BGH zur Erledigung im selbständigen Beweisverfahren

Mit einer der wohl schwierigsten Fragen des Prozessrechts, nämlich dem Weg zur Kostenerstattung nach einem „erledigenden Ereignis“ im selbständigen Beweisverfahren hat sich der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 20.10.2020 – VI ZB 28/20 befasst. Darin geht es in der Sache um die entsprechende Anwendung von § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO; der vom BGH aufgezeigte Lösungsweg scheint mir allerdings nicht in jedem Fall auch der sicherste Weg.

Sachverhalt

Die Antragstellerin war in einem von der Antragsgegnerin betriebenen Schwimmbad am 01.09.2019 gestürzt und begehrte im selbständigen Beweisverfahren die Feststellung, dass im Nichtschwimmerbecken eine Fliesenkante hervorgestanden habe und den Sturz verursacht habe. Der Antrag vom 15.11.2019 wurde der Antragsgegnerin am 27.11.2019 zugestellt. Mit Schriftsätzen vom 10.12.2019 und 14.01.2020 teilte die Antragsgegnerin mit, dass die Beantwortung der Beweisfragen nicht mehr möglich sei; sie habe die Verletzung der Antragstellerin zum Anlass genommen, routinemäßig anstehende Fliesenarbeiten vorzuziehen. Daraufhin nahm die Antragstellerin ihren Antrag zurück. Das Amtsgericht hat der Antragsgegnerin die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens entsprechend § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO auferlegt. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin hat das Landgericht den Beschluss aufgehoben und die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens der Antragstellerin auferlegt. Die Kostenentscheidung habe in entsprechender Anwendung von § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO zu ergehen; eine analoge Anwendung des § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO komme im selbständigen Beweisverfahren nicht in Betracht. Dagegen wendet sich die Antragstellerin mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde, mit der sie eine Kostenentscheidung in entsprechender Anwendung der Regelung des § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO zu Lasten der Antragsgegnerin begehrt. Der Anlass für das selbständige Beweisverfahren sei noch vor Zustellung des Antrags weggefallen. Die Antragsgegnerin habe die Beweiserhebung durch die Fliesenarbeiten noch vor Einreichung des Antrags vereitelt und der Antragstellerin dies zudem im Rahmen der Korrespondenz der Parteien nicht mitgeteilt.

Gem. § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO entscheidet das Gericht über die Kosten des Rechtsstreits unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen (vgl. § 91a ZPO), wenn der Anlass zur Einreichung der Klage vor Rechtshängigkeit weggefallen ist und die Klage daraufhin zurückgenommen wird. Hier hatte die Klägerin allerdings keine Klage erhoben, sondern ein selbständiges Beweisverfahren gem. § 485 ff. ZPO eingeleitet. Damit konnte die Klägerin zunächst nur Beweis erheben über den Zustand des Fliesenbodens und dieses Beweisergebnis ggf. gem. § 493 ZPO in einem späteren Rechtsstreit mit der Beklagten verwenden. Eine Kostenentscheidung ist im selbständigen Beweisverfahren aber nicht vorgesehen. Die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens bilden vielmehr einen Teil der Kosten des sich anschließenden Hauptsacheverfahrens, in dem zugleich auch über die Kosten des vorangegangenen selbständigen Beweisverfahrens entschieden wird. Soweit eine Kostenentscheidung in einem selbständigen Beweisverfahren von der Prozessordnung überhaupt vorgesehen ist, erfolgt sie gegen den Antragsteller, § 494a Abs. 2 ZPO. Kommt es nicht zu einem Hauptsacheverfahren, weil der Antragsteller nach Durchführung der Beweisaufnahme von der Einleitung des Hauptsacheverfahrens absieht, soll der Antragsgegner durch § 494a ZPO so gestellt werden, als habe er obsiegt. Eine Kostenentscheidung kann im selbständigen Beweisverfahren aber ausnahmsweise ergehen, wenn der Antragsteller seinen Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens zurücknimmt und kein Hauptsacheverfahren anhängig ist, dessen Parteien und Streitgegenstand mit denjenigen des selbständigen Beweisverfahrens identisch sind. In diesem Fall hat der Antragsteller in entsprechender Anwendung des § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO grundsätzlich die Kosten zu tragen. Hier allerdings begehrte die Antragstellerin eine Kostenentscheidung gem. § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO. Der BGH musst deshalb entscheiden, ob auch diese Regelung entsprechend auf das selbständige Beweisverfahren anwendbar ist.

