondern eine eigenständige Begründung für seine Entscheidung gegeben hat. Die Klägerin hat sich nämlich nicht auf die Vermutung des § 1006 Abs. 2 BGB berufen, sondern gemeint unabhängig von der Eigentumslage – einen Herausgabeanspruch aus § 1007 Abs. 1 BGB zu haben, da die Streithelferin bei der Besitzerlangung bösgläubig gewesen sei.
Die Verletzung des rechtlichen Gehörs betrifft einen entscheidungserheblichen Punkt. Nach dem im Hinblick auf die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts ergänzten Vorbringen der Beklagten und ihrer Streithelferin in der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde kommt ein Eigentumsverlust der Klägerin durch gutgläubigen Erwerb des Krans […] in Betracht.“
Und zum Schluss gibt es dann noch ein wenig prozessuale Nachhilfe:
„Vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass die Tenorierung zu 3 und 4 im angefochtenen Urteil unbestimmt und daher fehlerhaft ist […].
Richtigerweise hätte über die zugrunde liegenden, unbezifferten Klageanträge noch nicht entschieden werden dürfen. Bei einer Stufenklage (§ 254 ZPO), wie sie hier erhoben worden ist, bilden die Ansprüche auf Auskunft, ggf. auf eidesstattliche Versicherung sowie auf Zahlung des sich aus der Auskunft ergebenden Betrages prozessual selbständige Teile des Rechtsstreits, über die durch Teilurteil (e) und Schlussurteil zu entscheiden ist […].
Ergibt die erneute Prüfung wiederum, dass der Klägerin die geltend gemachten Zahlungsansprüche dem Grunde nach zustehen, ist die Beklagte durch Teilurteil zunächst zur Auskunft zu verurteilen. Nach erteilter Auskunft muss die Klägerin ihren Zahlungsanspruch beziffern (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO); anschließend ist hierüber zu verhandeln und zu entscheiden.“
Anmerkung
Zur Hinweispflicht des Berufungsgerichts hat sich jüngst übrigens auch das Bundesverfassungsgericht in einem vergleichbaren Fall geäußert, in dem die Wertgrenze des § 26 Ziff. 8 EGZPO nicht überschritten war.
Was ich mich aber schon frage: Warum geht ein Senat eines Oberlandesgerichts ernsthaft davon aus, damit „durchzukommen“?
Vertiefend zur richterlichen Hinweispflicht kann ich übrigens das hier verfügbare Skriptum des Kollegen Dr. Rensen wärmstens empfehlen.
tl;dr: Will das Berufungsgericht in der tatsächlichen oder rechtlichen Würdigung dem Erstrichter nicht folgen, muss es den Berufungsbeklagten darauf hinweisen und diesem Gelegenheit zur Stellungnahme geben.
Anmerkung/Besprechung, Bundesgerichtshof, Urteil vom 16.09.2015 – V ZR 8/15. Foto: Kevin Hackert/Baukran in Spiegelung im gegenüberliegenden Gebäude | flick.com |
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