BGH: Kein Bestreiten mit Nichtwissen bei Wahrnehmungen eines Untervermittlers

BGH_Empfangsgebäude ComQuat wikimedia.org CC BY-SA 3.0Wann Vortrag der Gegenseite zulässigerweise mit Nichtwissen bestritten werden kann und wie weit die Nachforschungspflichten der Partei jeweils reichen, ist im Einzelfall immer wieder schwierig zu beantworten.

Mit Versäumnisurteil vom 22.04.2016 – V ZR 256/14 hat sich der Bundesgerichtshof seit Längerem mal wieder mit diesen Fragen befasst.

Sachverhalt

Der Kläger hatte von der Beklagten im Rahmen eines „Steuersparmodells“ für 120.000 EUR eine Eigentumswohnung in Berlin gekauft und erworben. Die Gespräche im Vorfeld des Erwerbs führte der Kläger nicht mit der Beklagten, sondern mit der SWK GmbH, die unter anderem eine Wirtschaftlichkeitsberechnung auf der Grundlage von vom Kläger eingereichten Unterlagen erstellte.

Später begehrte der Kläger die Rückabwicklung des Kaufvertrages. Seinen Anspruch stützte er dabei unter anderem auf § 280 Abs. 1 BGB und behauptete dazu, der ihn beratende Mitarbeiter der SWK GmbH habe eine „Mindestausschüttung“ von 45.501 EUR bei einem Verkauf der Wohnung nach 10 Jahren zugesagt. Diese Aussage bestritt die Beklagte mit Nichtwissen.

Die Vorinstanzen hielten das Bestreiten mit Nichtwissen für zulässig und wiesen die Klage ab, weil der Kläger für die behauptete Äußerung beweisfällig geblieben sei. Seine Anhörung habe nicht den für eine Parteivernehmung gem. § 448 ZPO erforderlichen „Anbeweis“ erbracht.

Wie sich eine Partei zum Tatsachenvortrag der Gegenseite erklären muss, ergibt sich aus § 138 ZPO. Gem. Abs.  1 und 2 ZPO hat sich jede Partei wahrheitsgemäß über die vom Gegner behaupteten Tatsachen zu erklären. Sie kann diese also bestätigen (zugestehen) oder in Abrede stellen (bestreiten). Gem. Abs. 3 gelten Tatsachen als zugestanden, wenn sie nicht ausdrücklich bestritten werden (oder die Absicht, sie bestreiten zu wollen, aus den übrigen Erklärungen der Partei hervorgeht).

Kann eine Partei sich mangels eigener Wahrnehmung zu bestimmten Umständen oder Vorgängen nicht erklären, kann sie sich dazu gem. Abs. 4 „mit Nichtwissen“ erklären (vulgo: Mit Nichtwissen bestreiten). Damit zwingt sie die Gegenpartei dazu, ihre Angaben zu beweisen, ohne Gefahr zu laufen, falsche Angaben zu machen. (S. dazu ausführlich auch Nicoli, JuS 2000, 584).

Die Behauptung des Klägers über eine bestimmte „Mindestausschüttung“ hatte die Beklagte hier mit Nichtwissen bestritten, weil nicht sie die Beratungsgespräche führt hatte, sondern ein Mitarbeiter der SKW. Fraglich war aber, ob es sich die Beklagte damit nicht etwas zu einfach gemacht hatte.

Entscheidung

Der BGH hat das Bestreiten mit Nichtwissen entgegen der Ansicht der Vorinstanzen für unzulässig gehalten:

„aa) Nach § 138 Abs. 4 ZPO ist eine Erklärung mit Nichtwissen nur über Tatsachen zulässig, die weder eigene Handlungen der Partei noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen sind. Bei einer juristischen Person kommt es insoweit auf die Organe an […]. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, von der auch das Berufungsgericht ausgeht, trifft die Partei in diesem Zusammenhang aber die Pflicht, die ihr möglichen Informationen von Personen einzuholen, die unter ihrer Anleitung, Aufsicht oder Verantwortung tätig geworden sind […].

Bestreitet eine Partei trotz des Bestehens einer Informationspflicht mit Nichtwissen, ist dies unzulässig und führt dazu, dass der Vortrag des Gegners gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden gilt. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn sich für die Partei nach Einholen der Erkundigungen bei diesen Personen keine weiteren Erkenntnisse ergeben oder die Partei nicht beurteilen kann, welche von mehreren unterschiedlichen Darstellungen über den Geschehensablauf der Wahrheit entspricht, und sie das Ergebnis ihrer Erkundigungen in den Prozess einführt […].

bb) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze berechtigt der Umstand, dass die Beratung des Klägers weder auf eigener Handlung der Organe der Beklagten beruhte noch Gegenstand ihrer Wahrnehmung war, die Beklagte nicht, den behaupteten Inhalt des Beratungsgesprächs mit Nichtwissen zu bestreiten.