Entscheidung

Die Rechtsbeschwerde ist erfolglos geblieben:

„aa) Nach § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO bestimmt sich die Kostentragungspflicht unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen, wenn der Anlass zur Klageeinreichung vor Rechtshängigkeit wegfällt und die Klage daraufhin zurückgenommen wird. Zwar wird verschiedentlich vertreten, dass bei der Rücknahme eines Antrags auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens eine Entscheidung entsprechend § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO möglich sei (…). Nach anderer Ansicht – der auch das Beschwerdegericht folgt – ist für eine Kostenentscheidung entsprechend § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO im selbständigen Beweisverfahren dagegen kein Raum (…).

bb) Die letztere Ansicht trifft zu. Eine Analogie ist nur zulässig, wenn das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke enthält und der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht soweit mit dem vom Gesetzgeber geregelten Tatbestand vergleichbar ist, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie beim Erlass der herangezogenen Norm, zum gleichen Abwägungsergebnis gekommen (…). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.

(1) Entgegen der Ansicht der Revision fehlt es bereits an einer Regelungslücke. Wie oben ausgeführt, ergeht im selbständigen Beweisverfahren grundsätzlich keine Kostenentscheidung zu Lasten des Antragsgegners. Es steht dem Antragsteller frei, entweder einen Hauptsacheprozess – und sei es auch nur in Gestalt einer Feststellungsklage – zu führen oder die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens im Wege der Leistungsklage und gestützt auf einen materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch geltend zu machen (…). Das gilt auch, wenn die Rücknahme des Antrags auf einem Ereignis beruht, das das Interesse des Antragstellers an der Beweissicherung entfallen lässt (…).

Bei der entsprechenden Anwendung von § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO zugunsten des Antragsgegners beruht die Annahme einer Regelungslücke demgegenüber auf der Erwägung, dass der Antragsgegner ein Hauptsacheverfahren nicht erzwingen kann, und der vor diesem Hintergrund lückenhaften Regelung des § 494a Abs. 2 ZPO (…).

(2) Auch eine vergleichbare Interessenlage ist nicht gegeben. Wie das Beschwerdegericht zutreffend dargestellt hat, wurde die Vorschrift des § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO (…) eingefügt, um aus Gründen der Prozessökonomie eine Kostenverteilung nach billigem Ermessen zu ermöglichen, wenn der Anlass für die Klageerhebung vor Rechtshängigkeit wegfällt und der Beklagte sich einer Erledigungserklärung des Klägers nicht anschließt (…). Wegen der Sachnähe zur Interessenlage nach beidseitiger Erledigungserklärung ist die Vorschrift der Rechtsfolge des § 91a ZPO angeglichen (…).

Dagegen ist im selbständigen Beweisverfahren für eine beidseitige Erledigungserklärung mit der Folge der entsprechenden Anwendung von § 91a ZPO wegen der mangelnden Vergleichbarkeit der Erledigung der Hauptsache im Klageverfahren mit der „Erledigung“ eines selbständigen Beweisverfahrens kein Raum. (…)

cc) Vor diesem Hintergrund lässt sich eine analoge Anwendung der Vorschrift des § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO auf das selbständige Beweisverfahren entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde auch nicht mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) und dem Grundsatz der Prozessökonomie rechtfertigen. Dabei kann zugunsten der Antragstellerin unterstellt werden, dass die Antragsgegnerin die Fliesen noch vor der Einreichung des Beweissicherungsantrags reparieren ließ, ohne der Antragstellerin dies sodann im Rahmen der von den Parteien geführten Korrespondenz über eine etwaige Haftung wegen einer Verkehrssicherungspflichtverletzung mitzuteilen.

(1) Wie ausgeführt hätte es der Antragstellerin freigestanden, entweder einen Hauptsacheprozess zu führen oder die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens im Wege der Leistungsklage und gestützt auf einen materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch geltend zu machen (…). Im Rahmen eines solchen (…) Verfahrens hätte die Antragstellerin Rechtsschutz erlangen können. Sie hätte zur Klärung bringen können, ob ihr ein Anspruch aus Verkehrssicherungspflichtverletzung oder ein materiell-rechtlicher Kostenerstattungsanspruch – ggf. auch im Hinblick auf den Umstand, dass ihr die Veränderung des Zustands des Schwimmbeckens nicht mitgeteilt worden war – zusteht. Dabei hätte das Gericht zu würdigen gehabt, dass die Fliesenarbeiten bereits etwa eine Woche nach der Verletzung der Antragstellerin Anfang September 2019 durchgeführt worden waren, die Antragsgegnerin aber noch Ende Oktober 2019 mitgeteilt hatte, dass auch nach erneuter Inaugenscheinnahme Nachbesserungsbedarf nicht zutage getreten sei.

