BGH: Keine Zulassung der Revision bei zu spät gerügtem Gehörsverstoß

ComQuat wikimedia CC BY-SA 3.0Eine Entscheidung zum Berufungs- und Revisionsverfahren mit potentiell sehr haftungsrelevanten Folgen ist der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 17.03.2016 – IX ZR 211/14.

Darin geht es um die Zulässigkeit einer auf die Verletzungen des Anspruchs aus rechtliches Gehör gestützten Nichtzulassungsbeschwerde, wenn über die Berufung durch Zurückweisungsbeschluss gem. § 522 Abs. 2 ZPO entschieden worden ist.

Sachverhalt

Der Kläger begehrte von der Beklagten Schadensersatz in einer Kapitalanlagesache. Damit war er in erster Instanz unterlegen; die Berufung hatte das Berufungsgericht gem. § 522 Abs. 2 ZPO durch Beschluss zurückgewiesen.

Dagegen wendete sich der Kläger nun mit der Nichtzulassungsbeschwerde und machte erst mit der Nichtzulassungsbeschwerde geltend, das erstinstanzliche Gericht habe teilweise sein Vorbringen übergangen und darauf verzichtet, die von ihm als Zeugin benannte Ehefrau zu vernehmen.

Nachdem der Kläger hier in erster Instanz unterlegen war, hatte er gegen das Urteil Berufung (§§ 511 ff. ZPO) eingelegt. Die Berufung hielt der Senat des Berufungsgerichts aber einstimmig für unbegründet und hatte sie daher gem. § 522 Abs. 2 ZPO durch einstimmigen Beschluss zurückgewiesen.

§ 522 Abs. 2 ZPO ist eine der wichtigsten Vorschriften des Berufungsrechts: Hält das Berufungsgericht die Berufung einstimmig für unbegründet (und misst es der Sache keine grundlegende Bedeutung bei), soll es die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss verwerfen. Mit der Regelung sollen die Berufungsgerichte entlastet werden.

Gegen diesen Beschluss hatte der Kläger Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesgerichtshof erhoben (§§ 522 Abs. 3 i.V.m. 544 ZPO). Und erst im Rahmen dieser Beschwerde – nicht schon innerhalb der zuvor durch das Berufungsgericht gesetzten Frist zur Stellungnahme – hatte der Kläger gerügt, das erstinstanzliche Gericht habe Teile seines Prozessvortrages übergangen und die von ihm benannte Zeugin nicht vernommen.

Entscheidung
Die Nichtzulassungsbeschwerde hatte keinen Erfolg:

„Ohne Erfolg beruft sich der Kläger auf eine Verletzung seines Verfahrensgrundrechts aus Art. 103 Abs. 1 GG. (...)

b) Soweit der Kläger beanstandet, das Berufungsgericht habe in seinem Hinweisbeschluss sein Vorbringen übergangen, (…) steht der Geltendmachung eines Gehörsverstoßes der allgemeine Grundsatz der Subsidiarität entgegen. Gleiches gilt hinsichtlich des Vorwurfs, das Berufungsgericht habe eine vorweggenommene Beweiswürdigung vorgenommen, indem es darauf verzichtet habe, die vom Kläger als Zeugin benannte Ehefrau (…) zu hören.

Der Subsidiaritätsgrundsatz fordert, dass ein Beteiligter über das Gebot der Erschöpfung des Rechtswegs im engeren Sinn hinaus alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreift, um eine Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung zu erwirken oder eine Grundrechtsverletzung zu verhindern (…). Diese Würdigung entspricht dem in § 295 ZPO zum Ausdruck kommenden Rechtsgedanken, nach dessen Inhalt eine Partei eine Gehörsverletzung nicht mehr rügen kann, wenn sie die ihr nach Erkennen des Verstoßes verbliebene Möglichkeit zu einer Äußerung nicht genutzt hat(…).

Die Möglichkeit, auf den Hinweisbeschluss des Berufungsgerichts gemäß § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO Stellung zu nehmen, dient nach allgemeiner Auffassung dem Zweck, dem Berufungsführer das rechtliche Gehör zu gewähren (…). Diesem soll Gelegenheit gegeben werden, sich zu der vom Berufungsgericht beabsichtigten Zurückweisung seines Rechtsmittels zu äußern.

Dieser Zweck der Vorschrift würde verfehlt, wenn man dem Berufungskläger die Wahl ließe, ob er eine Gehörsverletzung im Hinweisbeschluss innerhalb der ihm eingeräumten Frist zur Stellungnahme oder erst in einem sich anschließenden Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren rügt. Dies würde der mit der Einführung des § 522 ZPO bezweckten Beschleunigung des Verfahrens zuwiderlaufen und die rechtskräftige Erledigung der Streitigkeit zulasten der in erster Instanz obsiegenden Partei verzögern (…).“

Anmerkung

Die Entscheidung hat erhebliche Sprengkraft, wenn man bedenkt, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs beinahe sämtliche praktisch relevanten prozessualen Fehler eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör darstellen: Neben übergangenem Sachvortrag und unterbliebenen Beweiserhebungen beispielsweise auch vom Gericht nicht erteilte Hinweise und sogar zu hohe Substantiierungsanforderungen.

Erteilt das Gericht daher einen Hinweis, dass es beabsichtigt, die Berufung durch Beschluss zurückzuweisen (§ 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO), müssen deshalb die genannten prozessualen Fehler unbedingt innerhalb der gesetzten Frist gerügt werden.

Zum erforderlichen Umfang und Inhalt Berufungsbegründung s. übrigens hier.

tl;dr: Trotz Gehörsverstoßes ist eine Revision nicht zuzulassen, wenn der Beschwerdeführer den Gehörsverstoß nicht innerhalb der Stellungnahmefrist auf einen Hinweisbeschluss gem. § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO geltend macht.

Anmerkung/Besprechung, BGH, Beschluss vom 17.03.2016 – IX ZR 211/14. Foto: ComQuat | wikimedia.org | CC BY-SA 3.0