Das Berufungsgericht fasst den Verantwortungsbereich, innerhalb dessen sich eine Partei zu erkundigen hat, zu eng.

(1) Die von der Rechtsprechung vorgenommene teleologische Reduktion von § 138 Abs. 4 ZPO findet ihre Rechtfertigung in der Überlegung, dass eine Partei sich nicht durch arbeitsteilige Organisation ihres Betätigungsbereichs ihren prozessualen Erklärungspflichten entziehen kann […]. Ansonsten würde sie gegenüber einer selbst handelnden Partei ohne sachlichen Grund privilegiert […].

Eine das Bestreiten mit Nichtwissen grundsätzlich ausschließende Arbeitsteilung liegt aber, anders als das Berufungsgericht meint, nicht nur bezogen auf Personen vor, die im engeren Sinne in die geschäftliche Organisation der Partei eingliedert sind. Unter der Verantwortung einer Partei im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs werden auch Untervermittler tätig, denen sich eine Partei – wie hier die Beklagte – bedient. Hätten die Organe der Beklagten die Beratungsgespräche selbst geführt, müssten sie sich zu dem von dem Kläger behaupteten Inhalt äußern, ohne diesen mit Nichtwissen bestreiten zu können.

Dem können sie sich nicht dadurch entziehen, dass die Beratung Untervermittlern überlassen wird. Sie müssen sich vielmehr bei dem Untervermittler nach dem Gesprächsinhalt erkundigen und sich hierzu im Prozess substantiiert (§ 138 Abs. 2 ZPO) erklären. Insoweit findet die materiellrechtliche Haftung des Verkäufers für eine fehlerhafte Beratung eines Untervermittlers im Rahmen eines (stillschweigend) zustande gekommenen Beratungsvertrages […] ihre prozessuale Fortsetzung in einer Einschränkung der in § 138 Abs. 4 ZPO vorgesehenen Möglichkeit, die Behauptung des Gegners mit Nichtwissen zu bestreiten. […]

(3) Das Bestreiten mit Nichtwissen durch die Beklagte ist hiernach auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts unzulässig. Der Vortrag des Klägers gilt gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden und ist nicht beweisbedürftig. Auf die von dem Berufungsgericht erörterte und verneinte Frage, ob die Voraussetzungen für eine Parteivernehmung von Amts wegen gemäß § 448 ZPO vorlagen, kommt es nicht an.“

Anmerkung

Eigentlich nichts wirklich Neues, aber eine gute Gelegenheit, sich nochmals mit den Grenzen von § 138 Abs. 4 ZPO zu beschäftigen: Nachforschungspflichten bestehen nach der Rechtsprechung des BGH bei allen Personen, die „unter Anleitung, Aufsicht oder Verantwortung“ der Partei tätig geworden sind. Diese Definition ist allerdings weder sprachlich gelungen noch wirklich sauber zu subsumieren: So lässt sich die nach wie vor umstrittene Frage nicht beantworten, ob auch bei rechtsgeschäftlichen Vertretern eine Nachforschungspflicht besteht (bejahend beispielsweise Musielak/Voit/Stadler, ZPO, 13. Aufl. 2016 § 138 Rn. 17; anders Zöller/Greger, 31. Aufl. 2016, § 138 Rn. 15; BeckOK-ZPO/von Selle, § 138 Rn. 25). Einfacher und rechtssicherer wäre es wohl, einen Gleichlauf zwischen § 138 Abs. 4 ZPO und § 166 BGB herzustellen (ablehnend aber Zöller/Greger, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 138 Rn. 15 a.E.).

Die Entscheidung ist im Original übrigens auch deshalb lesenswert, weil sie sich noch mit einem anderen interessanten prozessualen Problemkomplex auseinandersetzt, nämlich der Frage, wie eingehend sich das Gericht mit einem Privatgutachten auseinandersetzen muss.

tl;dr: Mit Nichtwissen darf sich eine Partei nur erklären, wenn diese zuvor die ihr möglichen Informationen von Personen eingeholt hat, die unter ihrer Anleitung, Aufsicht oder Verantwortung tätig geworden sind.

Anmerkung/Besprechung, BGH, Beschluss vom 22.04.2016 – V ZR 256/14. Foto: BGH Empfangsgebäude/ComQuat | wikimedia.org | CC BY-SA 3.0