(2) Auch der Grundsatz der Prozessökonomie, wonach der Streit der Parteien möglichst in einem Verfahren vollständig bereinigt werden soll (…) kann eine entsprechende Anwendung des § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO auf den vorliegenden Fall nicht rechtfertigen. Sicher mag es auf den ersten Blick sinnvoll erscheinen, eine Kostenentscheidung noch im selbständigen Beweisverfahren zu ermöglichen. Wie der vorliegende Fall zeigt, müsste sich das Gericht in diesem Fall aber von der bloßen Prüfung der Zulässigkeit einer Beweiserhebung gemäß §§ 485 ff. ZPO lösen und Erwägungen anstellen, für die im selbständigen Beweisverfahren kein Platz ist.“

Anmerkung

Das ist in der Sache – keine entsprechende Anwendung von § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO im selbständigen Beweisverfahren –systematisch konsequent und stimmig, weil damit vermieden wird, im selbständigen Beweisverfahren die Erfolgsaussichten eines Hauptsacheverfahrens zu prüfen. Mir scheint der vom VI. Zivilsenat aufgezeigte Ausweg – Rücknahme des Antrags und dann Geltendmachung des materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruchs – aber jedenfalls nicht in jedem Fall ratsam und der „sicherste Weg“. Zwar können die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens grundsätzlich als Verzugsschaden geltend gemacht werden (BGH, Urteil vom 10.10.2017 – VI ZR 520/16 mit Besprechung hier). Nimmt aber die Antragstellerin den Antrag zurück, wird in der Regel die Antragsgegnerin einen Kostenantrag stellen. Und in einem späteren – auf materiell-rechtliche Ansprüche gestützten – Prozess wird sich dann die bislang ungeklärte Frage stellen, ob der Geltendmachung dieser Ansprüche nicht die (rechtskräftige) Kostengrundentscheidung nach § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO entgegensteht. Das wird für eine Kostenentscheidung nach § 494a Abs. 2 ZPO zwar verneint (s. OLG Düsseldorf, Urteil vom 01.09.2005 – 5 U 6/05), für die Rücknahme einer Klage hingegen bejaht (BGH, Urteil vom 16.02.2011 − VIII ZR 80/10). Nimmt die Antragstellerin also hier ihren Antrag zurück, wird sie im Falle eines Kostenantrags der Antragsgegnerin ihre Kostenerstattungsklage jedenfalls schnell erheben müssen, um der Rechtskraft eines Beschlusses nach § 269 Abs. 3 Satz 2, Abs. 4 ZPO zuvorzukommen. Im praktischen Regelfall, indem nach Anhängigkeit des selbständigen Beweisverfahrens Mängel beseitigt werden, ist es deshalb der sicherere Weg, im selbständigen Beweisverfahren keine (Rücknahme-)Erklärung abzugeben, und stattdessen eine Hauptsacheklage zu erheben mit dem Antrag, festzustellen, dass der Antragsgegner zur Beseitigung der Mängel verpflichtet war (s. BGH, Beschluss vom 12.02.2004 – V ZB 57/03 im vorletzten Absatz). Das wird der Antragstellerin hier allerdings auch nicht helfen, weil es ihr nicht um die Beseitigung eines Mangels am Flieisenfußboden, um einen dadurch entstandenen Schaden geht... So oder so: „Kostenerstattung nach „erledigtem“ selbständigen Beweisverfahren“ scheint mir ein Thema, zu dem weitere Forschung dringend notwendig ist. Einen ZPO-Überblick zur Geltendmachung der Kosten eines selbständigen Beweisverfahrens gibt es übrigens hier. tl;dr: Im selbständigen Beweisverfahren ist für eine Kostenentscheidung entsprechend § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO kein Raum. (Leitsatz des BGH) Anmerkung/Besprechung, BGH, Beschluss vom 20.10.2020 – VI ZB 28/20. Foto: © Ehssan Khazaeli