BGH zur Behauptung lediglich vermuteter Tatsachen
- die Beklagte berylliumhaltige Materialien verwendet
- 2010 und 2011 die Filteranlage kaputt war und berylliumhaltiger Staub über den Arbeitsort des Klägers hinweggezogen ist und
- der Kläger und vier seiner am selben Ort arbeitenden Kollegen im Jahr 2011 an durch Beryllium verursachten Erkrankungen erkrankt sind,
Entscheidung
Der VI. Zivilsenat hat das Urteil auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wegen einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gem. § 544 Abs. 7 ZPO aufgehoben und die Sache zurückverwiesen:„a) Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, den entscheidungserheblichen Sachvortrag der Partei in der nach Art. 103 GG gebotenen Weise zur Kenntnis zu nehmen und die angebotenen Beweise zu erheben (…).
Ein Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs ist dann schlüssig und erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind. Das Gericht muss nur in die Lage versetzt werden, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens der Partei zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorliegen.
Sind diese Anforderungen erfüllt, ist es Sache des Tatrichters, in die Beweisaufnahme einzutreten und dabei gegebenenfalls die benannten Zeugen oder die zu vernehmende Partei nach weiteren Einzelheiten zu befragen oder einem Sachverständigen die beweiserheblichen Streitfragen zu unterbreiten (…).
b) Wie die Nichtzulassungsbeschwerde mit Recht beanstandet, hat das Berufungsgericht hiergegen verstoßen, indem es den Sachvortrag des Klägers als nicht hinreichend konkret angesehen und deshalb eine Beweisaufnahme abgelehnt hat.
Jedenfalls dem Antrag auf Parteivernehmung des Geschäftsführers der Beklagten wäre nachzukommen gewesen.
aa) Entgegen der Einschätzung des Berufungsgerichts ist der Vortrag des Klägers nicht schon wegen nicht hinreichender Substantiierung unschlüssig. Der Kläger hat vielmehr nach den oben angeführten Maßstäben eine im Fall ihrer Erweislichkeit die Tatbestandsmerkmale des § 823 Abs. 1 BGB erfüllende Indizienkette vorgetragen.
Dabei durfte er sich auch auf nur vermutete Tatsachen stützen, denn er kann mangels Sachkunde und Einblick in die Produktionsabläufe der Beklagten keine sichere Kenntnis von Einzeltatsachen haben, weswegen er diese als Vermutungen in den Rechtsstreit einführen können muss (...). Ein Vortrag „ins Blaue hinein“ oder „aufs Geratewohl“ auf der Basis von Vermutungen liegt angesichts der vom Kläger angeführten Anhaltspunkte, insbesondere der Erkrankung seiner Person sowie weiterer Kollegen und der Nähe deren Beschäftigungsortes zum Werk der Beklagten, nicht vor (…).
Soweit das Berufungsgericht aufgrund des Klägervortrags eine Verpflichtung der Beklagten angenommen hat, im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast näher zu ihren Produktionsabläufen vorzutragen, geht es in einem ersten Schritt zu Recht von der Schlüssigkeit des Klägervortrags aus. Das Berufungsgericht durfte aber nach dem daraufhin erfolgten, bestreitenden Vortrag der Beklagten den Eintritt in die Beweisaufnahme nicht von einer weiteren Präzisierung des Klägervortrags abhängig machen.
Ob der bestreitende Vortrag der Beklagten insoweit – wie das Berufungsgericht meint – den Anforderungen der sekundären Darlegungslast genügt, kann dabei offenbleiben, denn das Berufungsgericht hat mit seiner Forderung nach präziserem Vortrag die Anforderungen an die Substantiierung des klägerischen Vorbringens überspannt.
bb) Ein hinreichendes Bestreiten der Beklagten vorausgesetzt, hätte das Berufungsgericht jedenfalls die vom Kläger beantragte Vernehmung des Geschäftsführers der Beklagten als Partei durchführen müssen. In dieser Parteivernehmung liegt keine unzulässige Ausforschung. Vielmehr ist dem Kläger Gelegenheit zu geben, für seine Behauptung, im Betrieb der Beklagten werde Beryllium verwendet, den Wahrheitsbeweis zu führen.
Die Vernehmung des Geschäftsführers der Beklagten als Partei nach § 445 ZPO ist dabei kein von vornherein ungeeignetes Beweismittel.“